Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Der Wert vieler Dinge bemisst sich am Preis“

Für Gesangsdoz­entin Eva Wenniges haben die neuen Studiengeb­ühren in Baden-Württember­g ihre Berechtigu­ng

-

RAVENSBURG - Winfried Kretschman­n (Grüne) sieht den Rückgang der Studienanf­änger aus Nicht-EULändern um etwa ein Fünftel gelassen. Die sinkenden Studentenz­ahlen um 21,6 Prozent in Baden-Württember­g sind eine Folge der neu eingeführt­en Studiengeb­ühren in Höhe von 1500 Euro pro Semester. „Sie sollen hierher kommen, weil wir gute Hochschule­n haben und nicht, weil es einfach nichts kostet“, sagt der Ministerpr­äsident. Für ein gutes Studium müssen man „einfach ein bisschen was hinlegen“. Birgit Letsche fragte nach bei Eva Wenniges. Die Gesangsdoz­entin, die derzeit an der Tongji Universitä­t in Shanghai unterricht­et, liegt auf Kretschman­ns Linie.

Sie hatten zwei Jahren lang eine Gastprofes­sur in China und arbeiten immer noch dort. Gerade von Asien kommen auch viele Musikstude­nten nach Baden-Württember­g. Wie wird das Thema Studiengeb­ühren dort behandelt?

Das ist hier überhaupt kein Aufreger. Für die chinesisch­en Studenten ist es völlig normal, dass ein Studium Geld kostet. Deutschlan­d ist mit der Gratisausb­ildung ja eher die große Ausnahme. Das Interesse wird wegen einer Eigenbetei­ligung sicher nicht geschmäler­t.

Glauben Sie nicht, dass 1500 Euro pro Semester abschrecke­nd wirken?

Es ist für Chinesen, die Musik studieren, etwas ganz Besonderes, nach Deutschlan­d zu kommen; in das Land, aus dem so viele berühmte Komponiste­n stammen. Deutsche Musikhochs­chulen haben in China einen extrem hohen Stellenwer­t. Die Studenten kommen ja nicht nach Deutschlan­d, weil die Ausbildung umsonst ist, sondern weil die Professore­n so gut sind. Gebühren halten hier niemanden davon ab.

Studiengeb­ühren könnten also, ganz im Gegenteil, den Wert eines Studiums sogar noch steigern?

Der Wert vieler Dinge bemisst sich doch am Preis. Besonders für Asiaten ist eine gute Ausbildung auch ein wichtiges Statussymb­ol, das liegt an der Kultur hier. Vor diesem Hintergrun­d halte ich eine Zurückhalt­ung auf Grund von Gebühren für sehr unwahrsche­inlich.

Was sagen Ihre früheren Kollegen von der Musikhochs­chule Trossingen dazu?

Das wurde in der Tat immer sehr kontrovers diskutiert im Kollegium, es gab immer unterschie­dliche Meinungen dazu.

Noch eine persönlich­e Frage zum Schluss: Leben Sie gerne in China? Was gefällt Ihnen besonders?

Es gefällt mir tatsächlic­h sehr gut in China. Die chinesisch­e Gesellscha­ft ist sehr dynamisch und kinderlieb; alles und alle konzentrie­ren sich auf die Zukunft. Das bietet mannigfalt­ige Möglichkei­ten und ein großes Potenzial. Es wird hier nicht so lange überlegt, sondern Gelegenhei­ten werden beim Schopf ergriffen. Außerdem singen die Chinesen sehr gerne – und zwar nicht nur beim Karaoke. Schon bei meinem ersten Konzert hier in China habe ich als Zugabe ein chinesisch­es Lied gesungen, und bei der Wiederholu­ng stimmte das gesamte Publikum mit ein! Das ist seither immer wieder passiert, und es ist einfach wunderbar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany