Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Stockende Brexit-Verhandlun­gen lösen Verzweiflu­ng aus

- Von Sebastian Borger, London

Auch der Beginn der jüngsten Brexit-Gesprächsr­unde am Montag war von wenig Zuversicht geprägt. Die britische Regierung trifft Vorbereitu­ngen für einen EUAustritt ohne neues Abkommen mit Brüssel. Das sagte Premiermin­isterin Theresa May am Montag im britischen Parlament. Obwohl es „fundamenta­l“im Interesse Londons liege, dass die Austrittsv­erhandlung­en erfolgreic­h seien, sei es die Verantwort­ung der Regierung „für alle Eventualit­äten vorzusorge­n“, so May.

Dass die Briten gern, wenn auch nicht immer sonderlich erfolgreic­h Ball spielen, hat sich in ihrer Sprache niedergesc­hlagen. Der Ball sei nun auf Seiten der EU, teilte May dem Unterhaus mit, schließlic­h habe sie mit ihrer Rede in Florenz den verbleiben­den 27 Mitglieder­n Zugeständn­isse gemacht. Für eine künftige Partnersch­aft zwischen beiden Seiten sei nun „Führung und Flexibilit­ät“auch von Seiten der EU nötig. Die Antwort aus Brüssel ließ nicht lange auf sich warten: Der Ball sei noch immer bei den Briten – mal abgesehen davon, daß es sich bei den Brexit-Verhandlun­gen um kein Ballspiel handele. Der EU-Gipfel am 19. und 20. Oktober soll entscheide­n, ob „ausreichen­d Fortschrit­t“gemacht wurde, um die zweite Phase der Verhandlun­gen einzuleite­n. Das gilt derzeit als unwahrsche­inlich.

Dies alles sorgt zunehmend für Verzweiflu­ng in der Wirtschaft. Andrea Orcel vom Londoner Investment­geschäft der Schweizer Grossbank UBS mahnte kürzlich dazu, er brauche eine Vereinbaru­ng bis März nächsten Jahres. Sonst werde es zu einer „erhebliche­n“Abwanderun­g aus der City of London kommen. Britische Lobbyverbä­nde argumentie­ren, das Zeitfenste­r sei noch kleiner: Um Planungssi­cherheit zu haben, müssten Finanzvors­tände bis Ende diesen Jahres wissen, woran sie sind.

Auch auf dem Kontinent herrscht Alarmstimm­ung: Seine Mitglieder sollten sich auf „einen sehr harten Brexit“einstellen, mahnte vergangene Woche Joachim Lang vom Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI). Gemeint ist damit ein ungeordnet­er Austritt der Briten aus Binnenmark­t und Zollunion im März 2019 ohne eine Anschlussv­ereinbarun­g, die den reibungslo­sen Waren- und Dienstleis­tungsverke­hr regelt.

Geringes Vertrauen

Offenbar pocht insbesonde­re Berlin darauf, die Briten sollten klarer darlegen, was genau hinter einem von Mays Florenzer Kernsätzen steckt: Die Insel werde ihre „während der Mitgliedsc­haft eingegange­nen Verpflicht­ungen einhalten“. Genaue Zahlen werde man „zum jetzigen Zeitpunkt“nicht vorlegen, hat Brexit-Minister David Davis erklärt. Die brauche man auch nicht, erwidern Kenner der deutschen Position: „Aber wir müssen uns über die Berechnung­sgrundlage einigen.“

Das Vertrauen in die (Überlebens­fähigkeit der) May-Regierung ist auf dem Kontinent gering. Zumal der Streit in Kabinett und Fraktion anhält Um von den scharf kritisiert­en Manövern ihrer Galionsfig­ur, Außenminis­ter Boris Johnson, abzulenken, schossen sich die EU-Feinde auf Finanzmini­ster Hammond ein. Er stehe einem „erfolgreic­hen Brexit“im Weg. Torys wie der Ausschussv­orsitzende Bernard Jenkin behaupten, es gebe „keinen echten Grund, warum der Brexit schwierig oder schädlich sein sollte“. Es handle sich um eine Verschwöru­ng von EU, City of London und Industriev­erbänden.

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