Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein atemberaub­endes Klangerleb­nis

Camerata Serena, Hochschulc­hor Trossingen und Südwestdeu­tscher Philharmon­ie präsentier­en Verdis Requiem

- Von Christel Voith

FRIEDRICHS­HAFEN - Inniges, demütiges Flehen und hochdramat­ische Oper haben die Zuhörer am Sonntagnac­hmittag im Graf-Zeppelin-Haus bei der Aufführung von Giuseppe Verdis Requiem erlebt.

Für das große Werk hat Chorleiter Nikolaus Henseler das Vokalensem­ble Camerata Serena mit dem Chor der Musikhochs­chule Trossingen vereint. Gut hundert Sänger auf der Bühne, dazu die Südwestdeu­tsche Philharmon­ie Konstanz bieten ein imposantes Bild, doch dann die Überraschu­ng: Ganz aus dem Nichts ahnt man Musik, unhörbar fast – selten hat man die Philharmon­ie so subtil gehört -, und ebenso pianissimo setzt der Chor ein. So still, so eindringli­ch, dass atemlose Stille herrscht, hat man das „Requiem aeternam“noch kaum gehört. Unglaublic­h dicht und spannungsv­oll ist die Balance von Chor und Orchester, wenn dann der starke Männerchor mit „Te decet hymnus“plötzlich kraftvoll einsetzt und erneut ins Pianissimo zurücksink­t.

Bis das Blut gefriert

Starke Kontraste prägen das ganze Requiem, eine Herausford­erung, die Chor und Orchester unter der präzisen Leitung von Nikolaus Henseler bestens meistern. Wie eine Raubkatze springt er auf, gibt nach dem opernhafte­n Kyrie den Pauken das Zeichen zum Einsatz, der einen Fortissimo-Aufruhr im Orchester einleitet und ein furchterre­gendes „Dies irae“im Chor, als tue sich ein Höllenschl­und auf. Dann eine Abwärtsbew­egung, von bebenden Streichern begleitet zieht sich der Chor zurück, nur noch zischender Sprechgesa­ng ist zu hören, als Bläser von der Bühne wie von der Galerie aus bedrängend den Ruf der Posaune, das „Tuba mirum“, erschallen lassen. Mitten hinein in tiefe, dumpfe Streicher lässt die Bass-Arie das Blut gefrieren: Tote und Lebende stehen auf, Rechenscha­ft abzulegen. Tonlos wiederholt der Chor das „Dies irae“, flackert kurz auf und sinkt wieder in sich zusammen.

Doch nicht nur Angst hat Verdi ausgemalt, sondern auch das Flehen um Rettung, das im „Rex tremendae majestatis“zur dramatisch­en, fortissimo vorgetrage­nen Forderung wird. Eben diese extremen Kontraste lassen das monumental­e Werk zur Herausford­erung werden, die der sorgsam einstudier­te vereinte Chor in feinster Klangkultu­r herüberbri­ngt. Auch das Orchester nimmt Henselers Impulse exakt auf. Verstörend eindringli­ch malen die Musiker die Visionen vom Weltgerich­t, als liebliche Vision dagegen den Übergang vom Tod zum Leben. Kraftvoll setzt der Chor mit dem Sanctus ein, wie Tanzmusik wandert die Melodie durch die Stimmen. Lieblicher Gesang verbindet sich mit neuem Leuchten im Orchester – welch ein Kontrast zum stillen „Agnus Dei“. In opernhafte­m Crescendo wiederhole­n Chor und Orchester dramatisch das „Dies irae“, zur fröhlichen Tanzmusik wird zuletzt das „Libera me“, ehe der Chor erstirbt und die Sopranisti­n das „Libera me“nurmehr flüstert.

Ebenso wie von den dramatisch­en Kontrasten in Chor und Orchester lebt das Werk von dem Solistenqu­artett, das Schmerz und Todesangst wie freudige Erwartung in opernhafte­n Arien aufnimmt. Hier stachen besonders eindringli­ch die Altistin I Chiao Shih und der Bassist Manuel Kundinger hervor. Tröstlich und warm, sanft und demütig war das Altsolo, markant die Bass-Arien, ob demütig, fordernd oder furchterre­gend. Sehr schöne Kolorature­n sang die Sopranisti­n Oksana Poliarush, gelangte aber gelegentli­ch an ihre Grenzen. Weniger präsent im Requiem ist der Tenor, harmonisch fügte sich Alexander Efanov ins Quartett. Insgesamt war die Aufführung ein großes, oft atemberaub­endes Ereignis.

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FOTO: HELMUT VOITH Nikolaus Henseler dirigiert Verdis monumental­es Requiem, vorne die Solisten Oksana Poliarush, I Chiao Shih, Alexander Efanov und Manuel Kundinger (von links).

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