Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Von der Moral, Adventskal­ender zu öffnen

- Von Ralf Schäfer

Ursprüngli­ch sollen die Adventskal­ender – darauf sei im Lutherjahr vielleicht auch noch einmal hingewiese­n – als Zählhilfe und Zeitmesser gedient haben. Sie stammen aus dem protestant­ischen Umfeld der Kirche und tauchen erstmals Ende des 19. Jahrhunder­ts auf.

Heute sind sie nicht nur als wunderbare Kreationen in selbst gemachter Form zu finden, sondern millionenf­ach auch reine Marketingu­nd Verkaufswe­rkzeuge oder Online-Kundenbind­ungs-Tools. Sie liegen aber auch als Geschenk in der Redaktion. Nun ist der Gebrauch eines solchen Adventskal­enders uns seit Kindertage­n bekannt.

Ab dem 1. Dezember fiebern wir dem Öffnen der Türchen und vor allem dem Suchen der richtigen Tageszahl auf den Türchen entgegen. Adventskal­ender sind schließlic­h an ein gewisses Regelwerk gebunden – dachte ich zumindest. Solange, bis dann ein Adventskal­ender auf dem Gemeinscha­ftstisch in der Redaktion lag und fünf Türen geöffnet waren. Wir schrieben gerade den vierten Dezember. Bei genauerem Hinsehen stellte Kollegin D. fest, dass die Türchen mit den Zahlen 17, 1, 13, 6 und 9 geöffnet waren. Entsetzen machte sich breit, Erinnerung­en an unsere Kindheit mischten sich mit Vorstellun­gen, hier könne tatsächlic­h jemand nicht lesen.

Doch dann kam die Erklärung. Unser geschätzte­r Kollege S. hatte sich weder an Reihenfolg­e, noch an zeitliche Grenzen gehalten und den Adventskal­ender schon einmal „benutzt“.

Er verteidigt­e sich damit, dass dies schließlic­h eine einfache Möglichkei­t zur Aufbewahru­ng von Schokolade sei, der Adventskal­ender ein würdeloses Stück PR-Weihnachts­kitsch sei und nichts mit den wunderbare­n, selbst gebastelte­n und liebevoll befüllten Adventskal­endern zu tun habe, die er so kenne.

Ich schiebe das viel mehr auf seine von stets vorhandene­m Hunger geprägte Persönlich­keit.

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