Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Fußgänger haben keine Lobby
Verkehrsexperte Andreas Schmitz spricht über Fußverkehrsplanung
FRIEDRICHSHAFEN - Mit maximal 25 Interessierten hat Stadtrat Gerhard Leiprecht gerechnet. Tatsächlich kamen über 70. Das Graf- SodenZimmer im Graf-Zeppelin-Haus war proppenvoll, als Verkehrsexperte Andreas Schmitz am Dienstagabend in einer Veranstaltung der Gemeinderatsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zur Fußverkehrsplanung in deutschen Kommunen sprach. Während die in Städten und Gemeinden zu wenig gefördert werde, sei das Thema für den Bund schon gar kein Thema, kritisierte er.
Wie gefragt das Thema bei den Bürgern ist, zeigte die überwältigende Resonanz, über die sich Gerhard Leiprecht schlicht „platt“zeigte. Bei einem Städtevergleich – der allerdings einige Jahre zurückliegt – kam heraus, dass Friedrichshafen am Ende einer Statistik liegt, die offenbart, wie viele Menschen in ihr zu Fuß ihre Ziele erreichen. Der Fußverkehr habe noch nicht den Stellenwert, der ihm zukomme, bedauerte Leiprecht, und Schmitz forderte dazu auf, sich „zu Fuß in die Stadt der Zukunft“zu machen. Der Verkehrsplaner aus Kassel, Leiter des Arbeitskreises Fußgängerverkehr in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), betonte, wesentliche Qualität städtischen Lebens sei, fast alles zu Fuß erledigen zu können. Wo diese Qualität fehle, könnten umgehend die Bürgersteige hochgeklappt werden.
Der Experte in Sachen Fußverkehr nannte Qualitätsmerkmale wie gesundheitliche Aspekte, den Standortfaktor Tourismus, weniger Umweltbelastung oder wesentliche, geringere Infrastrukturkosten als Beispiele dafür, dem Fußgänger in Städten und Gemeinden das noch fehlende Gehör zu bieten. Attraktive Gehwege, die den Begegnungsverkehr für Rollstühle und Kinderwagen zulassen, seien zusammen mit einem attraktiven ÖPNV ein Beitrag zur Generationen- und Gendergerechtigkeit und müssten wesentlich stärker gefördert werden, forderte er die Verantwortlichen in den Kommunen dazu auf, „lenkend und gestaltend“einzugreifen. Anstatt im Auto bis zur Eingangstür gefahren zu werden, könnten Kinder auf ihrem zu Fuß zurück gelegten Schulweg auf Entdeckungsreise gehen.
In Friedrichshafen, so Schmitz, sei der Fußverkehr rückläufig, sei der Anteil von 13 Prozent der ihm bekannt schlechteste in Deutschland (allerdings schon vor einigen Jahren ermittelt und nach Ansicht von Bürgermeister Köhler inzwischen höher). Der Verkehrsexperte will insgesamt ansprechend gestaltete Trennwirkungen zu Fahrbahnen, besseren Schutz an Ampeln, verbunden mit kürzeren Rot-Phasen, sowie grundsätzlich einen öffentlichen Raum mit ansprechenden und barrierefrei gestalteten breiten Fußwegen – und attraktiven Plätzen. „Der öffentliche Raum sollte angstfrei erlebbar sein“, sagte er. Dazu gehörten bessere Beleuchtungen, Gefährdungen und Behinderungen durch Parken auf Gehwegen auszuschließen, was auch eine Frage des gegenseitigen Respekts sei. Klar sprach er sich gegen gemeinsame Flächen für den Fuß- und Radverkehr aus. In Leipzig, wo man viel für die Radler getan hat, sagen 48 Prozent der Fußgänger, Probleme mit Radfahrern zu haben. In der Radfahrerstadt Münster ging die Privilegierung der Radler zu Lasten der Fußgänger.
In der lebhaften Diskussion wurde nach Verbesserungsmöglichkeiten bei zu schmalen Fußgängerüberwegen in Friedrichshafen gefragt oder aus Markdorf nach Lösungen, wenn Gehwege nur 1,40 Meter statt 2,50 Meter breit sind, aber Bebauungen eine Erweiterung verhindern? Auch Schmitz will keine Häuser einreißen und bemerkte, dann „mit Konflikten leben zu müssen“, denn: „manchmal gibt es keine Lösung“. Er will den Fußverkehr mit dem ÖPNV vernetzen und nicht gegenseitig ausspielen und findet es „inakzeptabel“, Radverkehr auf Fußwegen zuzulassen.
100 Millionen Euro investiert
Kritik wurde an Disziplinlosigkeiten von Grundstückseigentümern geübt, deren Hecken an ohnehin nur 1,50 Meter breiten Gehwegen noch 50 Zentimeter wegnehmen, wenn „jeder macht was er will“.
Bürgermeister Stefan Köhler sieht Friedrichshafen auf dem Weg der kurzen Wege und nannte Ortsmittenentwicklungen in Fischbach, Ailingen, Jettenhausen oder der Nordstadt als gute Beispiele. Zu den anstehenden entsprechenden Veränderungen stehe in der Friedrichstraße die Verlegung des Radverkehrs auf die Fahrbahn an, außerdem die Themen Veloring/Radschnellweg. Leider treffe man bei Grundstückseigentümern oft auf wenig Bereitschaft, benötigte Flächen abzugeben.
Stadtrat Gerhard Leiprecht nannte Investitionen von 100 Millionen Euro, die Friedrichshafen in den vergangenen sechs Jahren aus dem städtischen Haushalt in den Verkehr investiert habe, vor allem in den motorisierten, und regte ein teilweises Umsteuern an. Bernd Cäsar regte das Entwickeln von Visionen an. Man müsse sagen, wo man beim Thema Verkehr hinwolle.