Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mein lieber Schwan

Crankos unvergängl­iche Choreograf­ie von Tschaikows­kys Ballett begeistert in Stuttgart

- Von Katharina von Glasenapp

STUTTGART - „Schwanense­e“ist das klassische Ballett schlechthi­n: Es erzählt die Geschichte vom Prinzen Siegfried, der sich in die verzaubert­e Schwanenpr­inzessin Odette verliebt, und vom Zauberer Rotbart, der ihn mit einer Doppelgäng­erin im schwarzen Federkleid täuscht und den Prinzen schließlic­h untergehen lässt. Peter Tschaikows­ky hat die wunderbare Musik dazu komponiert, Marius Petipa und Lew Iwanow haben 1895 zum Libretto von Tschaikows­kys Bruder Modest eine zeitlos gültige Choreograf­ie geschaffen. Am Stuttgarte­r Staatsthea­ter wurde jetzt die ausdruckss­tarke Choreograf­ie von John Cranko aus dem Jahr 1963 mit der prächtigen Ausstattun­g von Jürgen Rose in neuer Besetzung wieder aufgenomme­n: Alicia Amatriain und Friedemann Vogel glänzen in den Hauptrolle­n und erschaffen vor allem im vierten Akt jenen Zauber, der Ballettfan­s atemlos staunen lässt.

Das Stuttgarte­r Ballett von Ballettche­f Reid Anderson mag zwar auch führend im zeitgenöss­ischen Tanz sein, doch die Traditione­n eben mit den Werken von John Cranko werden erhalten und gepflegt, die Stücke frisch aufpoliert. Nicht nur im Gedenkjahr zum 90. Geburtstag, das auch mit anderen Produktion­en gefeiert wird. Der Erfolg gibt den Stuttgarte­rn recht, die Nachfrage ist riesig und die Premiere umjubelt.

Das Staatsorch­ester Stuttgart unter dem Gastdirige­nten Kevin Rhodes musiziert farbig in den zahlreiche­n Charaktert­änzen des ersten und dritten Akts, entwickelt Dramatik, wenn der böse Zauberer mit seinem schwarzen Schwanenmä­dchen erscheint und im vierten Akt die Liebenden auseinande­rreißt. Das schicksals­schwere Thema wird immer wieder von der Oboe intoniert, Soloviolin­e und Solocello erzählen von Sehnsucht und Empathie, in den beiden „weißen“Akten mit den Auftritten der Schwäne entfalten die Streicher seidig schimmernd­en Glanz.

Poesie und Anmut

Und natürlich ist da die Ausstattun­g von Jürgen Rose mit den warmen Farben der Kostüme, wenn Prinz Siegfried am Tag vor seinem Geburtstag mit der Landjugend feiert oder zum Fest die Hofgesells­chaft in Samt und Seide in den zweistöcki­gen Thronsaal mit Galerie und Treppe einzieht. Wieder ist es ein opulentes Fest fürs Auge, wenn Prinzessin­nen aus Spanien, Neapel, Ungarn und Russland mit ihren Begleitern und Nationaltä­nzen auftreten und sich das Ensemble der 24 Schwanenmä­dchen im letzten Akt zu einer vielarmige­n, mitleidend­en oder aufgeregt wirbelnden Einheit verbindet. Poesie, Anmut und Tragik entfalten ihre Sogkraft.

John Cranko verstand es, Geschichte­n zu erzählen, Menschen aus Fleisch und Blut mit Emotionen auf die Bühne zu bringen. Die erste Solistin Alicia Amatriain erfüllt die Doppelroll­e von Odette, dem zarten, scheuen, lieblichen Schwan und Odile, dem schwarzen, koketten, verführeri­schen Schwan mit Anmut, Temperamen­t und Virtuositä­t. Immer neu schwingt sie sich im dritten Akt in ihren Pirouetten, Sprüngen und Fouettés auf, um den Prinzen zu täuschen. Hinreißend und voll Trauer aber ist ihr Ausdruck, wenn Odette ihn ein letztes Mal sehen darf.

Ebenso begeistert Friedemann Vogel in der Vielfalt und Virtuositä­t seiner Körperspra­che, wenn er sich vom unbekümmer­ten jungen Mann in einen verzweifel­t Liebenden wandelt: Kraftvolle, raumgreife­nde Sprünge voller Lebenslust, Innigkeit und Kraft in den Hebungen mit seiner Partnerin und eine über vier intensive Akte gesteigert­e Energie zeichnen seinen Tanz aus. Das gesamte Ensemble wird in den Charaktert­änzen des ersten und dritten Akts von diesem symbiotisc­h verschmelz­enden Paar angesteckt und beflügelt. Weitere Aufführung­en sind teils mit anderen Solisten besetzt, was einmal mehr die Brillanz und Virtuositä­t des Stuttgarte­r Balletts unterstrei­cht.

Es gibt evtl. noch Restkarten für die Vorstellun­gen am 9., 14., 15., 18., 23., 25. und 30. Dezember. Kartentele­fon: (0711) 20 20 90

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FOTO: © STUTTGARTE­R BALLETT Crankos „Schwanense­e“-Choreograf­ie glänzt noch immer.

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