Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„2017 war für die Landwirtschaft ein echtes Krisenjahr“
Der Leiter des Landwirtschaftsamts Hermann Gabele spricht über die Ernetausfälle der Obstbauern, Glyphosat und den Klimawandel
IMMENSTAAD/OBERTEURINGEN Die Obstbauern im Bodenseekreis mussten 2017 aufgrund von Frostschäden enorme Ernteausfälle hinnehmen. Auch die Bauern rund um Oberteuringen waren stark betroffen, in Immenstaad kamen außerdem noch Hagelschäden dazu. Hermann Gabele spricht deshalb von einem echten Krisenjahr für die Landwirtschaft. Im Gespräch mit Alexander Tutschner nimmt der Leiter des Landwirtschaftsamts im Bodenseekreis zu weiteren landwirtschaftlichen Themen Stellung.
Herr Gabele, welche Bilanz ziehen Sie für 2017 aus Sicht der Landwirtschaft im Bodenseekreis?
Das Jahr 2017 war eines der schwierigsten für die Landwirtschaft im Bodenseeraum. Auch wenn es für einige Bereiche wie den Futterbau ordentlich lief. Aber wenn man die frostbedingten Ernteausfälle bei den Obstbauern sieht, muss man von einem echten Krisenjahr sprechen. 50 Prozent der Landwirte im Bodenseekreis leben ja vom Obstbau.
Man spricht mittlerweile vom Jahrhundertfrost 2017 ...
Ja, in den Nächten vom 19. bis zum 22. April hatten wir massiven Frost. Nach einem Schneefall hat es aufgeklart und die nachströmende Kaltluft brachte im Bodenseekreis Tiefsttemperaturen von bis zu minus sieben Grad. Der Frost breitete sich flächendeckend aus, das war untypisch. Normalerweise sind nur tiefere Tallagen betroffen. Beim Kernobst hatten wir in der Folge Ausfälle von circa 70 Prozent und bei Steinobst von bis zu 90 Prozent der Ernte. Einen ähnlich starken Frost gab es auf jeden Fall seit 1981 nicht mehr. Es war ein Jahrhundertfrost.
Wie sieht die staatliche Unterstützung aus?
Bis zum 30. Oktober lief die Frist für die Antragsstellung. Wir haben etwa 5900 Hektar Schadensfläche im Kreis gemeldet bekommen, das Hilfsprogramm ist gut angenommen worden. Die Landwirte bekommen knapp 50 Prozent des Nettoschadens ersetzt. Das heißt, es müssen zuvor eingesparte Erntekosten und dergleichen abgezogen werden.
Alle hoffen auf ein gutes Jahr 2018 ...
Die Obstbauern leben immer von den Ernteerlösen des Vorjahres, weil sie vom Vermarkter über das Jahr hinweg je nach Absatz Abschlagszahlungen bekommen. Die Liquiditätsprobleme der Bauern beginnen also erst 2018, wenn die Verkaufserlöse ausbleiben. Der Landwirt muss ja trotz Ernteausfall seine Anlage pflegen und hat den gleichen Arbeitsaufwand wieder. Es wird für viele schwer, das nächste Jahr zu überstehen. So ein Ernteausfall ist massiv existenzbedrohend. Gerade, wenn ein Betrieb keine Rücklagen hat oder gerade viel investiert hat.
Wird jetzt über Prävention nachgedacht?
Die Obstbauern haben viel versucht. Zum Beispiel wurden bei Frost Paraffinkerzen in den Anlagen aufgestellt. Die bringen auch was, eine effektive Anwendung erfordert jedoch den Einsatz von mindestens 200 Paraffinkerzen je Hektar. Damit kann man Schäden im Bereich von bis zu minus zwei Grad verhindern. Es ist also eine aufwändige und teure Maßnahme. Beim diesjährigen Frost hätte sie nicht ausgereicht.
Was bringt Frostschutzberegnung?
Das ist eine sehr effektive Maßnahme. Auch bei Temperaturen von Minus vier bis sieben Grad hatten die Obstbauern damit noch Erfolg. Zum Beispiel im Argental, wo in Anlagen mit erfolgreicher Frostschutzberegnung in diesem Jahr beinahe normale Ernteerträge erreicht wurden. Das große Problem ist, dass man so lange der Frost anhält die komplette Anlage durchgehend beregnen muss und somit viel Wasser braucht. Schon bevor die Null-Grad-Grenze erreicht wird, sollte die Frostschutzberegnung einsetzen und man muss sie permanent durchziehen bis morgens die Sonne kommt. Man braucht dafür eine sehr viel leistungsfähigere Infrastruktur als für eine Trockenheitsberegnung. Hermann Gabele
Ist das hier eine Möglichkeit?
Im Bodenseekreis haben wir zwar mit dem See einen fast unerschöpflichen Wasserspeicher, aber das Wasser muss erst mal zu den Obstanlagen kommen. Bisher funktioniert Frostschutzberegnung wegen der großen kurzfristig benötigten Wassermenge nur in Anbaugebieten an der Argen. An anderen Standorten ist kurzfristig meist nicht ausreichend Wasser verfügbar. Dort müssten Speicherbecken gebaut werden. Die Frostschutzberegnung ist im Bodenseekreis daher mit einem hohen Kostenaufwand verbunden. Trotz der Schäden ist die Zahl der Betriebe, die in eine Frostschutzberegnung investieren wollen, überschaubar.
Kann man sich gegen Frostschäden versichern?
Die sogenannte Mehrgefahren-Versicherung wäre für eine größere Anzahl von Landwirten eine Lösung. Auf der Messe Fruchtwelt Bodensee in Friedrichshafen (23. bis 25. Februar) wird das Thema von Fachleuten erklärt. In der Steiermark oder in Südtirol gibt es solche Versicherungen bereits. Sie werden dort gut angenommen. Durch einen Zuschuss von der öffentlichen Hand sind die Policen einigermaßen bezahlbar.
Der Einsatz von Glyphosat ist ein heiß diskutiertes Thema. Wie wichtig ist das Herbizid in der heimischen Landwirtschaft?
Glyphosat ist ein Breitbandherbizid, das Flächen von Unkräutern freihält. Es wird im Ackerbau eingesetzt, vor allem um Problemunkräuter und -gräser zu bekämpfen sowie in Sonderkulturen wie dem Obstbau, um den Baumstreifen freizuhalten.
Können Sie verstehen, dass der Verbraucher verunsichert ist, da manche Experten Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“einstufen?
Die für die Risikobewertung zuständigen Stellen kamen diesbezüglich zu einem unterschiedlichen Ergebnis. Das führt zur Verunsicherung der Verbraucher. Wir können da keine Einschätzung abgeben. Das Landwirtschaftsamt unterstützt die Anwender von Pflanzenschutzmitteln im Rahmen von Bildung und Beratung darin, deren Anwendung auf das notwendige Maß zu reduzieren. Im Hinblick auf das kontrovers diskutierte Glyphosat sensibilisieren wir die Landwirte. Dabei wird auf alternative Verfahren der mechanischen und nass-thermischen Unkrautregulierung hingewiesen. Seit dem Sommer 2015 gelten verschärfte Regeln bei der Anwendung von Glyphosat.
Die zweite große Gruppe an Landwirten im Kreis sind die Grünlandbetriebe mit Milchwirtschaft. Wie geht es den Milchbauern aktuell?
Der Milchmarkt war im Jahr 2005 der letzte Markt, der dereguliert wurde. Wir haben also seit dem Weltmarktpreise. Das Preisniveau ist seitdem niedriger und es schwankt stärker. Bei den Abschwüngen fällt der Preis weit unter die Produktionskosten. Man geht hier von etwa 40 Cent pro Liter aus. Wir hatten schon Preise von 23 Cent im Schnitt pro Jahr. Dann bekommen unsere Bauern existenzielle Probleme. In solchen Phasen haben wir Aufgaberaten von fünf bis sieben Prozent. Im Jahr 2017 liegt der Milchpreis bei etwa 35 Cent, das reicht für den Durchschnittsbetrieb nicht aus, der Strukturwandel geht weiter. Momentan geben im Bodenseekreis rund drei Prozent der Milchbauern pro Jahr ihren Betrieb auf.
Wie können die Milchbauern überleben?
Die Landwirtschaft konkurriert im Hochlohnland Baden-Württemberg mit anderen Wirtschaftssektoren um Arbeitskräfte. Für die Betriebe ist es notwendig, sich voll auf Milchwirtschaft zu konzentrieren und effizient zu arbeiten. Das heißt arbeitseffiziente Verfahren einzusetzen. Moderne Technik eben, wie den Melkroboter oder einen modernen Melkstand. Die Melkarbeit macht etwa die Hälfte der Gesamtarbeitszeit aus. Auch die Bestandsgröße ist wichtig, ein Melkroboter macht nur Sinn ab etwa 70 Kühen. Für den Erhalt landwirtschaftlicher Betriebe sind Nebenbetriebe, wie zum Beispiel Fotovoltaikanlagen, Ferien auf dem Bauernhof und so weiter hilfreich.
Wird dabei auch an die Kuh gedacht?
Ganz klar, die Tiere müssen sich wohl fühlen, dann geben sie auch gute Leistungen. Die Tierhalter geben sich viel Mühe, die Haltungsbedingungen optimal zu gestalten. Sie sind da auf einem sehr guten Weg. Gerade die neuen Ställe sind auf einem hohen Tierwohl-Niveau. Diese Ställe sind höher, haben dadurch mehr Luftvolumen, die Wände sind durchlässiger für die Frischluftzufuhr, die Tiere haben ständig Zugang zu gutem Futter oder die Möglichkeit zu liegen. Ich habe es schon erlebt, dass die Kühe bei besten äußeren Bedingungen nicht auf die Weide wollten, sondern lieber im Laufstall geblieben sind.
Vom See kommen mittlerweile edle Tröpfchen ...
Wein wird auf rund 500 Hektar im Bodenseekreis angebaut, die Tendenz ist steigend. Das hängt auch mit dem Klimawandel zusammen. In den 50er und 60er-Jahren, als wir eine kleine Eiszeit hatten, hatten wir auch eine Abnahme des Weinbaus. Die Winzer schränkten den Weinbau zugunsten des Obstbaus ein. Nun kehrt sich diese Entwicklung um. 1999 wurde auf 1,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Wein angebaut, 2016 waren es 1,8 Prozent. Das ist eine Zunahme von rund einem Fünftel. Wir sehen ein großes Bemühen der Winzer, hochwertige Qualität zu produzieren. Durch die höheren Temperaturen gedeihen heute im Bodenseekreis auch anspruchsvollere Rebsorten wie Chardonnay oder Sauvignon Blanc. Hermann Gabele
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel bei uns?
Wir haben im Bodenseekreis gegenüber dem langjährigen Durchschnitt eine Temperaturerhöhung um etwa 1,1 Grad zum langjährigen Durchschnitt. Das bringt Vor- und Nachteile, unter dem Strich profitiert die Landwirtschaft etwas. Durch die höheren Temperaturen können Wärme liebende Kulturen verstärkt oder sogar neue Kulturen angebaut werden. Der Mais zum Beispiel profitiert ebenso vom Klimawandel, wie der Anbau von gentechnikfreiem Soja. Dann haben wir eine um etwa drei Wochen längere Vegetationsperiode, was den Ertrag erhöht. Man hat in einem Futterbaubetrieb weniger Winterfuttertage und mehr Weidetage, was die Produktionskosten senkt. Im Gemüsebau können anspruchsvollere Tomaten- und Gurkensorten oder Auberginen ins Programm aufgenommen und mit weni- ger Heizaufwand produziert werden.
Und die Nachteile ...
... sind zum Beispiel die Wetterextreme. Seit Jahren nimmt die Hagelhäufigkeit zu. Die Obstbauern haben darauf reagiert und schützen ihre hochwertigen Sorten mit Hagelschutznetzen. 40 Prozent der Tafelobst-Anbaufläche sind heute unter solchen Netzen. Auch die Tendenz zu Sommertrockenheit, Wassermangel und hoher Sonneneinstrahlung ist da. Und damit etwa die Gefahr für den Sonnenbrand auf den Früchten. Man kann noch nicht sagen, dass die Frostgefahr durch den Klimawandel steigt. Aber durch die verlängerte Vegetationszeit treiben viele Pflanzen früher aus. Der Beginn der Obstblüte ist heute etwa zehn Tage früher. Dementsprechend könnte die Gefahr für Spätfröste zunehmen.
Gibt es auch im Bodenseekreis den Trend zur Bioproduktion?
Elf Prozent unserer Betriebe betreiben ökologische Landwirtschaft. Damit liegt dieser Anteil über dem Landesdurchschnitt. In diesem Bereich, vor allem auch bei der Bio-Milchwirtschaft, unterliegen die Preise nicht diesen extremen Schwankungen. Die jüngste Milchpreis-Baisse hatten wir im Bio-Bereich nicht. Wir hatten aber teilweise einen Annahmestopp bei der Biomilch, das heißt dieser Bereich kann wegen der begrenzten Nachfrage auch nur begrenzt ausgebaut werden. Viele Betriebe haben aber in der Vergangenheit erfolgreich umgestellt. Beim Gemüse werden die Bio-Produkte oft direkt an den Verbraucher und nicht über den allgemeinen Lebensmittelhandel vermarktet. Auch bei der Direktvermarktung sind die Preisschwankungen weniger ausgeprägt. Der Biomarkt galt lange als Nische, er hat sich aber stark entwickelt. Wir hatten oft zweistellige Zuwachsraten, auch im Bodenseekreis. Immer noch wächst bei uns die Nachfrage stärker als das Angebot, so dass Anbieter aus dem Ausland den Biomarkt hierzulande stark mitbedienen. Das Wachstum auf den Märkten für Bioprodukte bietet Chancen für heimische Betriebe. Den höheren Preisen für Bioprodukte stehen jedoch auch höhere Aufwendungen gegenüber.
„Es wird für viele Obstbauern schwer, das nächste Jahr zu überstehen.“
„Der Mais profitiert ebenso vom Klimawandel, wie der Anbau von gentechnikfreiem Soja“
Was wünschen Sie sich für 2018?
Für 2018 wünsche ich mir, dass wir beim Obst eine gute Absatzlage bekommen. Meist folgt auf ein ertragsschwaches ein ertragsstarkes Jahr. Ich hoffe daher, dass die Verbraucher im nächsten Jahr wieder gerne zugreifen und reichlich Obst vom Bodensee konsumieren. So dass die Bauern das schlechte Jahr wegstecken und wieder Rücklagen bilden können.