Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Provokateur
1,91 Meter, Schuhgröße 49, gut sitzende Anzüge, modische Brille – CDU-Aufsteiger Jens Spahn, 37, wirkt eher wie ein hipper Großstädter, denn wie ein Katholik aus der Provinz – doch ganz so smart wie sein österreichischer Parteifreund Sebastian Kurz dann auch wiederum nicht. Dem hat er am Sonntagabend über das soziale Netzwerk Twitter gratuliert: „Glückwunsch an den künftigen Kanzler der Republik Österreich.“Dazu ein Foto von sich Seite an Seite strahlend mit dem Wahlsieger.
Das Selfie ist ein Seitenhieb, eine kleine Provokation und ein klares Statement. Der Hoffnungsträger der Konservativen in der CDU Deutschlands im Schulterschluss mit dem Shooting-Star der Schwesterpartei ÖVP. Gute Laune in Wien, während die CDU in Hannover und Berlin Wunden leckt und nach Erklärungen für die erneute schwere Niederlage sucht. Seht her, wie Konservative Wahlen gewinnen können, lautet seine Botschaft an die eigene Partei.
Kurz ist jetzt nach dem Wahlerfolg dort, wo Spahn noch hin will. Die Junge Union hatte ihn auf ihrem Deutschlandtag in Dresden erst kürzlich stürmisch und mit stehenden Ovationen gefeiert, sieht in dem Christdemokraten aus dem Münsterland einen Mann der Zukunft für die Nach-Merkel-Zeit. Nicht wenige fühlen sich bei den Auftritten des eloquenten und scharfzüngigen Redners an den jungen Friedrich Merz, den früheren Chef der Bundestagsfraktion und Merkel-Rivalen erinnert.
Der CDU-Finanzstaatssekretär hatte in der Vergangenheit immer wieder Kritik am Kurs der CDU und auch an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin geübt, kontroversere Debatten in der Parteiführung gefordert. Er will die Union neu ausrichten, und dies vor allem in der Zuwanderungsund Integrationspolitik. Spahn warnt vor einem ,Weiter so‘ nach dem enttäuschenden Ergebnis der Bundestagswahl mit minus acht Prozent, verlangt ein klares Signal von Merkel. Und das müsse lauten: „Wir haben verstanden.“
Andreas Herholz