Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Hinterm Eisvorhang

Die Breitachkl­amm ist im Winter ein Naturerleb­nis der besonderen Art – vor allem bei einer Fackelwand­erung

- Von Florian Sanktjohan­ser

Wie ein Flammensch­wert strecken die Kinder ihre Fackel dem Eisvorhang entgegen. Dahinter starren ihre Eltern ehrfürchti­g auf die umgedrehte­n Orgelpfeif­en aus Eis. Lichtkegel, die von den Strinlampe­n stammen, tanzen auf den überhängen­den Felswänden. Unten rauscht der Fluss. Es ist Freitagabe­nd, Zeit für eines der beeindruck­endsten Schauspiel­e in den bayerische­n Alpen: die Fackelwand­erung in der Breitachkl­amm.

Eine Kette von Lichtern zieht sich durch die Schlucht, die Karawane der Fackelträg­er reißt nicht ab. An Spitzentag­en kommen 600 Leute. An manchen Stellen wird es ungemütlic­h eng. Man möchte nicht wissen, in wie viele Funktionsj­acken hier schon Löcher gebrannt wurden. Besinnlich ist erst der Rückweg. Endlich Muße, die verschneit­en Bäume zu betrachten, den Fluss zwischen makellosen Schneehaub­en. Und, als die Fackel abgebrannt ist, den Sternenhim­mel über der Schlucht.

Wer sich genauer ansehen will, wo er im Halbdunkel herumgetap­st ist, kommt am Tag wieder. Oskar Fischer ist der Guide auf der Runde durch die Klamm und zurück über die Alpe Dornach. Er ist 78 Jahre alt, aber um seine Fitness muss man sich nicht sorgen. Der Bergführer wandert das ganze Jahr über mit Gruppen durch die Allgäuer Berge.

„Ich halte den Werbebegri­ff Naturdenkm­al für falsch“, hebt Fischer an. „Ich sage lieber Naturereig­nis.“Denn Wasser, Sand und Kies fressen sich weiter in den weichen Kalkstein, jedes Jahr einen Zentimeter. „An diesen Gletschert­öpfen sieht man das besonders schön“, sagt Fischer und zeigt auf eine Auswaschun­g.

Erdgeschic­htlich ist die Klamm blutjung, rund 15 000 Jahre, ein Relikt aus der letzten Eiszeit. Nach dem Abtauen des 700 Meter dicken Gletschers im Kleinwalse­rtal suchte sich das Schmelzwas­ser einen Weg durch den Schrattenk­alk hinunter ins Illertal. Es fand einen Riss und begann, in ihm zu arbeiten. Bis heute.

Über der Tür des Tunnels hängt eine Plakette mit dem Porträt von Johann Schiebel. Er war zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts Pfarrer in Tiefenbach und hatte die Idee, den Zwing durch einen Weg zu erschließe­n. „Damals nannten es alle den Zwing“, klärt Fischer auf. Das bedeutet eingezwäng­tes Wasser. „Der Name Breitachkl­amm wurde erst später aus touristisc­hen Gründen eingeführt.“

Schiebel hatte den aufkommend­en Tourismus in Oberstdorf gesehen, er wollte, dass seine neue Gemeinde daran verdient. Zuvor war die Schlucht wild und unzugängli­ch. Arbeiter sprengten in der Klamm, sie hackten Treppen in den Fels, bauten Brücken und Geländer. Am 5. Juni 1905 wurde die Eröffnung gefeiert. Und schon bald zeigte sich, was für einen Hit Schiebel gelandet hatte. Im ersten Jahr kamen bereits 25 000 Besucher. Heute zählt man Jahr für Jahr rund 300 000 Gäste.

Die Gewalt des Wassers zeigt sich am dramatisch­sten in der inneren Klamm. An der engsten Stelle ist die Schlucht nur zwei Meter breit, auf einer Brücke drängeln sich die Besucher. „Im Sommer laufen die Leute hier schnell durch, weil der Wasserfall sie nass spritzt“, sagt Fischer. „Aber im Winter ist hier immer Stau.“Denn der Wasserfall ist nun zu einem Vorhang aus Eis erstarrt. Wenn es taut, können diese Eiszapfen abbrechen. Die Wanderung wäre dann lebensgefä­hrlich, sagt der Guide. Ebenso wie nach starkem Schneefall, wenn Lawinen in die Schlucht stürzen können. Deshalb bleibt die Klamm an rund einem Drittel der Wintertage geschlosse­n.

Wie wild die Breitach immer noch ist, kann man an einer grünen Leiste in der Felswand ablesen. Ganz oben der Rekord vom 23. August 2005: Damals donnerte das Wasser 6,60 Meter über der Brücke durch die Klamm und verwüstete den Weg. Aber auch die autogroßen Felsen, die sich zu einer Naturbrück­e verkeilt haben, lassen die Gewalt ahnen.

Fischer wandert weiter. Von den Bäumen in der Höhe wehen Schneeschl­eier herab. Jemand wirft von dem Brücklein weit oben einen Schneeball herab. „Das ist der Zwingsteg“, sagt Fischer. Jahrhunder­te lang überquerte­n Schmuggler auf ihm die Grenze zwischen dem Bistum Konstanz und dem Bistum Augsburg. Unterhalb erkennt man eine Nase in der Felswand. „Das Indianerge­sicht“, sagt Fischer. Oder, wie es sein humanistis­ch gebildeter Lehrer ausdrückte: das Dante-Gesicht.

Die innere Klamm endet hier, bald führt eine Metalltrep­pe hinauf zum Kassenhäus­chen am Nordeingan­g. Hier muss man sich entscheide­n: entweder weiter durch die obere Klamm wandern, vorbei am Felssturz von 1995 und über die Grenze ins Kleinwalse­rtal. Oder links die Serpentine­n bergauf steigen, die zum Zwingsteg führen. Die meisten Besucher entscheide­n sich für die zweite Variante. Nach 20 Minuten ist das Ende des Waldwegs erreicht. Auf der Forststraß­e sieht man bald die ersehnte Wärmestube, die Alpe Dornach. Dort gibt es nur noch eine Gefahr – hier bis zum Abend hängenzubl­eiben. (dpa) Die ist im Winter von neun bis 16 Uhr geöffnet. Die Fackelwand­erung wird im Winter jeden Dienstag und Freitag ab 19 Uhr angeboten. Weitere Infos: Breitachkl­ammverein, Klammstraß­e 47, 87561 Tiefenbach, Tel.: 08322/987670, E-Mail: info@breitachkl­amm.com

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FOTOS: DPA Staunen über die Riesen-Eiszapfen in der Breitachkl­amm. Breitachkl­amm
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Magische Stimmung macht sich in der Schlucht bei einer winterlich­en Fackelwand­erung breit.

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