Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Frustrierende Bilanz
Mit dem Urteil gegen Ratko Mladic ging der letzte Kriegsverbrecherprozess vor dem UN-Tribunal in Den Haag zu Ende; anhängig sind noch Revisionsverfahren. Die Bilanz des 1993 zur Aufklärung der Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien gegründeten Tribunals fällt zwangsläufig unbefriedigend und widersprüchlich aus. Jedoch ist die oft gehörte Pauschalkritik, die Verfahren hätten nichts zur Versöhnung der verfeindeten Völker beigetragen, ein großes Missverständnis. Den Haag war für Aufklärung und Rechtsprechung von Kriegsverbrechen zuständig, nicht für Versöhnungspolitik.
Dass angeklagte Serben insgesamt zu rund 700, Kroaten zu 160 und Bosnier zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt wurden, ist kein Beweis für Ungerechtigkeit, wie serbische Demagogen Glauben machen wollen. Das Verhältnis erklärt sich aus der Tatsache, dass Serbien als kriegführende und waffenstärkste Macht im Zerfallsprozess Jugoslawiens auch die meisten Kriegsverbrecher stellte.
Klar ist auch: Ohne dieses Tribunal wären Leute wie Radovan Karadzic oder Ratko Mladic, die für die schlimmsten Kriegsverbrechen in Europa seit 1945 verantwortlich sind, sowie viele ihrer Anhänger nie vor Gericht gekommen. Ohne dieses Gericht wäre der gewaltsame Tod von 100 000 Menschen unbestraft geblieben. Ob dies zur Versöhnung beigetragen hätte, darf bezweifelt werden.
Doch die gleichen Politiker, die dem Tribunal fehlende Objektivität vorwerfen, haben oft die Kooperation verweigert und die Bevölkerung gegen Richter und Ankläger aufgehetzt. Für deren Machterhalt ist es leichter, die Geister der Vergangenheit am Leben zu erhalten als sich aktuellen Problemen zu stellen und den Menschen eine Zukunftsperspektive zu bieten.
Das Fazit ist frustrierend. In puncto Versöhnungspolitik sind die ex-jugoslawischen Staaten 22 Jahre nach Kriegsende kaum weiter. Die westlichen Friedensmächte trifft keine geringe Mitschuld. Ihr abgeflautes Interesse an der Region steht im krassen Gegensatz zu deren geopolitischer Brisanz für Europa.