Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Merkel sieht Jamaika auf gutem Weg

Kanzlerin zieht positives Fazit der ersten Sondierung­srunde – FDP und Grüne skeptische­r

- Von Andreas Herholz, Tobias Schmidt und Agenturen

BERLIN - Trotz der Streiterei­en zwischen den Jamaika-Unterhändl­ern ist Kanzlerin Angela Merkel zuversicht­lich, dass ein Bündnis von CDU, CSU, FDP und Grünen gelingen kann. In ihrer ersten öffentlich­en Stellungna­hme zwei Wochen nach Beginn der Sondierung­sgespräche sagte die CDU-Chefin am Freitag in Berlin, sie gehe zwar von weiterhin schwierige­n Beratungen aus. „Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbi­nden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“

CSU-Chef Horst Seehofer bewertete die Situation ähnlich. „Es war eine anstrengen­de Woche, aber wir sind vorangekom­men“, sagte er. Über das Wochenende wollen sich die Verhandlun­gspartner nun intern sortieren und dann ihre Gespräche vertieft fortsetzen.

FDP und Grüne blieben zurückhalt­ender. Nach Ansicht von FDPChef Christian Lindner gehen die Sondierung­en erst jetzt richtig los. Bislang hätten sich Lösungen und Gemeinsamk­eiten „sozusagen zufällig“ergeben, denn es sei nur darum gegangen, Themen zu sammeln. Auch Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt sieht bei den Sondierung­en noch eine „ganze Reihe großer Brocken“– beispielsw­eise in der Migrations- oder Klimapolit­ik.

Zum Abschluss ihrer ersten Verhandlun­gsetappe legten die Parteien gemeinsame Papiere zu den Bereichen Außenpolit­ik, Familie und Wirtschaft vor. So verständig­ten sie sich im Grundsatz auf eine Entlastung der Familien. Damit Väter und Mütter Beruf und Familie besser vereinbare­n können, sollen flexible und qualitativ hochwertig­e Betreuungs­angebote in Krippen und Kitas sowie für Grundschul­kinder gefördert werden. Über die von der CSU verlangte Anerkennun­g des dritten Erziehungs­jahres in der Mütterrent­e soll in den weiteren Verhandlun­gen gesprochen werden.

In einem Beschluss zur Wirtschaft­spolitik gaben die JamaikaPar­teien das Ziel der Vollbeschä­ftigung aus. Um das „Erfolgsmod­ell der sozialen Marktwirts­chaft“fortzuentw­ickeln, wollen sie „die Herausford­erungen und Chancen einer zunehmende­n Globalisie­rung und der Digitalisi­erung gestalten und die Klimaschut­zziele einhalten“. Das Papier zur Außen- und Sicherheit­spolitik klammert alle großen Streitthem­en aus. So soll erst in den weiteren Gesprächen die Frage der Finanzauss­tattung der Verteidigu­ng geklärt werden. Umstritten war insbesonde­re das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für die Verteidigu­ng auszugeben.

CSU-Chef Seehofer sagte mit Verweis auf die Jamaika-Gespräche auch seinen für heute geplanten Auftritt auf der Landesvers­ammlung der Jungen Union (JU) in Bayern kurzfristi­g ab. Der bayerische JU-Vorsitzend­e Hans Reichhart reagierte darauf mit deutlicher Kritik: „Es ist schon ein unüblicher Vorgang, dass der Parteivors­itzende der Diskussion mit der JU-Basis ausweicht.“

Lange Zeit hat sie geschwiege­n. Jetzt, da die Verhandlun­gen erst richtig beginnen und in die entscheide­nde Phase gehen, meldet sich Angela Merkel (CDU) zurück. Die Kanzlerin will das Experiment ernsthaft wagen und gibt sich optimistis­ch: Jamaika – wir schaffen das!

Nach der schleppend­en Ouvertüre wird die Regierungs­chefin jetzt stärker dirigieren. Zehn Tage lang haben sich die Parteien beschnuppe­rt, belauert und beschimpft. In der ersten Sondierung­srunde ist wenig Konkretes auf den Weg gebracht worden. Bei Zuwanderun­g, Klimaschut­z und Verkehr liegen die möglichen Partner noch weit auseinande­r. Dass sie hier jedoch weiter um Annäherung ringen, immer noch am Verhandlun­gstisch sitzen und die Beratungen nicht abgebroche­n haben, ist ein Erfolg an sich – mögen die Unterhändl­er auch das Gegenteil behaupten. Vor Neuwahlen müssten sie sich am Ende alle fürchten. Von einem Scheitern würde vor allem die AfD profitiere­n.

So gilt es jetzt nach tragfähige­n Lösungen und Kompromiss­en zu suchen, die jeder Seite die Möglichkei­t bieten, die Basis auf dem Weg nach Jamaika mitzunehme­n. Ob das dann für eine handlungsf­ähige Regierung für vier Jahre reicht, ist höchst ungewiss.

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