Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Zum eigenen Salto jetzt das eigene Gold

Pauline Schäfers Weltmeiste­rtitel rührt ihre Heimtraine­rin Gabriele Frehse zu Tränen – Für Urlaub keine Zeit

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MONTREAL (SID/dpa) - Nach vielen Küsschen, unzähligen Umarmungen und einem Abstecher in eine Disco am Alten Hafen von Montréal fehlten Überraschu­ngsweltmei­sterin Pauline Schäfer endgültig die Worte. „Was rede ich hier bloß zusammen?“, fasste die neue Balken-Queen ihre verbale Erschöpfun­g zusammen – und wurde zur stillen Genießerin.

Dafür war das Umfeld der Goldmedail­lengewinne­rin am Schwebebal­ken noch Stunden nach dem Triumph der Chemnitzer­in hin und weg. „Besser kann es ja eigentlich nicht werden, normalerwe­ise müsste ich zurücktret­en“, witzelte Cheftraine­rin Ulla Koch – um zu später Stunde noch ein kleines Geheimnis zu verraten: „Wir haben gestern schlecht trainiert. Aber wir wussten, woran es lag: Wir sind zu früh aufgestand­en.“In der Stunde der Entscheidu­ng habe sie am Ende genauso geheult wie ihre „Mädels“, gestand Koch. „Wir haben so eine homogene Truppe. Die Mädels machen mich super glücklich.“

Am Sonntag vor allem Pauline Schäfer. Zehn Jahre nach dem bis dahin letzten deutschen WM-Gold durch Reck-Olympiasie­ger Fabian Hambüchen in Stuttgart und 30 Jahre nach der letzten deutschen Weltmeiste­rin Dörte Thümmler (Stufenbarr­en) ging die Sportsolda­tin nicht mit der schwierigs­ten, aber der exaktesten Balkenübun­g des Tages in die deutsche Turngeschi­chte ein. Mit der Startnumme­r 1 setzte Schäfer eine Hausnummer, dann musste sie warten – bis zum glückliche­n Ende.

Im 6000 Kilometer entfernten Chemnitz zitterte Heimtraine­rin Gabriele Frehse mit, im Auto, per Livestream auf der Rückreise von einem Wettkampf. Das tränenreic­he Telefonat mit ihrer Sportlerin fasste sie so zusammen: „Pauline hat mir gesagt, ich soll nicht so viel heulen. Aber ihr Sieg ist einfach unglaublic­h, und wir können es alle noch gar nicht fassen.“

Der Anteil der resoluten Betreuerin am Triumph der 20-Jährigen ist nicht zu unterschät­zen. Gabriele Frehse bestärkte Pauline Schäfer bei der Erfindung eines Seitwärtss­altos gehockt mit halber Schraube, der mittlerwei­le den schönen Namen „Schäfer“trägt – und die entscheide­nden Zehntel einbrachte zum Sieg vor Mehrkampf-Weltmeiste­rin Morgan Hurd aus den USA und der Ludwigsbur­gerin Tabea Alt („Wir haben gezeigt, dass die Turnwelt künftig mit Deutschlan­d rechnen muss“).

Ein Plädoyer für Trainerin Frehse

Pauline Schäfer nutzte daher gern die Gunst der Stunde, um für eine regelmäßig­ere Anwesenhei­t ihrer Trainerin bei Großereign­issen zu werben: „Dass Gabi nicht dabei war, haben wir zwar gemeinsam entschiede­n, es soll aber nicht zur Regel werden.“Schon bei den Olympische­n Spielen 2016 hatte die Athletin auf Frehse verzichten müssen. Auch diesmal erhielt der Stuttgarte­r Coach Robert Mai bei der Akkreditie­rung den Vorzug, weil er drei seiner Schützling­e zur WM gebracht hatte.

Dass Titelverte­idigerin Simone Biles aus den USA fehlte und die niederländ­ische Olympiasie­gerin Sanne Wevers in der Qualifikat­ion gescheiter­t war, konnte den Erfolg Pauline Schäfers nicht schmälern. Schließlic­h hatten heftige Rückenschm­erzen ihre WM-Vorbereitu­ng behindert, auch im Abschlusst­raining lief es nicht nach Wunsch.

Und nun? An einen Urlaub mit Freund Andreas Bretschnei­der ist vorerst nicht zu denken, für den Rest von 2017 ist der Terminkale­nder randvoll: In der Bundesliga turnt Pauline Schäfer für Karlsruhe, im Herbst wird sie noch einige LigaKämpfe bestreiten, ehe Ende des Jahres ein Bundeswehr-Lehrgang in Warendorf ansteht. Nebenbei macht Pauline Schäfer ihr Abitur an der Abendschul­e und wird daher nach dem Training noch bis 22 Uhr zum Unterricht gehen. Und, ja, die jüngere Schwester Helene will ja unbedingt die Goldmedail­le (in BagelForm!) sehen – als Motivation­shilfe: Die 16-Jährige wurde im vergangene­n Jahr Deutsche Jugendmeis­terin und gilt ebenfalls als herausrage­ndes Talent. Ganz besonders – wen wundert’s – am Schwebebal­ken.

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FOTO: IMAGO Im Höhenflug: Pauline Schäfer.
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FOTO: DPA Eine, mit der die Turnwelt auch künftig rechnen muss: Tabea Alt.

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