Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Gruppendruck gegen Haushaltssünden
EU-Kommission prüft Bilanzen der Mitgliedsstaaten – Drei Länder sollen nachbessern
BRÜSSEL - Belgien, Italien und Frankreich haben bei ihren Haushaltsplänen Nachbesserungsbedarf. Zu diesem Schluss ist die EU-Kommission gekommen, als sie am Mittwoch die Haushaltsbilanz der Mitgliedsstaaten für das kommende Jahr prüfte. Die geplanten Ausgaben und Einnahmen der Mitgliedsstaaten müssen seit einigen Jahren im Rahmen des „Europäischen Semesters“enger mit Brüssel abgestimmt werden.
Während in Italien vor allem die anhaltend hohe Staatsverschuldung kritisiert wird, droht Frankreich erneut die Marke von drei Prozent Neuverschuldung zu reißen – trotz der von Staatspräsident Emmanuel Macron angekündigten Sparmaßnahmen.
Mit einem ironischen Unterton gratulierte Währungskommissar Pierre Moscovici den Briten dazu, dass sie sich nach acht Jahren aus den roten Zahlen herausgearbeitet haben. Pünktlich zum EU-Austritt ist ihre Neuverschuldung auf 2,3 Prozent des BIP gesunken, und das Defizitverfahren kann eingestellt werden.
Unter Beobachtung bleiben hingegen Portugal, Slowenien und Österreich, die nach jetziger Haushaltsplanung das Sparziel von weniger als drei Prozent Neuverschuldung verfehlen würden. Im Frühjahr will die Kommission deren Haushaltspläne erneut prüfen, was die Weihnachtsstimmung in den Wiener Koalitionsverhandlungen sicher nicht beflügeln wird.
Deutschland muss korrigieren
Auch die Zahlen aus Deutschland stoßen bei den zuständigen Kommissaren nicht auf ungeteiltes Wohlwollen, obwohl ein Haushaltsentwurf angesichts der schwierigen Regierungsbildung noch gar nicht vorliegt. Allerdings zeichnet sich ab, dass deutlich mehr eingenommen als ausgegeben wird. Das schädigt nach Brüsseler Überzeugung die anderen Marktteilnehmer im Binnenmarkt. Dänemark und Deutschland haben wegen des hohen Überschusses eine Auslandsvermögensquote von 55 Prozent, die Niederlande gar 70 Prozent. Das müsse korrigiert werden, heißt es in den Empfehlungen.
Deutschland hat sich in der Vergangenheit recht unempfänglich für die Brüsseler Mahnungen gezeigt, wie viele andere Mitgliedsstaaten auch. Laut einer aktuellen Studie werden mittelfristig nur 20 Prozent der Empfehlungen politisch umgesetzt. Das will Kommissionsvize Valdis Dombrovskis so nicht stehen lassen. „Bei mindestens 50 Prozent der Empfehlungen messen wir Fortschritte. Natürlich ist die Umsetzung nicht immer einfach, deshalb müssen wir unsere Anmerkungen auch regelmäßig wiederholen“, sagte er gestern recht trotzig auf eine entsprechende Frage.
Fehlinvestitionen anprangern
Beobachter sind sich allerdings einig, dass der Mehrwert der aufwändigen Semesterprozedur, die viele Beamtenstunden und viel Papier verschlingt, weniger darin liegt, dass Haushaltspläne sofort geändert und Empfehlungen eins zu eins umgesetzt werden. Vielmehr sorgt das vielstufige Verfahren dafür, dass die Politiker der Mitgliedsstaaten ständig in der Diskussion bleiben, Haushaltssünden und Fehlinvestitionen der öffentlichen Hand an den Pranger gestellt werden und so ein Gruppendruck erzeugt wird und erhalten bleibt.
Auf die Frage eines Journalisten, warum ausgerechnet Malta, Irland und Luxemburg so positiv bewertet werden, obwohl sie Großkonzernen die mit Abstand wirksamste Beihilfe zur Steuervermeidung in der EU leisten, blieben die Kommissare wortkarg. Das zu bewerten, sei nicht ihre Aufgabe gewesen, entgegnete Moscovici lahm. Aber natürlich sei es wünschenswert, dass recht bald alle Mitgliedsstaaten die von der EUKommission vorgeschlagenen Reformen für mehr Steuergerechtigkeit umsetzten.