Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Merkel sieht Jamaika auf gutem Weg
Kanzlerin zieht positives Fazit der ersten Sondierungsrunde – FDP und Grüne skeptischer
BERLIN - Trotz der Streitereien zwischen den Jamaika-Unterhändlern ist Kanzlerin Angela Merkel zuversichtlich, dass ein Bündnis von CDU, CSU, FDP und Grünen gelingen kann. In ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme zwei Wochen nach Beginn der Sondierungsgespräche sagte die CDU-Chefin am Freitag in Berlin, sie gehe zwar von weiterhin schwierigen Beratungen aus. „Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“
CSU-Chef Horst Seehofer bewertete die Situation ähnlich. „Es war eine anstrengende Woche, aber wir sind vorangekommen“, sagte er. Über das Wochenende wollen sich die Verhandlungspartner nun intern sortieren und dann ihre Gespräche vertieft fortsetzen.
FDP und Grüne blieben zurückhaltender. Nach Ansicht von FDPChef Christian Lindner gehen die Sondierungen erst jetzt richtig los. Bislang hätten sich Lösungen und Gemeinsamkeiten „sozusagen zufällig“ergeben, denn es sei nur darum gegangen, Themen zu sammeln. Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sieht bei den Sondierungen noch eine „ganze Reihe großer Brocken“– beispielsweise in der Migrations- oder Klimapolitik.
Zum Abschluss ihrer ersten Verhandlungsetappe legten die Parteien gemeinsame Papiere zu den Bereichen Außenpolitik, Familie und Wirtschaft vor. So verständigten sie sich im Grundsatz auf eine Entlastung der Familien. Damit Väter und Mütter Beruf und Familie besser vereinbaren können, sollen flexible und qualitativ hochwertige Betreuungsangebote in Krippen und Kitas sowie für Grundschulkinder gefördert werden. Über die von der CSU verlangte Anerkennung des dritten Erziehungsjahres in der Mütterrente soll in den weiteren Verhandlungen gesprochen werden.
In einem Beschluss zur Wirtschaftspolitik gaben die JamaikaParteien das Ziel der Vollbeschäftigung aus. Um das „Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft“fortzuentwickeln, wollen sie „die Herausforderungen und Chancen einer zunehmenden Globalisierung und der Digitalisierung gestalten und die Klimaschutzziele einhalten“. Das Papier zur Außen- und Sicherheitspolitik klammert alle großen Streitthemen aus. So soll erst in den weiteren Gesprächen die Frage der Finanzausstattung der Verteidigung geklärt werden. Umstritten war insbesondere das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben.
CSU-Chef Seehofer sagte mit Verweis auf die Jamaika-Gespräche auch seinen für heute geplanten Auftritt auf der Landesversammlung der Jungen Union (JU) in Bayern kurzfristig ab. Der bayerische JU-Vorsitzende Hans Reichhart reagierte darauf mit deutlicher Kritik: „Es ist schon ein unüblicher Vorgang, dass der Parteivorsitzende der Diskussion mit der JU-Basis ausweicht.“
Lange Zeit hat sie geschwiegen. Jetzt, da die Verhandlungen erst richtig beginnen und in die entscheidende Phase gehen, meldet sich Angela Merkel (CDU) zurück. Die Kanzlerin will das Experiment ernsthaft wagen und gibt sich optimistisch: Jamaika – wir schaffen das!
Nach der schleppenden Ouvertüre wird die Regierungschefin jetzt stärker dirigieren. Zehn Tage lang haben sich die Parteien beschnuppert, belauert und beschimpft. In der ersten Sondierungsrunde ist wenig Konkretes auf den Weg gebracht worden. Bei Zuwanderung, Klimaschutz und Verkehr liegen die möglichen Partner noch weit auseinander. Dass sie hier jedoch weiter um Annäherung ringen, immer noch am Verhandlungstisch sitzen und die Beratungen nicht abgebrochen haben, ist ein Erfolg an sich – mögen die Unterhändler auch das Gegenteil behaupten. Vor Neuwahlen müssten sie sich am Ende alle fürchten. Von einem Scheitern würde vor allem die AfD profitieren.
So gilt es jetzt nach tragfähigen Lösungen und Kompromissen zu suchen, die jeder Seite die Möglichkeit bieten, die Basis auf dem Weg nach Jamaika mitzunehmen. Ob das dann für eine handlungsfähige Regierung für vier Jahre reicht, ist höchst ungewiss.