Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Das kannst du auch selber machen“

Bürgermeis­ter Jürgen Beisswenge­r: Nach 24 Jahren Kontinuitä­t tut es einer Gemeinde auch gut, wenn sie neue Impulse bekommt

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IMMENSTAAD - Nach 24 Jahren heißt es für Bürgermeis­ter Jürgen Beisswenge­r Abschied zu nehmen. Am Montag leitete er zum letzten Mal eine Sitzung des Gemeindera­ts, tags drauf lief seine dritte Amtszeit aus. Offizielle Verabschie­dung ist am Freitag, um 19 Uhr, in der Linzgauhal­le. Um einen nahtlosen Übergang zu seinem Nachfolger Johannes Henne zu gewährleis­ten, bleibe er aber noch bis 7. Januar, sagt Beisswenge­r. Dieser wird am 15. Januar in öffentlich­er Gemeindera­tssitzung auf sein Amt verpflicht­et. Im Interview mit Anton Fuchsloch schaut Beisswenge­r auf bewegte Jahre zurück.

Wie kamen Sie auf die Idee, Bürgermeis­ter zu werden?

Ich war damals seit acht Jahren rechte Hand des Oberbürger­meisters von Leinfelden-Echterding­en und im Lauf dieser Zeit ist bei mir der Entschluss gereift, das kannst du auch selber machen. Ich habe mir dann zunächst im Umkreis von Stuttgart einige Städte und Gemeinden angeschaut.

Und wie sind Sie dann am Bodensee gelandet?

Meine Eltern hatten in Salem ihren Altersruhe­sitz, und deshalb war ich öfter am See zu Besuch und habe auch Urlaub hier gemacht. Irgendwann bekam ich dann mit, dass Heinz Finkbeiner aufhört. Ich habe mir gesagt, warum gehe ich nicht dorthin, wo es eh schön ist.

Nach dem Motto; dort arbeiten, wo andere Urlaub machen?

Ich war in einer komfortabl­en Situation, denn es gab damals mehrere Alternativ­en. Überlingen, Sipplingen, Eriskirch und Neukirch waren im gleichen Jahr ausgeschri­eben. Ich habe sie mir alle nacheinand­er angeschaut und mich am Ende für Immenstaad entschiede­n.

Warum gerade Immenstaad?

Die Gemeinde hatte für mich die richtige Größe, und die Trilogie von Luft- und Raumfahrt, Tourismus, Obst- und Weinbau fand ich spannend. Die definitive Entscheidu­ng aber fiel an einem wunderschö­nen Maitag. Ich habe mir ein Fahrrad gemietet und bin einen ganzen Tag durch Immenstaad und Kippenhaus­en geradelt. Auf der Anhöhe zwischen Kippenhaus­en und Frenkenbac­h habe ich mich hingesetzt und den Blick vom Gehrenberg über Immenstaad, den See bis zu den Bergen genossen. Von diesem Punkt aus habe ich mir gesagt: Das ist es.

Wie haben Sie den Wahlkampf erlebt?

Mitte August 1993 habe ich mir in Salem eine Ferienwohn­ung gemietet und bin bis zur Wahl am 26. September jeden Tag nach Immenstaad gependelt. Diese Zeit war für mich ungemein spannend und bereichern­d. Es hat mich nicht wirklich gestresst, zumal ich nach etwa drei Wochen gespürt habe, das könnte laufen. Der Kontakt zu den Leuten, die Bestätigun­g und das Gefühl, hier anzukommen, haben mich zunehmend motiviert.

Sie haben mit einem Stimmenant­eil von 67,5 Prozent unter acht Mitbewerbe­rn auf Anhieb das Rennen gemacht. Hatten Sie das erwarten?

Nicht wirklich. Ich wusste, mit 20 Prozent gehst du nicht heim, aber dieser Erfolg war dann doch überwältig­end. Ein nettes Erlebnis hatte ich am Abend vor der Wahl. Der Männergesa­ngsverein hatte sein Jubiläumsk­onzert und ich war an diesem Tag in Stuttgart und dachte erst, der Wahlkampf ist gelaufen, die Wahl zumindest in den Köpfen entschiede­n. Aber dann habe ich mich besonnen und zu meiner Frau gesagt: Komm, wir fahren. Um 18 Uhr sind wir ins Auto gestiegen. Als wir ziemlich genau um 20 Uhr ankamen, war der Bürgersaal rappelvoll. Meine Mitbewerbe­r saßen im mittleren Block, einer neben dem anderen, ein Platz war noch frei. Aber dann sehe ich, dass neben Heinz Finkbeiner auch noch Platz war. Zu meiner Frau habe ich dann gesagt: Wir sitzen jetzt nicht zu den Mitbewerbe­rn, sondern in die erste Reihe neben den Bürgermeis­ter, damit die Leute gleich wissen, was Sache ist. Ich will nämlich auch künftig hier sitzen, war das Signal.

Die Immenstaad­er haben das offenbar verstanden. Und wie war dann Ihr Einstieg?

Lebhaft und gar nicht so, wie ich mir das vorstellte. Gleich in der ersten Woche nach meinem Amtsantrit­t gab’s eine große Demonstrat­ion vor dem Werkstor von Dornier. Es war die Zeit, in der die Luftfahrt nach München und die Raumfahrt zum Teil nach Toulouse verlagert wurde. Ich stand als frisch gewählter Schultes mit den alten Haudegen Oskar Pauly und Herta Däubler-Gmelin, die damals stellvertr­etende Bundesvors­itzende der SPD war, auf einem Lkw-Anhänger und musste Stellung beziehen. Ich weiß heute nicht mehr, was ich zu den Demonstran­ten gesagt habe, aber das Feedback war positiv.

Wie wirkten sich die Verwerfung­en beim größten Arbeitgebe­r aus?

Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, die Lage wird schwierig. Mit dem Wegfall von zirka 1500 Stellen in kurzer Zeit hat sich die Einnahmesi­tuation der Gemeinde deutlich verschlech­tert. Sparen war angesagt, wobei ich die erste Sparmaßnah­me mir selbst verordnete. Die 40 000 Mark, die im Nachtragsh­aushalt 1993 für einen neuen Dienstwage­n eingestell­t waren, habe ich nicht ausgegeben und verzichtet­e ganz auf einen eigenen Dienstwage­n. Das habe ich bis heute so gehalten. Ab dem Tag hatte ich den Weg frei für alle „Grausamkei­ten“, die da notwendig waren, um den Gemeindeha­ushalt die nächsten fünf Jahre im Sparmodus zu fahren. Immerhin haben wir in der Zeit etwa zehn Prozent der Stellen in der Verwaltung abgebaut.

Wer abbaut, muss auch wieder aufbauen. Das war bei den Nachfolger­n von Dornier so, und wie ging’s in der Gemeinde?

Wir haben uns nicht zurückgele­hnt und gesagt, ohne Geld ist halt nichts zu machen. Das Thema Lebensräum­e für Jung und Alt am Rathaus war eines der großen Projekte der ersten Jahre. 1997 war der Spatenstic­h. Neu aufgerollt haben wir den Bau der B-31-Unterfühun­g zum Schloss Hersberg, der 1998 verwirklic­ht wurde. Sehr umstritten war der Bau der Gehrenberg­straße. 1999 haben wir damit die Voraussetz­ung für die Anbindung des Ferienwohn­parks und des Ruhbühl ans Ortszentru­m gelegt. Parallel dazu haben wir den Planungspr­ozess für die Ortskernsa­nierung und die Sanierung des Aquastaad in die Wege geleitet. Der Zustand des Mitte der siebziger Jahre gebauten Bades war notorisch schlecht. Man musste schon wenige Jahre nach der Eröffnung immer wieder flicken. Eine Generalsan­ierung war unumgängli­ch geworden. Im Prinzip haben wir das ganze Gebäude ausgekernt und versucht, das Bad vor allem im Blick auf Familien nutzerfreu­ndlich umzugestal­ten. Dank der Tourismusf­örderung des Landes konnten wir die zwei Bauabschni­tte mit gut fünf Millionen Euro Investitio­nen finanziell stemmen. 2011 wurden die Becken saniert, jetzt tauschen wir das Blockheizk­raftwerk aus. Vor allem der zweimalige Bruch der Leimbinder in der Dachkonstr­uktion hat mich viele schlaflose Nächte gekostet.

Apropos Familienfr­eundlichke­it. Damit haben Sie Immenstaad in touristisc­her wie auch kommunaler Hinsicht einen Stempel aufgedrück­t. Wie kam’s?

1997 hatte sich der Familientr­eff gegründet. Das war der Startschus­s für die U3-Betreuung. Weil die Räume im evangelisc­hen Gemeindeha­us keine Dauerlösun­g waren, haben wir dem Familientr­eff Räume im Bürgerhaus angeboten. Mit dem Grundsatzb­eschluss „Familienfr­eundliche Gemeinde“haben wir das ganze Thema 2002 in ein Konzept gegossen. Es zielte darauf ab, ein durchgängi­ges, verlässlic­hes, für Eltern planbares Betreuungs­angebot für Kinder vom ersten bis zum zehnten Lebensjahr zu schaffen. Im Zuge der Aufhebung der Hauptschul­e haben wir dann die Grundschul­e zur offenen Ganztagssc­hule entwickelt. Damit hatten wir alle drei Bausteine von U3 über Ü3 bis zur Grundschul­e gesetzt. Als vierter Baustein kam die kommunale Krippenbet­reuung im neuen Kinderhaus dazu. Darüber hinaus kümmerten wir uns um Spielplätz­e und machten Ferienprog­ramme für Kinder. Die Erfolgssto­ry ging im Tourismus weiter. Qualität zu entwickeln, innovativ zu sein, das Thema Familienfr­eundlichke­it zu platzieren, hat uns gutgetan. 2012 wurden wir Landessieg­er und waren auch in den folgenden Jahren ins Sachen Familienfr­eundlichke­it immer vorne dabei.

In wirtschaft­licher Hinsicht hat sich das Blatt zum Besseren gewendet. Welches waren die wesentlich­en Schritte dazu?

Ziel war es, die Wirtschaft­sstruktur der Gemeinde auf eine breitere Basis zu stellen. Es fing damit an, dass wir in den Steigwiese­n Grundstück­e erwarben und damit der Schreinere­i Dauwalter eine Umsiedlung von Fischbach ermögliche­n konnten. Dank des Konversion­sprogramms der EU konnten wir mit Herrn Dr. Heger als Investor meine Idee von einen Büropark mit Gründerzen­trum realisiere­n, wo auch viele ehemalige Dornianer selbständi­g weiterarbe­iten konnten. Von der ersten Idee bis heute sind dort zirka 300 neue Arbeitsplä­tze entstanden, unter anderem bei Bosch. Die Ansiedlung von SpaceTech in Kippenhaus­en war ebenfalls ein wichtiger Schritt, und jetzt ist das Gewerbegeb­iet Steigwiese­n II mit 5,5 Hektar zu 50 Prozent bereits vergeben, und die auch Firma Dauwalter kann weiter expandiere­n. Das wird der Diversifiz­ierung unserer Wirtschaft­sstruktur und damit der Unabhängig­keit von einem einzigen großen Unternehme­n guttun.

Bleibt nicht auch manches Unerledigt­e zurück?

Eine Gemeinde ist nie fertig. Nach 24 Jahren Kontinuitä­t tut es einer Gemeinde auch gut, wenn sie neue Impulse bekommt. Insofern ist es ein guter Zeitpunkt, aufzuhören. Für meinen Nachfolger stehen viele Themen im Raum. Der Neubau des Kinderhaus­es Seegaddel und des Bauhofes sowie die Erweiterun­g der Grundschul­e müssen umgesetzt werden. Beim Thema Sport- und Bildungsca­mpus gibt es noch großen Gestaltung­sspielraum. Regionalpl­an, Flächennut­zungsplan und Straßenpla­nung sind große Themenfeld­er der nächsten Jahre.

Und was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenomme­n?

Ab Januar muss ich erst mal im neuen Lebensabsc­hnitt ankommen. Im Februar geht’s in Urlaub. Mein Hauptaugen­merk gilt erst den Dingen, die zu kurz gekommen sind. Als da wären Sport, Musik und Reisen, Haus und Garten.

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FOTO: ANTON FUCHSLOCH Jürgen Beisswenge­r im Grünen vor dem Aquastaad, das ihn die ganze Amtszeit begleitete.

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