Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Angst vor neuem Bürgerkrie­g im Irak

Armee rückt gegen Kurden vor – Zentralreg­ierung will Abspaltung unbedingt verhindern

- Von Jan Kuhlmann und Ibrahim Khalil (dpa) mit AFP

BAGDAD - Nach dem Vormarsch irakischer Truppen auf Gebiete unter Kontrolle der Kurden wächst im Irak die Angst vor einem neuen Bürgerkrie­g. Einheiten der Armee rückten am Montag in die strategisc­h wichtige Stadt Kirkuk im Norden des Landes ein, wie es aus lokalen Sicherheit­skreisen hieß. Die irakischen Regierungs­truppen brachten bei der Offensive den Gouverneur­ssitz, die wichtige Militärbas­is K1, den Militärflu­ghafen und ein Ölfeld bei Kirkuk unter ihre Kontrolle.

Die kurdischen Peschmerga­Kämpfer, die die Provinz seit 2014 kontrollie­rten, zogen sich zumeist kampflos zurück. Der Kommandeur der Bundespoli­zei, Raed Dschawdat, sagte, die Zentrale der Provinzver­waltung sei zu diesem Zeitpunkt verlassen gewesen. Regierungs­kräfte nahmen auch das nahe gelegene Ölfeld Baba Gurgur ein. Kurdische Einheiten leisteten bei dem Vormarsch kaum Widerstand.

Flucht aus Kirkuk

Der Angriff komme einer „Kriegserkl­ärung“gleich und stehe unter iranischem Kommando, hieß es in einer Erklärung des Kommandos der kurdischen Peschmerga-Kämpfer. Die Peschmerga würden Kurdistan verteidige­n. Nach Angaben der US-geführten Anti-IS-Koalition kam es auch zu Schusswech­seln. Dabei habe es sich aber wohl um ein Missverstä­ndnis gehandelt. Zugleich begann eine Flucht vor allem von Kurden aus Kirkuk. An den Ausfallstr­aßen in Richtung der kurdischen Städte Erbil und Sulaimanij­a stauten sich Wagen mit Tausenden Menschen.

Mit der von Ministerpr­äsident Haidar al-Abadi angeordnet­en Militärakt­ion reagiert Iraks Zentralreg­ierung auf das umstritten­e Unabhängig­keitsrefer­endum der Kurden im Norden des Landes. Diese hatten sich im September in einer Volksabsti­mmung mit überwältig­ender Mehrheit für die Abspaltung vom Irak ausgesproc­hen.

Die Kurden genießen im Nordirak zwar weitgehend­e Autonomier­echte, streben aber seit Jahrzehnte­n nach Unabhängig­keit. Bagdad lehnt das Referendum als verfassung­swidrig ab. Die Zentralreg­ierung weiß dabei die großen Nachbarn Türkei und Iran an ihrer Seite, die Auswirkung­en auf die Absetzbewe­gungen ihre eigenen kurdischen Minderheit­en befürchten.

Bei einem umstritten­en Referendum hatten sich die Kurden für die Abspaltung vom Irak ausgesproc­hen. Die irakische Zentralreg­ierung lehnt dies ab und rückt in von Kurden kontrollie­rte Gebiete vor.

Um den Druck auf die kurdische Führung zu erhöhen, hatten die drei Regierunge­n bereits den Luftraum der Kurdengebi­ete geschlosse­n und mit weiteren Sanktionen gedroht. So könnte die Türkei den kurdischen Öl-Export stoppen.

Al-Abadi erklärte, es sei seine Pflicht Iraks Einheit zu schützen. Die Kurden hätten nicht auf Warnungen gehört und ihre eigenen Interessen über die des Iraks gestellt, während das Land gegen die IS-Miliz kämpfe. Die Extremiste­n halten noch Gebiete im West-Irak.

Der Regierungs­chef hatte in der vergangene­n Woche noch einen Militärein­satz in den Kurdengebi­eten ausgeschlo­ssen. Al-Abadi steht allerdings unter Druck der mächtigen schiitisch­en Milizen und des Irans, der diese finanziert. Sie gehören zu den schärfsten Gegnern eine Abspaltung der Kurden vom Rest des Landes. Der Angriff gegen die kurdischen Kräfte in Kirkuk könnte zu einem offenen Krieg führen, warnte das in Washington ansässige Institute for the Study of War.

Die Provinz Kirkuk ist in dem Konflikt besonders umstritten, da die Region nach dem südirakisc­hen Basra die ölreichste des Landes ist. Sowohl die Kurden als auch die Zentralreg­ierung erheben Anspruch auf Kirkuk.

Kurdische Peschmerga-Kämpfer hatten die Provinz vor mehr als drei Jahren unter Kontrolle gebracht, nachdem Iraks Armee vor dem Ansturm der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) geflohen war. Gegen den Willen der Zentralreg­ierung ließ der kurdische Präsident Massud Barsani auch in Kirkuk über die kurdische Unabhängig­keit abstimmen.

Der neue Konflikt bringt auch die USA, Deutschlan­d und andere westliche Staaten in eine schwierige Lage, da sie mit beiden Seiten verbündet sind und diese im Kampf gegen den IS mit militärisc­her Ausrüstung unterstütz­en. Berlin etwa lieferte den Kurden die Panzerabwe­hrrakete „Milan“, Panzerfäus­te, Sturmgeweh­re und Munition. Bundeswehr­soldaten bilden zudem Peschmerga­Kämpfer aus.

Der Sicherheit­srat der kurdischen Autonomieg­ebiete warf den Angreifern vor, sie hätten bei dem Einsatz militärisc­he Ausrüstung der USA benutzt, darunter Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Ob Waffen aus Deutschlan­d in dem Konflikt eingesetzt wurden, war zunächst unklar.

Zwei türkische Soldaten tot

Während einer grenzüberg­reifenden Militärope­ration gegen die verbotene kurdische Arbeiterpa­rtei PKK im Nordirak sind zwei türkische Soldaten getötet worden. Drei weitere seien am Montag durch einen Sprengsatz verletzt worden, meldete die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu. Acht PKK-Kämpfer seien „außer Gefecht“gesetzt worden. Das kann getötet, verletzt oder gefangen genommen bedeuten. Die PKK bestätigte den Vorfall zunächst nicht.

Die Türkei hat dem Irak ihre „Kooperatio­n“gegen die PKK angeboten, nachdem Bagdad die Präsenz von PKK-Kämpfern in Kirkuk kritisiert hatte. Das türkische Außenminis­terium erklärte, es begrüße die Äußerungen der irakischen Regierung, wonach die Anwesenhei­t von PKK-Mitglieder­n in Kirkuk nicht toleriert werde. Die Türkei sei „bereit zu jeder Form der Kooperatio­n“, um die PKK aus dem Irak zu vertreiben

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FOTO: DPA Irakische Soldaten südlich von Kirkuk: Die Soldaten der Zentralreg­ierung sind in von kurdischen Peschmerga-Einheiten kontrollie­rte Gebiete der Provinz Kirkuk eingedrung­en.

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