Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Zwischen Mann und Frau
Richter fordern drittes Geschlecht im Geburtenregister
KARLSRUHE (AFP) - Das Bundesverfassungsgericht hat ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister gefordert. Intersexuellen Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, solle damit ermöglicht werden, ihre geschlechtliche Identität „positiv“eintragen zu lassen – etwa mit „inter“oder „divers“. Dies entschieden die Karlsruher Richter in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Zur Begründung verwies das Gericht auf das Persönlichkeitsrecht. Deutschland wäre mit einer Neuregelung das erste europäische Land, in dem die Registrierung eines dritten Geschlechts möglich wäre.
Die Bundesregierung muss nun bis Ende 2018 eine Neuregelung schaffen. In einer seit November 2013 geltenden Regelung hatte der Gesetzgeber für solche Menschen lediglich die Möglichkeit geschaffen, im Geburtenregister gar kein Geschlecht einzutragen.
BERLIN - „Eine kleine Revolution“sei der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, sagte Vanja (27 Jahre) am Mittwoch. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe habe deutlich gemacht, „dass es Menschen gibt, die nicht als Mann oder Frau leben, und dass das keine ‚Störung‘ ist“. Vanja ist intersexuell und hat eine wegweisende Entscheidung erkämpft, spricht im Anschluss von einer „großen Freude“. Denn künftig wird es im Geburtenregister neben „weiblich“und „männlich“ein drittes Geschlecht für die rund 80 000 Personen in Deutschland geben, die, wie Vanja, mit einem atypischen Chromosomensatz zur Welt gekommen sind. Sie könnten nun bald „divers“oder „inter“eintragen. Womöglich wird der Geschlechtseintrag aber auch ganz gestrichen.
Die Richter gaben der künftigen Regierung bis Ende kommenden Jahres Zeit für ein neues Gesetz. Nach dem Richterspruch wird der Ruf nach weiter gehenden Konsequenzen laut. „Wir brauchen ein klares Diskriminierungsverbot mit Blick auf alles, was geschlechtliche Vielfalt ausmacht“, sagte Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Niemand darf in unserem Land wegen seiner geschlechtlichen Identität oder seiner körperlichen Geschlechtsmerkmale benachteiligt oder verletzt werden.“
Über ein „historisches Urteil“jubelt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie sieht endlich Anerkennung des jahrzehntelangen Kampfes intergeschlechtlicher Menschen für Selbstbestimmung und verlangt von den Jamaika-Sondierern ein modernes Geschlechts-Identitätsgesetz. „Das Urteil ist ein großer Fortschritt in Richtung Freiheit“, sagt GrünenBundestagsfraktionschef und Jamaika-Unterhändler Anton Hofreiter. „Da kann man einfach nur dankbar sein, dass wir in dem Punkt ein so progressives und modernes Bundesverfassungsgericht haben.“
Versuche der SPD abgeblockt
Die Union hatte in der Großen Koalition Versuche der SPD konsequent abgeblockt, für Anerkennung der geschlechtlichen Vielfalt zu sorgen. Offene Kritik am Karlsruher Urteil ist am Mittwoch zunächst nicht zu vernehmen. Und die katholische Kirche zeigt Verständnis: „Wenn bei einem Menschen eine eindeutige Zuordnung als Frau oder Mann nicht möglich ist, darf er nicht durch rechtliche Vorschriften oder gesellschaftliche Gewohnheiten dazu gezwungen werden, sich entgegen seinen eigenen Empfindungen einem Geschlecht zuzuordnen, das nicht zu ihm passt“, sagte Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, der „Schwäbischen Zeitung“. „Gegenüber dem vollständigen Verzicht auf eine Selbstaussage über das Geschlecht ist es dann besser, eine positive Zuordnung zu wählen.“Daher sei der Karlsruher Richterspruch „nachvollziehbar“.
Vanja fand es diskriminierend, dass Eltern ihr Kind nur als Mädchen oder Jungen ins Personenregister eintragen lassen können, und zog vor Gericht. Nach dem Scheitern beim Amtsgericht Hannover und dem Bundesgerichtshof erhielt sie in höchster Instanz recht. Seit 2013 können Eltern zwar den Eintrag im Geburtenregister offenlassen. Doch reichte das den Karlsruher Richtern nicht. „Der Personenstand ist keine Marginalie“, heißt es in der Urteilsbegründung. „Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität herausragende Bedeutung zu.“