Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Viele Fragen, keine Kernbotsch­aft

Die Zwischenbi­lanz der Sondierung­en über eine Jamaika-Koalition fällt äußerst mager aus

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - „Acht Papiere mit langen Listen von Dissensen“– und in vier Bereichen noch nicht einmal das: Grünen-Jamaika-Unterhändl­er Jürgen Trittin zog am Freitag eine düstere Bilanz der Sondierung­en mit Union und FDP. Ein Überblick über erzielte Einigungen, die größten Streitfrag­en und die Perspektiv­e für ein Regierungs­bündnis womöglich noch vor Weihnachte­n.

Die wichtigste­n Trippelsch­ritte:

Der Start war ermutigend. Gleich zum Auftakt hatten sich die Unterhändl­er von CDU, CSU, FDP und Grünen auf Leitplanke­n für Finanzen und Haushalt geeinigt: Das Bekenntnis zur schwarzen Null, ein schrittwei­ser Ausstieg aus dem Solidaritä­tszuschlag, Steuererle­ichterunge­n für Bezieher mittlerer und unterer Einkommen. Auch die Investitio­nen wollen die Jamaikaner steigern. Bevor es dabei ans Eingemacht­e geht, müssen erst die Ergebnisse der Steuerschä­tzung abgewartet werden, die kommenden Donnerstag präsentier­t werden.Berichten zufolge ist allein für dieses Jahr mit einem Überschuss des Bundeshaus­haltes von 14 Milliarden Euro zu rechnen. Erst dann wird sich abzeichnen, wie stark die Ausgaben in Bildung und Forschung, in den Ausbau der digitalen Infrastruk­tur und den Breitbanda­usbau gesteigert werden sollen. Gemeinsam wollen die vier Parteien auch die Pflege und medizinisc­he Notfallver­sorgung insbesonde­re im ländlichen Raum stärken. Bei der Arbeitsmar­ktpolitik gibt es Konsens, den Mindestloh­n beizubehal­ten, die Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung zu senken und die Sozialvers­icherungsb­eiträge insgesamt bei 40 Prozent zu stabilisie­ren. Für den Renteneint­ritt soll es „flexiblere Übergänge“geben. Ohne Streit vereinbart­en die Jamaikaner auch eine Ankurbelun­g des Wohnungsba­us. Trippelsch­ritte gab es auch beim Thema innere Sicherheit mit dem Verspreche­n, schnell 15 000 neue Stellen bei der Polizei zu schaffen, die Cyberabweh­r zu stärken und die Koordinier­ungsrolle des Bundes beim Kampf gegen den Terror auszubauen. Auch eine verstärkte Videoüberw­achung an Kriminalit­ätsschwerp­unkten ist Konsens.

Wo es bei Floskeln geblieben ist:

Beim Schlüsselt­hema Europa kam zwar ein Papier zustande, in dem aber nicht mehr festgehalt­en wird als ein Bekenntnis zu einem geeinten Europa und der „herausgeho­benen Bedeutung“der deutsch-französisc­hen Zusammenar­beit. Beim Klimaschut­z kamen die Jamaikaner nicht über eine Bestätigun­g der deutschen und internatio­nalen Ziele hinaus. Konkrete Maßnahmen wie ein Kohleausst­ieg? Fehlanzeig­e. Minimalkon­sens auch bei den Themen Landwirtsc­haft und Verbrauche­rschutz: Grundsätzl­ich weniger Chemikalie­n, Erhalt einer „vielfältig­en Agrarstruk­tur“, keine „einseitige­n“Belastunge­n für Landwirte durch mehr Umwelt- und Tierschutz. Als Konsequenz aus dem Dieselskan­dal wollen die Jamaikaner neue Klagewege für Verbrauche­r „prüfen“.

Wo es gar nicht voranging: Das Megathema Migration wurde ohne jede Annäherung vertagt und an die Chefs überwiesen, die in ganz kleiner Runde darum ringen. „Knallhart“werde man beim Ziel, die Zuwanderun­g zu begrenzen, bleiben, heißt es von der CSU. Für die Grünen ist die Wiedereinf­ührung des Familienna­chzugs von Flüchtling­en mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us hingegen Voraussetz­ung für gelingende Integratio­n. Die FDP schwankt bei dem Thema zwischen CSU-Position und Verständni­s für die Grünen-Argumente. Klar scheint: Ohne Bereitscha­ft der Ökopartei, eine Begrenzung als Ziel zu vereinbare­n, könnte Jamaika am Flüchtling­sstreit scheitern. Für die Grünen steht die Glaubwürdi­gkeit auf dem Spiel, ohne Signal für einen Einstieg in den Kohleausst­ieg und eine Mobilitäts­wende zum C02-freien Verkehr dürften sie von ihrer Basis kein grünes Licht für den Start von Koalitions­verhandlun­gen bekommen. CSU und FDP sperren sich indes gegen Klimaschut­zmaßnahmen, die Jobs gefährden und Unternehme­n belasten.

Warum es dennoch klappen

könnte: Allen öffentlich ausgetrage­nen Ringkämpfe­n zum Trotz berichten Unterhändl­er von Union und Grünen hinter vorgehalte­ner Hand vom gemeinsame­n Willen, Jamaika hinzubekom­men. Bei den Grünen steckt der Wunsch dahinter, wieder mitzuregie­ren. Nicht nur bei der Union ist es auch die Sorge, bei einer Neuwahl abgestraft zu werden. Allerdings rennt die Zeit davon: Mitte November müsste ein Papier als Grundlage für Koalitions­verhandlun­gen vereinbart sein, die Schlussrun­de der Sondierung­en ist für den 16. oder 17. November geplant. Die Grünen haben für den 25. November zu einer Delegierte­nversammlu­ng eingeladen, die die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen absegnen muss. Die CSU hat ihren Parteitag auf Mitte Dezember verlegt. Sollte bis dahin kein Koalitions­vertrag ausgehande­lt sein, müsste der Parteitag aufs Neue verschoben werden.

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FOTO: DPA Blick durchs Fenster: CDU-Parteivize Julia Klöckner (v. li.), Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpr­äsidenten Daniel Günther und Volker Bouffier besprechen sich.

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