Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
EU verärgert Industrie und Umweltschützer
Autobauern gehen die Klimaschutzpläne zu weit – Experte Dudenhöffer kritisiert Brüssel
BRÜSSEL/BERLIN - Die EU-Kommission hat ihre Klimaschutzpläne für Autos am Mittwoch offiziell beschlossen und damit heftige Kritik auf sich gezogen. Umweltschützer geißelten die vorgesehene Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes um 30 Prozent bis 2030 als zu gering, der Autoindustrie geht die Vorgabe viel zu weit. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, er wolle Europa in eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel bringen, zumal die USA ihre Ambitionen aufgegeben hätten.
Brüssel verspricht sich zudem Einsparungen für Verbraucher an der Zapfsäule. Klimakommissar Miguel Arias Cañete rechnete vor, dass Tanken für einen Neuwagen 2025 im Schnitt jährlich um 600 Euro billiger werde, 2030 sogar um 1500 Euro. Bei Ölimporten könne Europa 2030 rund sechs Milliarden Euro sparen. Bis zu 70 000 neue Jobs seien zu erwarten.
Die Hersteller stellen sich jedoch quer. Der europäische Verband ACEA kritisierte vor allem, dass schon für 2025 ein verbindliches Zwischenziel von minus 15 Prozent vorgesehen ist. Das lasse zu wenig Zeit. Der Verband der Automobilindustrie erklärte, es sei fraglich, dass die neuen CO2-Werte zu schaffen seien. Grüne und Umweltschützer sind aus anderen Gründen verärgert. „Die EU-Kommission ist vor den Autoherstellern eingeknickt“, monierte der ökologisch ausgerichtete Verkehrsclub VCD. „Dieser lasche Vorschlag wird den Verkehrssektor nicht auf Klimakurs bringen.“
Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Autoökonomie an der Universität Duisburg-Essen, sagte zur „Schwäbischen Zeitung“: „Brüssel bleibt auf halbem Wege stehen. Die Grenzwerte sind nicht ehrgeizig genug.“Der Wissenschaftler kritisierte auch die Grünen, die im Rahmen der Sondierungen in Sachen Verbrennungsmotor „eingeknickt“seien. Eine Jamaika-Regierung werde „beim Klimaschutz auf der Bremse bleiben, zum langfristigen Schaden von Klima und Wirtschaft“. Nun würden die Batterien für Elektroautos eben in China und Südkorea gebaut. „Aus Angst vor der Wut der Dieselfahrer werden die alten Zöpfe nicht abgeschnitten.“
BRÜSSEL (dpa) - Die EU-Kommission hat ihre Klimaschutzpläne für Autos bis 2030 offiziell beschlossen und damit sofort heftige Kritik auf sich gezogen. Umweltschützer geißelten die vorgesehene Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes um 30 Prozent am Mittwoch als zu gering, der Autoindustrie geht die Vorgabe viel zu weit. Brüssel verspricht sich davon aber nicht nur wirksamen Klimaschutz und einen Innovationsschub für saubere Autos, sondern auch handfeste Einsparungen für Verbraucher an der Zapfsäule.
Klimakommissar Miguel Arias Cañete rechnete aus heutiger Sicht vor, dass Tanken für einen Neuwagen 2025 im Schnitt jährlich um 600 Euro billiger werde, 2030 sogar um 1500 Euro. Bei Ölimporten könne Europa 2030 rund sechs Milliarden Euro sparen. Bis zu 70 000 neue Jobs seien zu erwarten. Und die Vorschläge würden helfen, so viel Klimagase einzusparen, wie Griechenland und Österreich zusammen pro Jahr in die Luft bliesen, sagte Arias Cañete.
Die Pläne waren schon am Dienstag bekannt geworden. So sollen Neuwagen bis zum Jahr 2025 im Schnitt zunächst 15 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen, bis 2030 dann 30 Prozent weniger. Sonst drohen den Autobauern empfindliche Strafen. Arias Cañete betonte, die Einhaltung der Ziele werde künftig strenger kontrolliert. Dazu würden Verbrauchsanzeigen für alle Neuwagen vorgeschrieben.
Fördermittel für E-Tankstellen
Darüber hinaus will die Kommission bis 2030 möglichst 30 Prozent Neuwagen mit Elektro- oder anderen alternativen Antrieben auf die Straße bringen. Dafür stellt sie 800 Millionen Euro zum Ausbau von Ladestationen für Elektroautos in ganz Europa bereit. Geplant sind auch Vorschriften zur Anschaffung von abgasarmen Autos bei Behörden und die Förderung öffentlicher Verkehrsmittel.
Für die Hersteller will die EU-Behörde ein Anreizsystem: Wenn die Konzerne ihren Anteil an Modellen mit wenig oder gar keinen Abgasen rasch steigern, sollen sie beim Erreichen der Kohlendioxid-Ziele Bonuspunkte bekommen. Dies gilt, wenn 2025 mehr als 15 Prozent und 2030 mehr als 30 Prozent ihrer verkauften Flotte emissionsarm sind.
EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker sagte, er wolle Europa in eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel bringen, zumal die USA ihre Ambition aufgegeben hätten. Sein Vizepräsident Maros Sefcovic beschwor eine Führungsrolle auch für die europäische Industrie, die die „besten, saubersten und wettbewerbfähigsten Autos“bauen solle.
Die Hersteller stellen sich jedoch quer. Der europäische Verband ACEA kritisierte vor allem, dass schon für 2025 ein verbindliches Zwischenziel vorgesehen ist. Das lasse zu wenig Zeit. Der Verband der Automobilindustrie erklärte, es sei mehr als fraglich, dass die neuen Kohlendioxid-Werte zu schaffen seien.
Kritiker hoffen auf EU-Parlament
Von Grünen und Umweltschützern kam nicht weniger heftige Kritik, nur mit anderer Stoßrichtung. „Die EUKommission ist vor den Autoherstellern eingeknickt“, monierte der ökologisch ausgerichtete Verkehrsclub VCD. „Dieser lasche Vorschlag wird den Verkehrssektor nicht auf Klimakurs bringen.“Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem „sehr dünnen“Konzept. Viele Länder seien bereits weiter in Richtung emissionsfreie oder emissionsarme Mobilität. Sein Europakollege Sven Giegold verlangte eine Senkung der Kohlendioxidwerte um 60 Prozent bis 2030.
Ähnlich drastische Einschnitte hält das Umweltbundesamt für nötig. UBA-Präsidentin Maria Krautzberger erklärte: „Wir brauchen eine Minderung der Kohlendioxid-Flottengrenzwerte von fast 70 Prozent im Jahr 2030 gegenüber 2021.“
Derzeit reichen die Regeln bis 2021. Dann dürfen alle Modelle eines Herstellers im Mittel nur 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen. Die neuen Zielvorgaben bauen darauf auf und gelten für die Jahre 2022 bis 2030. Künftig werden die Ziele aber nur noch in prozentualen Minderungsvorgaben ausgedrückt.
Die Kritiker hoffen nun auf das Gesetzgebungsverfahren, an dem das Europaparlament und die EU-Mitgliedsländer beteiligt sind. Die Bundesregierung ist für Ziele, die „ehrgeizig sein sollen und erreichbar“, wie Sprecher Steffen Seibert sagte. Wie sie sich genau positioniert, hängt vom Ausgang der Koalitionsgespräche von Union, FDP und Grünen ab.
Herr Dudenhöffer, die EU fordert 30 Prozent weniger KohlendioxidEmissionen beim Autoverkehr bis 2030. Reicht das?
Brüssel bleibt auf halbem Wege stehen! Die Grenzwerte sind nicht ehrgeizig genug. Und die Einhaltung wird auch in Zukunft nicht effizient kontrolliert und Tricksereien bleiben ungestraft. Strengere Grenzwerte und ein sauberes Kontrollregime wären möglich gewesen und hätten die Industrie zu mehr Anstrengungen gezwungen, was auch dringend notwendig gewesen wäre.
Die Trickserei bei KohlendioxidAusstoß und Spritverbrauch wird nicht gestoppt?
Der Ausstoß liegt im realen Verbrauch teilweise 40 Mal höher als erlaubt. Wir haben nur scheinbar mehr Klimaschutz. Und daran wird sich nicht wirklich etwas ändern. Zwar werden die Uralt-Tests geändert. Doch die neuen Verfahren bleiben ungenau, es wird auch weiterhin eine Abweichung von 20 bis 30 Prozent geben.
Eine verbindliche Elektro-Quote findet sich nicht in den Brüsseler Vorschlägen. Ist die Kommission vor der Autolobby eingeknickt?
Brüssel hat sich offenkundig vor den Karren der Autohersteller spannen lassen. Eine E-Auto-Quote ist überfällig. China führt diese 2019 ein und wird uns auf dem Weg zum sauberen Verkehr davonfahren. Norwegen hat das Ende des Verbrennungsmotors für 2030 ausgerufen, in Großbritannien kommt das Aus 2040.
Warum greift Brüssel nicht durch?
Deutschland mit seiner sehr starken Autoindustrie und den 850 000 Beschäftigten hat strengere Auflagen verhindert. Doch die Warnung vor massiven Jobverlusten zieht nicht. Der Einstieg in ein Grenzwerteregime hat dazu geführt, dass Deutschland heute auf dem Gebiet der Spritspartechnologie Exportweltmeister ist. Durch strengere Richtlinien von Beginn an wäre mehr möglich gewesen, dann wäre Tesla in Deutschland entstanden.