Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Tiefer Fall

Bewundert und gefürchtet: Hollywood-Boss Harvey Weinstein verliert über Nacht Macht und Ansehen

- Von Gisela Ostwald

LOS ANGELES/NEW YORK (dpa) - Einer der mächtigste­n Filmbosse in Hollywood ist über seinen Umgang mit Frauen gestürzt. Harvey Weinstein, die treibende Kraft der Weinstein Company (TWC), ist vom eigenen Studio entlassen worden. Nachforsch­ungen der „New York Times“hatten ergeben, dass der einflussre­iche Produzent jahrzehnte­lang junge Talente und Mitarbeite­rinnen sexuell belästigt und mit Abfindunge­n zum Schweigen gebracht haben soll. Ob der 65-Jährige – wie Roman Polanski und Bill Cosby vor ihm – auch von der Justiz zur Rechenscha­ft gezogen wird, bleibt abzuwarten.

Der Skandal um den Oscarpreis­träger und Oscarpromo­ter von Filmen wie „Pulp Fiction“, „Shakespear­e in Love“und „The King’s Speech“trifft Hollywood wie ein Schlag. Kein Kollege kam ihm bisher zu Hilfe. Stars wie Matt Damon, Judi Dench und Gwyneth Paltrow, die Weinstein oft und überschwän­glich für ihre Karriere gedankt hatten, blieben stumm. Betroffene­s Schweigen auch in den Late-Night-Shows: Hillary Clinton, die im Wahlkampf um das Weiße Haus Spenden ihres politische­n Freundes angenommen hatte, hielt sich bedeckt.

Trump hat’s gewusst

Die Demokratis­che Partei begann umgehend, Wahlkampfg­elder von Weinstein zurückzuge­ben oder an Organisati­onen für Frauenrech­te weiterzure­ichen. US-Präsident Donald Trump, im vergangene­n Jahr selbst durch sexuelle Prahlerei in Misskredit geraten, gab sich in einem Tweet als Hollywood-Insider aus. „Ich kenne Harvey Weinstein schon lange und bin keineswegs überrascht“, schrieb er.

Derweil erklärten sich Feministin­nen und Frauen mit HollywoodK­enntnissen in den sozialen Medien erleichter­t. „Für mich ist der Wendepunkt gekommen“, schrieb die Produzenti­n der HBO-Fernsehser­ie „Girls“, Jenni Konner, über Twitter. „Dies ist der Moment, auf den wir zurückblic­ken und sagen werden: So hat der Wandel begonnen.“Weinsteins Rauswurf werde „jedem Mann in Hollywood Angst machen, seine Macht anders als für Film- und TVProdukti­onen einzusetze­n“.

Das Branchenbl­att „Variety“fragte am Montag in einem Kommentar: „Wird die (Film-)Industrie jemals ihre Bereitscha­ft aufgeben, obszönes Verhalten, Belästigun­g, Vergewalti­gung und Attacken zu übersehen?“Es habe gelegentli­ch den Anschein, als sei der Missbrauch von Frauen „in die DNA der Unterhaltu­ngsindustr­ie eingebacke­n“.

Die Fernsehaut­orin Carina MacKenzie („The Originals“) twitterte zum Fall Weinstein: „Harvey hat den Ton angegeben in der (Film-) Industrie, und Tausende Männer haben gelernt, dass es akzeptabel ist, in seine Fußstapfen zu treten.“

Der ältere Weinstein-Bruder Harvey hatte mit seinem Bruder Bob 1979 das Studio Miramax gegründet. 1993 veräußerte­n sie das Unternehme­n an Walt Disney Co., führten es aber aktiv weiter. Miramax gelang, was laut „Los Angeles Times“kein anderes Studio in Hollywood schaffte: Es heimste in nur 15 Jahren 249 Oscar-Nominierun­gen und 60 OscarTroph­äen ein. Harvey Weinstein „war der Mann, der kaum bekannte Indie-Film-Regisseure zu Rockstars machte“, schrieb die „L.A. Times“weiter. Er habe „Hollywoods größte Träume und schmutzigs­te Impulse verkörpert“.

„Ein verrückter Gauner“

Ein früherer Kolumnist der Zeitung, Patrick Goldstein, beschrieb Weinstein 2007 wie folgt: „Ein verrückter, speichelsp­uckender und kettenrauc­hender Gauner, der Beleidigun­gen brüllt, Arme verrenkt und schamlos jeden Film anpreist, der gerade ins Kino kommt.“Zwei Jahre vor diesem Porträt hatten Harvey und sein Bruder Bob eine neue Firma gegründet, The Weinstein Company (TWC).

Obwohl derzeit noch 42 Prozent des Unternehme­ns in den Händen der Brüder liegen, wurde Harvey Weinstein am Sonntag vom TWCVorstan­d, darunter auch Bruder Bob, vor die Tür gesetzt. Die vier Direktoren beriefen sich in einer Erklärung auf bisher nicht veröffentl­ichte Informatio­nen, die nach dem Artikel der „New York Times“nur vier Tage zuvor zu ihnen durchgedru­ngen waren.

 ?? FOTO: ALBERTO PIZZOLI/AFP ?? Produzent Harvey Weinstein mit seiner Frau, der britischen Modedesign­erin und Schauspiel­erin Georgina Chapman im Mai 2016 beim Filmfestiv­al in Cannes.
FOTO: ALBERTO PIZZOLI/AFP Produzent Harvey Weinstein mit seiner Frau, der britischen Modedesign­erin und Schauspiel­erin Georgina Chapman im Mai 2016 beim Filmfestiv­al in Cannes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany