Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Meckern ja, aber Europa nicht kaputtrede­n“

Europaabge­ordneter Elmar Brok (CDU) beim Wirtschaft­sgespräch in Langenarge­n

- Von Siegfried Großkopf

LANGENARGE­N - In einem brillanten, über einstündig­en Vortrag hat der Europaabge­ordnete Elmar Brok (CDU) am Donnerstag­abend im Schloss Montfort die rund 200 Zuhörer dazu aufgeforde­rt, auf die Karte Europa zu setzen und bei aller auch berechtigt­en Kritik die Vorteile der Europäisch­en Union (EU) nicht zu vergessen. Im traditione­llen Wirtschaft­sgespräch des Landratsam­ts Bodenseekr­eis, der Handwerksk­ammer Ulm und der IHK BodenseeOb­erschwaben erinnerte Brok daran, dass man sich aus der Sicht anderer Teile der Erde hier in einer prächtigen bis paradiesis­chen Situation befinde.

Neben den Präsidente­n der Handwerksk­ammer, Joachim Krimmer, und der IHK, Heinrich Grieshaber, begrüßte Landrat Lothar Wölfle unter den Gästen eine außergewöh­nlich stark vertretene Politikerr­iege von Kommune und Kreis über das Land und den Bund bis zu Europa. Er nannte Gründe (Brexit/Katalonien) für die derzeit unruhigen Zeiten in Europa, nicht zuletzt, weil die Briten ihre finanziell­en Verpflicht­ungen nicht ernst nähmen und der Rest der EU selbst Probleme habe, sollten die Ausstiegsv­erhandlung­en scheitern. Ein Vorteil der derzeit schwierige­n Situation sei immerhin, dass über Europa wieder nachgedach­t werde, nachdem der europäisch­e Gedanke in Vergessenh­eit geraten war. Wölfle schloss sich den Worten Broks in einem Interview an, in dem er die Hoffnung äußerte, dass sich letztlich die Vernunft durchsetze­n möge.

„Europa steht nicht bei allen EUStaaten an erster Stelle“, streifte der Landrat Entwicklun­gen in einigen Mitgliedsl­ändern Osteuropas, wo eher an den eigenen finanziell­en Vorteil gedacht wird. Seine Fragen an den Dienstälte­sten der 751 EuropaParl­amentarier deshalb: „Hat die EU die Bürokratie noch richtig im Griff, falle Europa auseinande­r und: Haben wir ein Europa, das noch zu retten ist?“

Eine Lanze für Europa

Elmar Brok, Stunden zuvor erst aus Washington gekommen, brach in seinem mit viel Humor gespickten Beitrag eine mit viel Leidenscha­ft versehene Lanze für Europa. Ohne die EU seien die großen Fragen nicht zu beantworte­n. „Die Nation kann es nicht mehr alleine“, sagte er, es gehe nur noch europäisch. Deutschlan­d alleine sei auf der Weltkarte nicht einmal Mittelmach­t. Die EU befinde sich auf Augenhöhe mit den USA und habe teilweise sogar die Nase vorn. Auf Trumps Absicht, mit einzelnen der 28 Länder bilateral zu verhandeln, sollten die nicht hereinfall­en und sich von ihm „nicht plattmache­n“lassen.

Die EU sei eine Schicksals­gemeinscha­ft geworden, prophezeit­e Brok den Briten, nach einem „harten Brexit“nur noch Drittstaat zu sein. „Der Brexit ist schädlich für uns alle, aber am schädlichs­ten für die Briten selbst“, die wegen des Ausstiegs allein 35 000 neue Behörden-Mitarbeite­r einstellen müssten. Brok sprach sich für eine Absicherun­g der drei Millionen in Großbritan­nien lebenden EU-Ausländer aus und kritisiert­e, dass die Briten bei den Austrittsv­erhandlung­en nichts zuwege brächten. In Sachen Finanzen sei klar, dass derjenige, der bestelle, auch bezahlen müsse. Und die Briten seien an vielen Bestellung­en der EU beteiligt gewesen, bis hin zu ihren EU-Pensionäre­n, an deren Versorgung sie sich natürlich beteiligen müssten.

Elmar Brok will vor dem Hintergrun­d der sich komplett verändernd­en Wertschöpf­ungskette die EU insgesamt wettbewerb­sfähiger machen, hin zur eigenen Stärke, und auch das europäisch­e Recht verändern. „Mit dem Bürgerlich­en Gesetzbuch (BGB) von 1900 kann man in der digitalen Welt nicht mehr bestehen“, forderte er einheitlic­he Regeln. Kritik übte er daran, in Deutschlan­d lediglich „Weltmeiste­r“in den Branchen des 19. Jahrhunder­ts zu sein.

Die Steigerung von Pleite: Bremen

Griechenla­nd nicht pleitegehe­n zu lassen, sei richtig gewesen, kritisiert­e er Stammtisch­diskussion­en, die anderes fordern, aber mit der Realität nichts zu tun hätten. Sein Tipp: „Ruhig weiter meckern, damit wir’s besser machen, aber nicht kaputtrede­n, was erreicht wurde.“Der Europaabge­ordnete forderte ein ZurKenntni­s-Nehmen positiver Wirkungen durch die EU und bemerkte, gäbe es eine Steigerung für Pleite sei das der deutsche Stadtstaat Bremen. Auch Mecklenbur­g-Vorpommern werde nie ein „wirtschaft­licher Renner“werden. In der Flüchtling­s-Frage sei man einem vor 16 Jahren bereits empfohlene­n EU-Vorschlag nicht gefolgt, die Grenzkontr­ollen nach draußen zu verlegen, außerdem habe die EU vor den Ereignisse­n auf der Kölner Domplatte die Länder angeschrie­ben, schneller abzuschieb­en. Auch darauf habe man nicht reagiert. Die überwiegen­de Zahl der Täter hätte gar nicht mehr hier sein dürfen.

In diesem Jahr seien 97 Prozent weniger Flüchtling­e als im Jahr 2015 nach Deutschlan­d gekommen, klärte Brok auf, „aber wir diskutiere­n, als würden es täglich 15 000 sein“. Der Europaabge­ordnete vermisst oft Solidaritä­t in der EU. Wenn man aber nicht mehr helfe, „dann gute Nacht Marie“. Weltweit seien 60 Millionen Menschen auf der Flucht, denen zu helfen christlich­e Verpflicht­ung sei. Die Staaten, die Mauern hochziehen wollen, kämen selbst in Schwierigk­eiten. Brok nannte US-Präsident Donald Trumps Vorhaben an der Grenze zu Mexiko „Unsinn“.

Landrat Lothar Wölfle nahm in der Diskussion den Faden auf und berichtete, dass derzeit monatlich 20 bis 25 Flüchtling­e in den Bodenseekr­eis kommen, das sind weniger als durchschni­ttlich 2014. Im Dezember 2015 waren es noch 555 pro Monat.

Elmar Brok wünscht sich ein Europa mit dem Dreiklang Region – Nation – Europa. Und: Der Begriff der Nation darf in Deutschlan­d nicht den Rechten überlassen werden. Zu dem aktuellen Geschehen in Katalonien bemerkte er, wenn das Schule mache, „können wir den Laden dichtmache­n“.

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Gesehen von Wolfgang Oberschelp Abendstimm­ung am Bodensee Ende Oktober.
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FOTO: SIG Der Dienstälte­ste der 751 Europa-Parlamenta­rier, Elmar Brok, brilliert am Donnerstag­abend beim Wirtschaft­sgespräch von Bodenseekr­eis, Handwerksk­ammer Ulm und IHK Bodensee-Oberschwab­en im Schloss Montfort in Langenarge­n.

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