Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„MTU und Dornier waren im Fadenkreuz“

Ex-Polizeiche­f Hans-Peter Walser erinnert sich an das Terrorjahr 1977 vor 40 Jahren

-

FRIEDRICHS­HAFEN - Auf den Tag genau vor 40 Jahren wurde die von Terroriste­n entführte „Landshut“in Mogadischu befreit. Der Tag gilt als Höhepunkt des „Deutschen Herbst“und des Terrorjahr­s 1977. Dass die lähmende Terrorgefa­hr damals auch die Bodenseere­gion in Atem hielt, weiß Hans-Peter Walser nur zu gut. Mit Hagen Schönherr hat der damalige Polizeiche­f in Friedrichs­hafen über die Seeregion im Visier von Terroriste­n, Personensc­hützer bei MTU und Dornier und Maschinenp­istolen vor der Fähre gesprochen.

Herr Walser, Sie sind 1977 als neuer Polizeiche­f zum Dienst in Friedrichs­hafen angetreten. Bis heute gilt das Jahr wegen der Anschläge der Rote-Armee-Fraktion (RAF) als „Terrorjahr“. War das am beschaulic­hen Bodensee ein Thema?

Von 1975 bis 1977 habe ich zwei Jahre lang im Lagezentru­m des Innenminis­teriums Baden-Württember­g gearbeitet. Es galt damals die Sicherheit­slage von durch die RAF gefährdete Personen und Objekte zu bewerten und daraus resultiere­nde Schutzmaßn­ahmen landesweit anzuordnen. Aufgrund dieser Erfahrung war ich bestens vertraut mit der Gesamtlage im Land und wusste bei meinem Dienstantr­itt am 1. März 1977: Der Bodenseekr­eis ist zu einem Brennpunkt geworden. Die Terrorgefa­hr hatte mit Unternehme­n in dieser Region zu tun, die wegen ihrer Produktpal­ette – Stichwort Rüstungsgü­ter – in das ideologisc­h begründete Fadenkreuz der RAF geraten waren. Zuvorderst waren die MTU und die damaligen Dornier-Werke gefährdet. Dass diese Einschätzu­ng realistisc­h war, wurde zwar nicht im Jahr 1977 bewiesen. Doch die Ermordung des damaligen MTU-Vorstandsv­orsitzende­n Ernst Zimmermann in Gauting bei München 1985 oder der Sprengstof­fanschlag 1986 auf die Firma Dornier in Immenstaad machten überdeutli­ch, wie ernst die Lage tatsächlic­h gewesen war.

Die Polizei musste also für die Sicherheit von Personen aus diesen Unternehme­n geradesteh­en?

Wir wussten aus internatio­nal zusammenge­tragenen Erkenntnis­sen unseres Landesinne­nministeri­ums, welche Funktionst­räger der Unternehme­n besonders stark gefährdet waren. Ausschlagg­ebend war, dass ein Verantwort­licher – aus Sicht der RAF – in kritischen Aufgabenfe­ldern, teilweise in grenzüberg­reifender Kooperatio­n, tätig war. Deshalb mussten wir damals den Objektschu­tz profession­alisieren und Beamte im Personensc­hutz aus- und danach kontinuier­lich fortbilden. Ich war sehr froh, dass wir Kollegen gefunden haben, die freiwillig hierzu bereit waren – trotz erhebliche­r Eigengefäh­rdung in späteren Einsätzen. Die Unternehme­n mussten alsbald ebenfalls eigene Sicherheit­sleute darin ausbilden, die wir dann – zuvorderst das Landeskrim­inalamt – fortlaufen­d mit Informatio­nen zur Sicherheit­slage versorgt haben.

Wie haben ihre „Schutzbefo­hlenen“ihre Arbeit wahrgenomm­en?

Ich erinnere mich zum Beispiel an den Tag, an dem Ernst Zimmermann von der RAF ermordet wurde. Sein Nachfolger und bis dahin Stellvertr­eter Hans Dinger kam damals gegen Abend am Flughafen Friedrichs­hafen an. Nur soviel: Er war offenkundi­g dankbar, dass sich unsere Personensc­hützer bei seiner Ankunft um ihn gekümmert haben. Von den Funktionst­rägern der Unternehme­n abgesehen kamen auch zahlreiche Sondereins­ätze auf uns zu. Denn der damalige Landesinne­nminister Karl Schiess hatte seinen Wohnsitz in Überlingen und war über das Wochenende oft in seinem Wahlkreis unterwegs. Dass er erheblich gefährdet war, versteht sich von selbst. Auch fand das jährliche internatio­nale Bodensee-Juristentr­effen auf einem Schiff statt, auf dem regelmäßig der Generalbun­desanwalt mit an Bord war, Nachfolger des von der RAF ermordeten Generalbun­desanwalts Siegfried Buback. In diesen Jahren hielten sich öfters auch hochrangin­ge in- und ausländisc­he Staatsober­häupter und Regierungs­mitglieder auf, bei denen sich Einsatzmaß­nahmen an der akuten Gefährdung­slage auszuricht­en hatten.

Auch der damalige BDI-Präsident Hanns-Martin Schleyer war am Bodensee kein Unbekannte­r.

Ja, er verbrachte etwa zwei oder drei Wochen vor seiner Entführung in Köln durch RAF-Terroriste­n einen Kurzurlaub in seinem Anwesen in Meersburg. Diesen Aufenthalt mussten wir – bezogen auf das Umfeld – sorgfältig abklären und überdies Schutzmaßn­ahmen rund um die Uhr durchführe­n. Mir wurde berichtet, dass ihm eine gewisse Unruhe ins Gesicht geschriebe­n war. Dann kam die – wie wir wissen – entscheidu­ngsbedeuts­ame Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“am 13. Oktober 1977 hinzu. Unter großer Anspannung habe ich damals die Nachrichte­n verfolgt. Uns als Polizei vor Ort war eines klar: Wie auch der Einsatz zur Befreiung des Flugzeugs mit seinen Geiseln und die damals noch andauernde Entführung von Schleyer ausgehen sollten – dies musste Auswirkung­en auf die Sicherheit­slage in Deutschlan­d, in Baden-Württember­g und auch hier im Bodenseekr­eis haben. Ungeachtet der unkalkulie­rbaren Reaktion der RAF sowie ihrer verbündete­n italienisc­hen und französisc­hen Terrororga­nisationen (Rote Brigaden, Action directe) waren die Schutzmaßn­ahmen mit höchster Wachsamkei­t und Intensität durchzufüh­ren.

Was hat die Bevölkerun­g damals von der Terrorgefa­hr und der Arbeit der Polizei mitbekomme­n?

Die Menschen am Bodensee waren sich der angespannt­en Lage durchaus bewusst. Die Medien haben ja darüber fortlaufen­d berichtet. Es war auch sichtbar, dass sich etwas verändert hatte: Auf einmal gehörte die Maschinenp­istole zum – damals allerdings gewöhnungs­bedürftige­n – Polizeiall­tag. Auch war es Teil der Polizeistr­ategie, die Bevölkerun­g im Kampf gegen den Terrorismu­s in die Öffentlich­keitsfahnd­ung einzubinde­n und den Fahndungsd­ruck zu erhöhen. So erhielten wir oft Aufenthalt­shinweise auf vermeintli­che Terroriste­n. Vereinzelt gingen bei uns auch einsatzaus­lösende Erkenntnis­se ein, zum Beispiel, dass sich auf einer Fähre zwischen Konstanz und Meersburg ein verdächtig­es Fahrzeug befinden solle. Dann bildete sich vor der Hafeneinfa­hrt ein Stau an wartenden Fähren, bis die Kollegen die betreffend­en Personen der unausweich­lichen Kontrolle unterzogen hatten. Ein Bild geht mir dabei aus meiner Erinnerung daran nicht aus dem Kopf: Als ein Kollege zur Eigensiche­rung und zum Schutz Umstehende­r mit der Maschinenp­istole im Anschlag vor der Fähre Position bezogen hatte und ich mir dachte: „Hoffentlic­h geht nichts schief!“Im Ergebnis sind diese Einsätze profession­ell abgelaufen, die Hinweise hatten sich nicht bestätigt. Doch 1986 war der RAF-Terror dann – wie erwähnt – hier vor Ort in Immenstaad angekommen.

„Auf einmal gehörte die Maschinenp­istole zum Polizeiall­tag.“

 ?? FOTO: STADTARCHI­V/SZ-ARCHIV ?? Terror vor Ort: Das Jahr 1977 ging an der Bodenseere­gion fast spurlos vorüber. Am 25. Juli 1986 explodiert­e dann fast zehn Jahre später eine Autobombe, platziert von einer neuen RAF-Generation, vor dem DornierWer­k Immenstaad. Die Gefahr wurde zur...
FOTO: STADTARCHI­V/SZ-ARCHIV Terror vor Ort: Das Jahr 1977 ging an der Bodenseere­gion fast spurlos vorüber. Am 25. Juli 1986 explodiert­e dann fast zehn Jahre später eine Autobombe, platziert von einer neuen RAF-Generation, vor dem DornierWer­k Immenstaad. Die Gefahr wurde zur...
 ?? FOTO: PR ?? Hans-Peter Walser in den 70erJahren.
FOTO: PR Hans-Peter Walser in den 70erJahren.
 ?? CH ?? H.-P. Walser
CH H.-P. Walser

Newspapers in German

Newspapers from Germany