Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

In Österreich weht der Wind jetzt von rechts

Wenn Analysten von einem Rechtsruck im Alpenstaat nach den Wahlen sprechen, schütteln viele Bürger nur den Kopf

- Von Erich Nyffenegge­r

BREGENZ - „Ausländisc­he Mitbürger haben sich uns anzupassen und nicht umgekehrt.“So steht es geschriebe­n auf der Internetse­ite der Vorarlberg­er FPÖ (Freiheitli­che Partei Österreich) unter dem Punkt „Integratio­n mutig einfordern“. Der Österreich­er im Allgemeine­n, und der Vorarlberg­er im Besonderen, ist ein Freund der klaren Worte. So auch der Rentner und FPÖ-Anhänger Karl, der am vergangene­n Donnerstag, drei Tage vor den Nationalra­tswahlen, an einem Imbiss in Bregenz am Tresen lehnt. Polternd dröhnt seine Stimme, während der Dönermann mit schwungvol­ler Eleganz Fleisch vom Spieß säbelt und dabei vielsagend grinst. Der Imbiss liegt an der Durchgangs­straße Richtung Schweiz, die stets verstopft ist von Mautflücht­lingen. Arbeiter und Angestellt­e der Firmen aus der Umgebung haben Mittagspau­se. Karl irgendwie auch, obwohl er ja schon seit langer Zeit in Pension ist, in Frühpensio­n, um genau zu sein. „Viel zu früh. Aber am Bau bist’ halt glei’ weg vom Fenster, wenn du’s im Kreuz hast“, sagt der Herr Karl, dessen violett geäderte Wangen mit der bunten Reklame des Imbiss’ um die Wette leuchten.

Wie rechts ist die Mitte?

Aus seiner Sicht taugt Österreich als Vorbild für Deutschlan­d: „Die politische Korrekthei­t bei euch da drüben ist ja ein Wahnsinn“, antwortet er auf die Frage nach der Stimmung, so kurz vor der Wahl, und nimmt noch einen Schluck aus seiner Bierflasch­e. Dann stellt er sie bedächtig auf den Tresen, damit er die Hände zum Gestikulie­ren frei hat. „Bei uns in Österreich ist das so ...“Er macht eine lange Pause, greift wieder nach seinem Bier und gibt viel kürzer als geplant zu Protokoll: „Bei uns regiert eh bald die FPÖ.“

Den Kanzler stellen wird die Partei nicht, wie sich am Sonntagabe­nd herausgest­ellt hat. Doch augenschei­nlich finden in Österreich Bekenntnis­se weit rechts von der früher so bequem zu definieren­den Mitte weitaus mehr Gehör als bei uns: Schließlic­h hat nicht nur die von Haus aus rechtspopu­listische FPÖ Zugewinne auf nunmehr 27,4 Prozent der Stimmen erreicht. Die Österreich­ische Volksparte­i (ÖVP) hat – anders als zum Beispiel die CSU in Bayern bei der Bundestags­wahl – mit einem restriktiv­en Kursschwen­k in der Flüchtling­spolitik satte Gewinne eingefahre­n. Unter Sebastian Kurz, der in Österreich so verehrt wird, wie Karl Theodor zu Guttenberg zu seinen besten Zeiten in Deutschlan­d, ist die Ablehnung gegen Geflüchtet­e und Fremde allgemein in die Mitte gerutscht, oder eben die Mitte nach rechts.

So genau kann das Walter Jielg aus Bregenz auch nicht sagen. Und es kümmert den Unternehme­r sowieso nicht besonders. „Solche Diskussion­en mit dem Rechts oder Links gibt es bei uns gar nicht“, sagt Jielg und schließt dann den Satz an: „Eure AfD hat in Österreich schon immer FPÖ geheißen.“Ob er die Freiheitli­chen selbst wähle? „Sagen wir so: Mit den Grünen können Sie gegen die Flüchtling­skrise nichts ausrichten, mit den Roten auch nicht.“Viel bleibt da nicht mehr übrig. Und obwohl Walter Jielg in seiner gepflegten Art das glatte Gegenteil von Herrn Karl aus dem Imbiss darstellt, gehört doch auch er zu den Wählern der annähernd 60 Prozent, die ihre Stimme Parteien gegeben haben, die entweder offen ausländerf­eindlich auftreten, oder sich des galanten Schwiegerm­ütter-Ideals Sebastian Kurz bedienen. Der – so schreiben es seriöse Zeitungen unisono – viel zu intelligen­t ist, als dass er selbst an die diffusen Ängste einer Überfremdu­ng glauben würde, die er im Wahlkampf fleißig geschürt hat.

Walter Jielg ist sicher keiner von denen, die je mit Nazi-Parolen auffallen würden. Es liege ihm die Kultur seines Landes sehr am Herzen, sagt er glaubhaft. Es ärgert ihn, dass Menschen von „ganz woanders“in Österreich – selbst wenn sie schon Jahre da seien – nicht auf der Straße grüßten. „Das ist doch das Erste, wenn es um Integratio­n geht: Dass man sich gegenseiti­g grüßt.“Tatsächlic­h wird mit jedem Gespräch unter Österreich­ern deutlich, dass die Grenzen zwischen Patriotism­us und Nationalis­mus nicht permanent ausverhand­elt werden, wie das in Deutschlan­d der Fall ist.

Tradition in Blau

Das Phänomen des Rechtspopu­lismus in der Alpenrepub­lik hat eine lange Tradition und ist auch in der Vergangenh­eit schon deutlich offener und bürgerlich­er zutage getreten als beim großen Nachbarn BRD, zumindest vor den Zeiten der AfD. Jörg Haider, der als Vorsitzend­er der FPÖ mindestens so viel Strahlkraf­t hatte wie Franz-Josef Strauß für die CSU in Bayern, lobte bereits 1995 öffentlich die Veteranen der Waffen-SS auf einem Kameradsch­aftsabend. Zu der Zeit saß ein Alexander Gauland, der vor der jüngsten Bundestags­wahl als AfD-Chef anregte, stolz auf die deutschen Wehrmachts­soldaten zu sein, noch als braver CDU-Hinterbänk­ler im Bonner Parlament.

Wer in Vorarlberg Menschen finden möchte, die jenseits der 60 Prozent FPÖ und ÖVP etwas anderes gewählt haben, muss sich schon eine Weile durchfrage­n. Dabei trifft er auf junge Leute wie zum Beispiel die 19jährige Jana, deren Kreuzchen der Kommunisti­schen Partei Österreich­s (KPÖ) gehört. Und dann gibt es da noch die Familie Gratzer. Sie lebt in Hohenweile­r, dem westlichst­en Dorf Vorarlberg­s, das sich ganz nah an die deutsche Grenze zum Landkreis Lindau schmiegt. Ein Einfamilie­nhaus inklusive Rasen mit gepflegtem Kurzhaarsc­hnitt. Ein Mädchen, ein Junge. Mama Lehrerin, Papa Standesbea­mter. Mittelschi­cht, politisch interessie­rt, besonnen und ein bisschen verzweifel­t, denn: „Österreich gibt gerade kein schönes Bild ab“, sagt Martin Gratzer und seine Frau Sylvia nickt. Ein Land, um das sie sich offenbar Sorgen machen. Mit dem zweiten Platz für die FPÖ sind die schlimmste­n Befürchtun­gen der Familie eingetrete­n. Vor der Wahl waren sie sich noch nicht sicher gewesen, ob sie ihrem Herzen folgen oder strategisc­h abstimmen sollen, um mit dem Kreuz bei der SPÖ Schwarz-Blau zu verhindern. Das könnte neben der Aufspaltun­g der Grünen auch ein Teil der Erklärung sein, warum diese einen solch drastische­n Absturz um fast zehn Prozentpun­kte erleiden mussten und künftig nicht mehr im Parlament vertreten sind.

Unabhängig von den parteipoli­tischen Vorlieben – fast jeder Angesproch­enen – ob links, Mitte, rechts und noch rechter: Kaum jemand lässt ein gutes Haar an der politische­n Klasse insgesamt. Da macht auch Gabriele Mons aus Bregenz keine Ausnahme: „Wir machen einen verheerend­en Eindruck.“Sie schäme sich für den politische­n Betrieb in Wien, wie es auch der Unternehme­r Wolfgang Jielg vor ihr schon – mit andern Worten zwar – ausgedrück­t hatte. Insbesonde­re die Schlammsch­lacht der Sozialdemo­kraten (SPÖ) um Noch-Kanzler Christian Kern, der als Kampagnens­trategen mit Silberstei­n eher eine Dreckschle­uder statt eines Beraters im Team hatte, vertieft die Kluft zwischen Volk und Volksvertr­etern.

Wem das Kreuzchen von Gabriele Mons am Ende gehört, bleibt das Geheimnis der Mittvierzi­gerin. „Das ist und bleibt Privatsach­e. Bei der FPÖ aber sicher nicht.“Das würde der Herr Karl vom Imbissstan­d aber gar nicht so gerne hören. Denn er hat sein Kreuz den Freiheitli­chen gegeben, wenn er es am vergangene­n Sonntag rechtzeiti­g vom Imbissloka­l ins Wahllokal geschafft haben sollte.

 ?? FOTO: DPA ?? Anhänger der rechtspopu­listischen FPÖ jubeln über das gute Abschneide­n ihrer Partei bei den Wahlen in Österreich. Deutschlan­d könne von den Nachbarn lernen.
FOTO: DPA Anhänger der rechtspopu­listischen FPÖ jubeln über das gute Abschneide­n ihrer Partei bei den Wahlen in Österreich. Deutschlan­d könne von den Nachbarn lernen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany