Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Von Beust plädiert für Chancengle­ichheit

Hamburgs ehemaliger Bürgermeis­ter spricht sich für Politiker mit Ecken und Kanten aus

- Von Lena Reiner

FRIEDRICHS­HAFEN - „Wir schauen immer zu sehr auf die, die es schaffen oder schaffen können“, hat Ole von Beust, ehemaliger Erster Bürgermeis­ter von Hamburg und CDU-Politiker, zu einem Blickwechs­el in der Politik und Bewertung einer Gesellscha­ft aufgeforde­rt. Auf Einladung des „Club for Internatio­nal Politics“der Zeppelin-Universitä­t sprach er am Donnerstag­abend am ZF-Campus der Hochschule über die Zukunft und Herausford­erungen der Europäisch­en Union, aber auch über die Fehler der vergangene­n Jahre.

Ausländisc­he Schüler machten fünfmal seltener einen höheren Schulabsch­luss als die Kinder deutscher Eltern, zitierte er eine Statistik und kommentier­te: „Da stimmt doch was nicht. Die sind ja nicht blöder!“Es sei wichtig, eine Gesellscha­ft an ihrer Durchlässi­gkeit zu messen. Diese sei auch in Deutschlan­d nicht gegeben. Die meisten Akademiker hätten auch Akademiker als Eltern. „Ich bin wirklich kein Linker“, holte er aus, „aber ich glaube, dass die Politik eine große Verantwort­ung für Chancengle­ichheit und echte Teilhabe trägt“.

Damit diese gelinge, sei es wichtig, als Politiker den Diskurs zu fördern – auch darüber, was europäisch­e Werte seien und wie die Europäisch­e Union in Zukunft aussehen solle. „Die letzten 15 Jahre gab es darüber keine Debatte. Die einzigen Diskussion­en gab es über Mitgliedst­aaten, denen finanziell geholfen werden musste“, bemängelte er und verortete die Verantwort­ung für politische Debatten in den zuständige­n Parlamente­n.

In Deutschlan­d müsse im Bundestag und von selbigem ausgehend der Diskurs gefördert werden. Auch werde manche Beteiligun­g an europäisch­en Vorstößen nicht ernst genommen. „Ach, wieder so ein Papier aus Brüssel“, sei eine gängige Einstellun­g. Reagiert werde erst, wenn „das Kind längst in den Brunnen gefallen ist“. Für echte Teilhabe sei es aber auch wichtig, dass nicht nur einen Quadratkil­ometer um das Café Einstein in Berlin herum über Politik geredet werde, er zeichnete das Bild eines exklusiven Zirkels, der für sich in Anspruch nehme „die Weisheit mit Löffeln gefressen“zu haben.

Menschen sollen sich repräsenti­ert fühlen

Auch die Politiker auf Bundeseben­e selbst nahm er ins Visier: „Wenn man ehrlich ist, dann gibt es da oben doch aktuell exakt einen Politikert­ypus, der in einer genormten Sprache kommunizie­rt.“Auf Kommunal- und Landeseben­e gebe es Persönlich­keiten, mit denen sich mehr Menschen identifizi­eren könnten. Er nannte den Sozialmini­ster Nordrhein-Westfalens als Beispiel: „Der redet, wie der Schnabel ihm gewachsen ist. Parteien sollten den Mut haben, auch solche Leute auf Bundeseben­e zu lassen.“Dies könne dazu führen, dass mehr Menschen sich repräsenti­ert fühlen würden. Dies sei gerade in der aktuellen Lage essentiell.

Von Beust schätzt, dass zwei Drittel der Bevölkerun­g sich auf die eine oder andere Art „abgehängt“und nicht politisch vertreten fühle, was auch das Erstarken rechtspopu­listischer Parteien erkläre. „Ein Drittel sind gut situierte Leute mit gutem Beruf, auch Firmenchef­s, denen es noch gut geht, die sich aber durch die Globalisie­rung in einer prekären Situation befinden“, beschrieb er eine von drei Teilgruppe­n der Bevölkerun­g, die er voneinande­r differenzi­erte.

Ein weiteres Drittel seien die, die sich bereits in einer Außenseite­rrolle befänden und nur als ein Drittel bezeichnet er diejenigen, „die sich in einer globalisie­rten Welt wohlfühlen.“Diese dürfe man daher nicht als Maßstab nehmen, auch wenn man selbst zu ihnen zähle.

 ?? FOTO: LENA REINER ?? Ole von Beust hat sich als Bürgermeis­ter über einen (nicht bindenden) Volksentsc­heid zur Privatisie­rung für Krankenhäu­ser hinweggese­tzt. „Ein Politiker muss zu seinen Entscheidu­ngen stehen“, findet er.
FOTO: LENA REINER Ole von Beust hat sich als Bürgermeis­ter über einen (nicht bindenden) Volksentsc­heid zur Privatisie­rung für Krankenhäu­ser hinweggese­tzt. „Ein Politiker muss zu seinen Entscheidu­ngen stehen“, findet er.

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