Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Vorlesen eröffnet Kindern neue Welten
85 Ehrenamtliche engagieren sich im Vorlesenetzwerk der Kinderstiftung Bodensee
FRIEDRICHSHAFEN - Kindern Zeit schenken, ihnen vorlesen und sie so mit in fremde Welten nehmen: Das ist das Ziel des Vorlesenetzwerks der Kinderstiftung Bodenseekreis. 85 ehrenamtliche Vorlesepaten gehen im Bodenseekreis regelmäßig in Kindergärten, Förder- und Grundschulen und lesen vor.
Zwei dieser Vorlesepaten sind Lena Wocher und Chantal Sailer. Die jungen Frauen kommen jeden Dienstag in den Kindergarten Noadja in Friedrichshafen, um den Kindern dort vorzulesen. „Die Bücher suchen wir zur Jahreszeit passend aus. Besonders gut kommen interaktive Bücher an, bei denen man zum Beispiel etwas aufklappen kann“, sagt Lena Wocher. Heute steht das Buch „Elmar und das Känguru“auf dem Plan. „Auf seinem Morgenspaziergang traf Elmar, der bunt karierte Elefant, den Tiger“, liest Chantal Sailer vor. „Der Elefant ist so bunt wie ein Regenbogen“, ruft die vierjährige Imani.
Die 20-jährige Lena Wocher und die 21-jährige Chantal Sailer sind seit sieben Monaten Vorlesepatinnen. In einem Einstiegsseminar haben sie gelernt, welche Bücher geeignet sind, und wie sie die Kinder zum Lesen animieren können. Wocher arbeitet beim Landratsamt, Sailer studiert Grundschullehramt in Weingarten. Ihr Ehrenamt üben sie aus, bevor sie zur Arbeit beziehungsweise zum Studieren gehen. Morgens um 7.30 Uhr sind allerdings noch nicht viele Kinder im Kindergarten und die Zuhörergruppe ist deshalb sehr klein. Das ist aber so gewollt. „Am Besten ist es, wenn maximal vier Kinder dabei sind“, sagt Marielle Veser, Koordinatorin des Vorlesenetzwerks der Kinderstiftung Bodensee. So könne sich der Vorleser auf jedes einzelne Kind konzentrieren und auf Fragen eingehen. Das können Erzieherinnen im Kindergartenalltag oft nicht leisten, sagt Kindergartenleiterin Kerstin Erdmann. „Wir lesen Geschichten im Stuhlkreis, mit bis zu 20 Kindern, vor. Zurückhaltende Kinder gehen da mit ihren Fragen unter“, erklärt sie. Der Kindergarten Noadja bekommt zusätzlich zu den Vorlesepaten einmal in der Woche Besuch von einer Vorlese-Oma.
Die vierjährige Chayenna kuschelt sich an den Arm der Vorlesepatin Lena Wocher. Noch etwas müde reibt sich das Mädchen die Augen. „Was macht der bunte Elmar jetzt?“, fragt Chayenna. Sie kommt regelmäßig zum Vorlesen. „Chayenna wird von Woche zu Woche aufgeschlossener und fragt mehr nach“, sagt Lena Wocher.
Dass Kinder etwas Positives mit Lesen verbinden und später selbst gerne lesen, das ist das Ziel des Vorlesenetzwerks. „Wir wollen den Kindern zeigen, dass es Freude macht sich mit Sprache zu beschäftigen und dass Lesen bedeutet, in andere, fremde Welten abzutauchen“, sagt Marielle Veser. Das seien Werte, die viele Kindern oft nicht von zuhause mitbekommen würden. „Immer weniger Eltern lesen ihren Kindern vor“, erklärt Veser. Ein Grund sei, dass sich das Familienleben wandle und immer schnelllebiger werde. Oft bliebe neben den Herausforderungen des Alltags keine Zeit zum Vorlesen.
Bücher bekommen immer mehr Konkurrenz
Außerdem bekommt das klassische Buch immer mehr Konkurrenz. „Computer, Spielekonsolen oder der Fernseher sind oft anziehender, als ein Buch“, sagt Erdmann, „Das Buch wird für Kinder erst interessant, wenn es ein Erwachsener aus dem Regal nimmt, vorliest und erklärt.“Das Vorlesenetzwerk will mit den Vorlesepaten einen klaren Gegentrend setzen und sich gezielt Zeit für die Förderung der Kinder nehmen. „Unterbewusst entwickeln die Kinder emotionale und soziale Kompetenzen, wenn ihnen vorgelesen wird. Das passiert nicht wenn die Kinder Computer spielen oder Fernseh schauen“, erklärt Veser. Kerstin Erdmann wünscht sich deshalb, dass sich einige Eltern etwas bei den Vorlesepaten abschauen. „Ich wünsche mir, dass mehr Eltern das Vorlesen am Abend als festes Ritual einführen. Einfach mal alle anderen Pflichten sein lassen und sich Zeit nehmen“, sagt Erdmann.
Nicht nur die Kinder genießen das Vorlesen, auch die Vorlesepaten nehmen etwas davon mit. „Für mich ist es immer ein toller Start in den Tag. Ich gehe immer mit einem Lächeln aus dem Kindergarten“, sagt Chantal Sailer. 20 Minuten haben die Kinder den Vorlesepatinnen gespannt zugehört und der Geschichte von Elefant Elmar, der einem Känguru Mut macht zu springen, gelauscht. Lena Wocher klappt das Buch zu. „So das wars’ für heute“, sagt sie. „Ende Gelände“, ruft Chayenna und kichert.
Ein Video zur Aktion des Vorlesenetzwerks finden Sie online unter ●» www.schwaebische.de/ vorlesepatenfn