Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Dramatisch­er Wandel von Saulus zu Paulus

Philharmon­ischer Chor berührt mit Mendelssoh­ns Oratorium „Paulus“

- Von Helmut Voith

FRIEDRICHS­HAFEN - Mit langem, intensivem Applaus haben die Zuhörer am frühen Sonntagabe­nd im vollen Graf-Zeppelin-Haus für den „Paulus“gedankt, den der Philharmon­ische Chor Friedrichs­hafen und die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie Konstanz unter der Leitung von Musikdirek­tor Joachim Trost aufgeführt haben.

Joachim Trost ist nicht einfach begeistert, sondern innerlich berührt von diesem Oratorium, das den Weg eines Menschen vom Christenha­sser, oder anders gesagt vom Fanatiker zum geläuterte­n Menschen zeigt, der in Demut und voller Nächstenli­ebe konsequent seinen weiteren Weg geht. Hier wird eine Utopie in Musik vorgestell­t, die jeden berührt, der sich darauf einlässt. Wenn ein Dirigent das seinen Mitwirkend­en vermitteln kann, dann wird dieses Oratorium zu einem packenden Ereignis wie schon 2015 unter Georg Grass in Tettnang und jetzt erneut in Friedrichs­hafen.

Weich und lyrisch setzen die Streicher in der Ouvertüre ein. Mit weit ausholende­n Gesten dirigiert Trost die ihm vertraute Konstanzer Philharmon­ie. Die im „Paulus“präsente Dramatik wird spürbar, einige Motive klingen an. Sehr deutlich zeichnen die Musiker im weiteren Verlauf die unterschie­dlichen Stimmungen des Werkes, die Lyrik wie die Dramatik, die etwa das Bekehrungs­erlebnis vor Damaskus markiert.

Unaufhalts­ame Eigendynam­ik

Mächtig setzt der rund 90-köpfige Chor ein. Trost achtet auf eine ausgewogen­e Balance zum Orchester, gleich zu Beginn freut man sich über die saubere Artikulati­on. Dennoch ist es gut, dass es hell genug ist, um den Text im schön gestaltete­n Programmhe­ft mitzulesen. In diesem Oratorium spielt der Chor eine gewichtige Rolle. Falsche Zeugen wiegeln das Volk auf, die Dramatik steigert sich. Überzeugen­d malt der Chor in den dramatisch­en TurbaChöre­n die sich steigernde Aggression. In lyrischen Chorsätzen und schlichten Chorälen kommentier­t und reflektier­t er die Handlung. Rezitative tragen sie voran, Soloarien reflektier­en sie. Sopranisti­n und Tenor berichten über ein Geschehen, dessen Eigendynam­ik nicht aufzuhalte­n ist.

Erschütter­nd ist die Parallelit­ät zu den großen Passionen, wenn das Volk der Juden im dynamische­n Turba-Chor „Weg, weg mit dem!“ruft und die Steinigung des Stefanus verlangt oder wenn zuletzt der Ruf „Steinigt ihn“sich gegen Paulus wendet. Wunderbar ist der verzeihend­e Choral des Stefanus. Spannend ist das zentrale Erweckungs­erlebnis, wenn der Chor Jesu Aufforderu­ng übernimmt: „Stehe auf und gehe in die Stadt... Mache dich auf! Werde Licht!“Wenn der verwandelt­e Saulus ruft: „Du hast meine Seele errettet aus der tiefen Hölle.“Kräftiger Applaus nach dem ersten Teil.

Mit Freuden stellt man bei den ersten kommentier­enden Worten des Chores fest, dass die Spannung nach der Pause wieder voll aufgebaut ist. Opernhaft schön ist das Duett von Barnabas und Paulus, wie eine Idylle die lyrisch-melodische Beschreibu­ng des Chores: „Wie lieblich sind die Boten, die den Frieden verkündige­n...“Doch bald schon macht der das Volk verkörpern­de Chor neue Spannungen spürbar, Unheil kündet sich an. Paulus ist bereit, sein Schicksal hinzunehme­n, wunderschö­n klingt sein tröstender Bass. Das Oratorium lebt vom Chor und Orchester, aber ebenso von den Solisten. Mit prägnantem Bariton zeichnet Markus Eiche den Wandel von Saulus zu Paulus, mit lyrischem Tenor führt Jörg Dürmüller durchs Geschehen. Mit klarem Sopran überzeugt die kurzfristi­g eingesprun­gene Letizia Scherrer, mit innigem Mezzosopra­n steht ihr Martina Gmeinder zur Seite. Im Schlusscho­r darf der Chor zeigen, dass nichts von der anfänglich­en Spannkraft fehlt. Langer, langer Applaus.

 ?? FOTO: HELMUT VOITH ?? Unter der Leitung von MD Joachim Trost führen der Philharmon­ische Chor Friedrichs­hafen und die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie Konstanz das Oratorium „Paulus“auf, vorne die Solisten Martina Gmeinder, Letizia Scherrer, Jörg Dürmüller und Markus Eiche (von...
FOTO: HELMUT VOITH Unter der Leitung von MD Joachim Trost führen der Philharmon­ische Chor Friedrichs­hafen und die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie Konstanz das Oratorium „Paulus“auf, vorne die Solisten Martina Gmeinder, Letizia Scherrer, Jörg Dürmüller und Markus Eiche (von...

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