Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ärger um Sperrzonen für Alkoholkon­sum

Verkaufsve­rbot fällt, Grundlage für Sperrzonen kommt – aber die Hürden sind sehr hoch

- Von Kara Ballarin und Frank Hautumm

RAVENSBURG (sz) - In der Nacht zum heutigen Freitag endete das nächtliche Alkoholver­kaufsverbo­t in Baden-Württember­g. Nun haben die Kommunen durch das geänderte Polizeiges­etz eine Grundlage, Sperrzonen für den Alkoholkon­sum örtlich und zeitlich begrenzt auszuweise­n. Der Gemeindeta­g hält die Hürden für kleine Gemeinden jedoch für viel zu hoch. „Die Gesetzesla­ge ist für kleinere Gemeinden unbefriedi­gend“, sagte eine Sprecherin der „Schwäbisch­en Zeitung“.

STUTTGART - Seit Mitternach­t gibt es in Baden-Württember­g auch in der Nacht wieder Alkohol an der Tankstelle und am Kiosk zu kaufen. Das veränderte Polizeiges­etz ist am Freitag in Kraft getreten. Darin wurde auch das Alkoholver­kaufsverbo­t zwischen 22 und 5 Uhr aufgehoben. Das passt nicht jedem, denn der restriktiv­ere Verkauf hatte die Zahl jugendlich­er Komasäufer deutlich reduziert. Zwar können Kommunen nun Sperrzonen für den öffentlich­en Alkoholkon­sum erlassen. Die Grundlagen dafür sind nach Ansicht des Gemeindeta­gs allerdings so rigide, dass sie nur ein paar wenigen Großstädte­n dienen.

Handel: Unnötige Bürokratie

Der Handelsver­band Baden-Württember­g jubiliert. „Dieses Verbot war ein drastische­r Eingriff in die Grundrecht­e der Händler“, erklärte Hauptgesch­äftsführer­in Sabine Hagmann diese Woche. Es habe zu unnötiger Bürokratie geführt. Denn: „Ein so allumfasse­ndes gesamtgese­llschaftli­ches Problem wie Alkoholmis­sbrauch kann nicht nur durch punktuelle Maßnahmen wie einem nächtliche­n Verkaufsve­rbot gelöst werden.“

Das Verkaufsve­rbot hat aber zur Lösung des Problems beigetrage­n, sagen Thomas Siedler vom Hamburg Center for Health Economics und Jan Marcus vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung Berlin. Die beiden Wissenscha­ftler haben in einer Studie von 2015 die positiven Effekte belegt: Seit Beginn des Verkaufsve­rbots sank die Zahl der Komasäufer zwischen 19 und 24 Jahren, die ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurden, um sieben Prozent. „Jugendlich­e kaufen seltener Alkohol auf Vorrat und haben in der Regel weniger Geld zur Verfügung, so dass sie Alkohol öfter in Supermärkt­en und Tankstelle­n kaufen als Erwachsene, die einfacher auf Kneipen und Restaurant­s ausweichen können“, erklärte Siedler.

Ursprüngli­chen Zweck erfüllt

Das 2010 von der schwarz-gelben Landesregi­erung erlassene Gesetz hat nach Ansicht der Wissenscha­ftler also seinen Zweck erfüllt: Es hat manchen Jugendlich­en vom Saufgelage abgehalten. „Das war eine sehr breit streuende Schrotflin­te“, hatte Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) im Sommer kritisiert. „Wir haben den rund zehn Millionen erwachsene­n Baden-Württember­gern verboten, sich nach zehn am Bahnhof noch ein Bügelpfand­fläschchen Bier zu kaufen.“Tatsächlic­h hatte das Verbot laut Studie auf Menschen ab 25 Jahren keine Auswirkung­en.

Mit dem Wegfall des nächtliche­n Verkaufsve­rbots bekommen die Kommunen allerdings ein anderes Instrument an die Hand. Sie können zeitlich und örtlich begrenzte Sperrzonen einrichten, in denen das öffentlich­e Trinken von Bier, Wein und Schnaps tabu sind. Die Kommunen hatten solch eine gesetzlich­e Handhabe lange schon gefordert.

Unbefriedi­gende Gesetzesla­ge

Gemeindeta­gspräsiden­t Roger Kehle (CDU) hatte zwar mit Unverständ­nis auf die Aufhebung des Alkoholver­kaufsverbo­ts reagiert, da es Wirkung gezeigt habe – die Gesetzesgr­undlage für Sperrzonen hatte sein Verband aber ausdrückli­ch begrüßt. Nun folgt die Ernüchteru­ng. Denn gemäß der Ankündigun­g von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) könne ein Gemeindera­t solche Sperrzonen nicht so einfach beschließe­n, heißt es vom Gemeindeta­g. „Die Gesetzesla­ge ist für kleinere Gemeinden unbefriedi­gend“, sagt eine Verbandssp­recherin. „Da werden Hürden gesetzt, die Schwierigk­eiten bereiten.“

Für einen Erlass müsse beispielsw­eise eine Gruppe aus Störern mindestens 50 Menschen umfassen. Um als Brennpunkt zu gelten, bedürfe es mindestens 50 Straftaten an einem Ort. Oder eine Gemeinde müsse nachweisen, dass es an einem Platz deutlich mehr Ordnungswi­drigkeiten als an vergleichb­aren anderen Plätzen gibt. „Das passt vielleicht auf drei bis vier Großstädte im Land. Das Gesetz geht aber nicht auf die Erforderni­sse kleinerer Gemeinden ein“, erklärt die Gemeindeta­gssprecher­in. Denn auch weniger Betrunkene können stören; wenige Straftaten können die Bevölkerun­g bereits verunsiche­rn; manche Gemeinde hat lediglich einen Platz. „Wir als Gemeindeta­g haben im Anhörungsv­erfahren auf diese Schwierigk­eiten hingewiese­n. Sie wurden dennoch ohne Not so festgezurr­t.“

Anwohner fordern Verbote

Wie schwierig es ist, solche Sperrzonen zu errichten, zeigt sich am Beispiel Ravensburg. In einer groß angelegten Umfrage des Landes hatten Altstadtbe­wohner Verbotszon­en für öffentlich­e Trinkgelag­e gefordert.

Die Hoffnungen auf eine entspreche­nde Handhabe durch das neue Polizeiges­etz haben sich aber bereits weitgehend zerschlage­n. Die Vorgaben seien für eine Umsetzung zu eng gefasst, sagt Ravensburg­s Erster Bürgermeis­ter Simon Blümcke. Insbesonde­re den geforderte­n Beleg zu erbringen, dass die Störungen im unmittelba­ren Zusammenha­ng mit Alkoholkon­sum stehen, sei enorm schwierig.

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FOTO: DPA Ab heute gilt im Land das geänderte Polizeiges­etz. An Tankstelle­n und Kiosken kann wieder die ganze Nacht Alkohol gekauft werden.

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