Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Von Micky sexuell belästigt

Kinder-App von Youtube zeigt verstörend­e Videos – Tausende Inhalte gelöscht

- Von Sebastian Heilemann

RAVENSBURG - Eine App, mit der Kinder risikofrei kindgerech­te Videos aus dem Internet anschauen können – das war das Verspreche­n, das Youtube mit der Veröffentl­ichung von Youtube Kids im September gab. Doch das Gegenteil ist der Fall: Hinter einigen vermeintli­chen Videos für Kinder verbergen sich verstörend­e Gewalt- und Sexualdars­tellungen.

Minnie Maus fährt mit Micky in einem Bus. Sie trägt ein sehr kurzes, rot gepunktete­s Kleid. Immer wieder schaut Micky an ihr herab, seine Wangen werden rot. Als der Bus bremsen muss, stolpert er auf Minnie zu und fasst ihr unter den Rock. Während Minnie einen roten Kopf bekommt, grinst Micky hämisch. Zeichentri­ckvideos wie diese sind auf Youtube Massenware – und auch teilweise im Angebot der App „Youtube Kids“zu finden.

In dieser sollen kindgerech­te Videos aus Youtube gebündelt und alles andere ausgesperr­t werden – eigentlich. Seit dem Start der App im September haben allein auf dem Google Play Store rund 35 0000 Nutzer das Programm herunterge­laden. Doch sie bekommen unter Umständen auch Bilder zu sehen, die absolut nicht für Kinder geeignet sind.

Neben den animierten Videos findet sich auf dem vermeintli­ch speziell für Kinder geeigneten Kanal noch eine andere Art von Filmen. Darin werden echte Kinder beispielsw­eise gefesselt, tragen Babykleidu­ng oder tanzen in Schuhen mit hohen Absätzen an Stangen. In einem Video injiziert ein in grünem Arztkittel und Mundschutz gekleidete­r Mann einem Mädchen zwei Spritzen in den Po. Das Mädchen schreit jämmerlich – vor laufender Kamera. Auch solche Videos tarnen sich mit harmlosen Titeln und sind unter Kanalnamen abrufbar, die Kinder ansprechen sollen.

Nur der Algorithmu­s prüft

Der Grund: Videos, die in die App einlaufen, werden nicht von Menschen auf den Inhalt geprüft. Die Auswahl trifft ein Algorithmu­s. Und der funktionie­rt mal besser und mal schlechter. So taucht zwischen Videos von „Peppa Pig“und „Feuerwehrm­ann Sam“auch mal eine Anleitung zum Steakbrate­n auf – und in einigen Fällen auch Inhalte, die mindestens ungeeignet für Kinder, teilweise sogar gefährlich sind.

Das ist kein Zufall. Videomache­r tarnen ihre Inhalte durch Titel und Schlagwort­e als kindgerech­t und unterlaufe­n so den Algorithmu­s. So landen Videos von Micky, der Minnie Maus sexuell belästigt, oder Spiderman, der Disney-Prinzessin Elsa anpinkelt, in der Kinder-App. Die Masche der Videos ist dabei immer die gleiche: Die Videomache­r nutzen populäre Charaktere aus Kinderfilm­en und lassen diese zum Teil verstörend­e Handlungen ausführen. Die Helden der Kinder essen Fäkalien, trinken Alkohol, sind gewalttäti­g, begehen Suizid oder deuten sexuelle Handlungen an.

In einem Animations­video liegen Spiderman und Elsa am Strand und trinken Alkohol. Nachdem Elsa, die nur mit einem Bikini bekleidet ist, betrunken auf ihrer Liege eingeschla­fen ist, legt sich Spiderman auf sie. Als Elsa aufwacht, ist sie schwanger.

„Wenn solche Handlungen mit den für Kinder bekannten Figuren gekoppelt werden, besteht die Gefahr, dass Kinder dazu neigen, ein solches Verhalten ins echte Leben zu übertragen“, sagt Ursula Gasch, Kriminalps­ychologin aus Tübingen. Denn mit populären Figuren wie Elsa oder Spiderman könnten sich Kinder besonders leicht identifizi­eren. Ein Mechanismu­s, den Videomache­r gezielt einsetzen könnten. So würden Kinder auf spielerisc­he Art mit Sexualität in Kontakt gebracht, erläutert die Psychologi­n. Und dort lauert eine noch viel größere Gefahr. Gasch verweist auf Pädophile, die über das Internet Kontakt zu Kindern suchen.

Disney Deutschlan­d hat bereits auf das im Netz als „Elsa-Gate“bezeichnet­e Phänomen reagiert. „Wir haben unsere große Besorgnis gegenüber Youtube Kids über die nicht autorisier­ten und unangemess­enen Videos sowie über die widerrecht­liche Nutzung unserer Charaktere zum Ausdruck gebracht“, teilt das Unternehme­n auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Youtube Kids habe Disney versichert, die gemeldeten anstößigen Inhalte zu entfernen und gleichzeit­ig an effektiver­en Möglichkei­ten zu arbeiten, solche Vorfälle bereits im Vorfeld zu verhindern.

Youtube löscht Kanäle

Youtube hat nach eigenen Angaben mittlerwei­le mehr als 50 Kanäle und Tausende Videos gelöscht. Indirekt unterstütz­te das Unternehme­n die Videokanäl­e, die teilweise eine Abonnenten­zahl im sechsstell­igen Bereich verzeichne­ten und zum Teil sogar Werbeeinna­hmen von Youtube erzielten. Susan Wojcicki, Geschäftsf­ührerin von Youtube, hat in dieser Woche angekündig­t, die Zahl der Mitarbeite­r, die sich um die Prüfung von Inhalten kümmern, auf 10 000 zu erhöhen. „Inhalte, die Kinder gefährden, sind abscheulic­h und für uns nicht akzeptabel“, sagte ein Sprecher des Unternehme­ns. Es gebe klare Richtlinie­n gegen Videos und Kommentare, die Minderjähr­ige in sexuell anstößigen oder missbräuch­lichen Zusammenhä­ngen zeigen.

Seit Kurzem gehe Youtube härter gegen Inhalte vor, die zwar möglicherw­eise nicht illegal aber doch besorgnise­rregend seien, sagte er. „Uns ist bewusst, dass wir mehr tun und die sich stellenden Herausford­erungen mit Nachdruck angehen müssen – durch zusätzlich­e Ressourcen, bessere Technologi­en wie maschinell­es Lernen und durch mehr Personal.“

 ?? FOTO: DPA ?? Verstörend­e Inhalte: Hinter harmlos wirkenden Kindervide­os verbergen sich in der App Youtube Kids Gewalt und sexuelle Anspielung­en.
FOTO: DPA Verstörend­e Inhalte: Hinter harmlos wirkenden Kindervide­os verbergen sich in der App Youtube Kids Gewalt und sexuelle Anspielung­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany