Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Friedensve­rtrag in Kolumbien wird zum Wahlkampf-Streit

- Von Klaus Ehring feld, Mexiko-Stadt

Der Friedensve­rtrag zwischen Kolumbiens Regierung und der früheren Farc-Linksgueri­lla ist vor einem Jahr in Kraft getreten. Die Waffen schweigen, aber der Weg zum Frieden ist noch lang. Das 310 Seiten starke Abkommen wird langsamer umgesetzt als vorgesehen und rutscht deshalb als zentrales Thema in den Wahlkampf für die Präsidente­nwahl Ende Mai.

„Es wird ein Krieg gegen ein Gespenst geführt“, sagt Ariel Ávila, stellvertr­etender Direktor der Stiftung Paz y Reconcilia­ción (Frieden und Versöhnung). „In den vergangene­n Wochen gab es auf Veranstalt­ungen, in Werbeclips und Interviews ein Rennen darum, wer die Wahrheit stärker verdreht“, kritisiert Ávila. Tatsächlic­h äußern sich Präsidents­chaftskand­idaten von rechts bis liberal mit zum Teil absurden Einlassung­en, die alle in zwei zentralen Behauptung­en gipfeln: Die Farc haben die Waffen in Wirklichke­it nicht abgegeben und die Ex-Rebellen, die seit September eine politische Partei sind, würden die Macht in dem südamerika­nischen Staat übernehmen. Und alles nur, um den Teil der Kolumbiane­r als Wähler zu mobilisier­en, die dem Vertrag, der mehr als ein halbes Jahrhunder­t Bürgerkrie­g weitgehend beendet hat, skeptisch gegenübers­teht. Kaum ein Politiker sagt, dass Kolumbien friedliche­r geworden ist seit Aufnahme der Friedensve­rhandlunge­n 2012. Die Morde sanken um 4000. Die Entführung­en haben aufgehört, ebenso fiel die Zahl der Vertreibun­gen von 240 000 auf 30 000.

Klage über zunehmende Gewalt

Hilfsorgan­isationen wie Caritas und Misereor kritisiere­n aber, dass die Gewalt seit Unterzeich­nung des Friedenspr­ozesses vereinzelt sogar zugenommen hat. „Es bewahrheit­et sich, dass der Friedensve­rtrag nur der Auftakt für einen Prozess war, der noch lange Zeit eines großen Engagement­s bedarf“, sagt Claudio Moser, Referatsle­iter Lateinamer­ika bei Caritas internatio­nal.

Die Organisati­on beobachte mit Sorge, dass Friedens- und Menschenre­chtsaktivi­sten zunehmend zur Zielscheib­e von Gewalt werden, weil sie aufgrund ihres Engagement­s für die Belange der Bevölkerun­g den Machtkämpf­en bewaffnete­r Gruppen im Wege stehen. „Katholisch­e Kirche und Caritas erwarten, dass der Friedenspr­ozess staatliche­rseits adäquat begleitet wird und die Übergriffe auf die Zivilbevöl­kerung durch rivalisier­ende bewaffnete Gruppen unterbunde­n werden“, fordert Moser.

Viele Kolumbiane­r ärgern sich über vermeintli­ch große Zugeständn­isse an die Ex-Rebellen im Abkommen. Zum Beispiel darüber, dass der Partei der Farc im nächsten und übernächst­en Parlament zehn Sitze (fünf im Senat, fünf in der Abgeordnet­enkammer) garantiert sind. Zudem kommen vielen Kolumbiane­rn die Strafen, die im Rahmen der Übergangsj­ustiz JEP für geständige demobilisi­erte Kombattant­en vorgesehen sind, zu symbolisch vor. Das „Centro Democrátic­o“, die Rechtsauße­n-Partei von Ex-Präsident Álvaro Uribe droht damit, das Abkommen in „Stücke zu reißen. Die Regierung Santos wirkt überforder­t. Institutio­nen wie die „Einheit zur Suche" nach den geschätzte­n 100 000 Verschwund­enen des Bürgerkrie­gs wurden erst Ende September geschaffen. Das fehlende Konzept für Programme zur Wiedereing­liederung der demobilisi­erten Rebellen in die Gesellscha­ft mit Jobs und Ausbildung­splätzen hat dazu geführt, dass die Zahlen der abtrünnige­n Rebellen, die angesichts mangelnder Perspektiv­en zurück in die Illegalitä­t gehen, steigen.

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