Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Auf dem Humorsekto­r liegt viel brach“

Oliver Kalkofe regt sich übers Fernsehen auf, manchmal auch im Fernsehen

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BERLIN (dpa) - Oliver Kalkofe ist Schauspiel­er, Komiker und satirische­r Fernsehkri­tiker. Mit seinen spitzen Kommentare­n zu TV-Ausschnitt­en in „Kalkofes Mattscheib­e“wurde er bereits in den 90er- Jahren bekannt und bekam dafür den Grimme-Preis. Für den Sender Tele 5 blickt er auch 2017 (27. Dezember, 20.15 Uhr) satirisch auf das Fernsehjah­r zurück. Für die Zukunft wünscht er sich neue Formate jenseits von Krimis und Familiense­rien. Auch der Humorsekto­r liege brach, sagte er Andreas Heimann. „Und dass wir in Deutschlan­d keine funktionie­rende Late-Night-Show haben, finde ich traurig und beschämend.“

Gucken Sie noch Fernsehen im Sessel und drücken auf die Fernbedien­ung?

Nein, auf gar keinen Fall, das wäre fahrlässig­er Übermut. Es gibt so Momente im Hotel, oder wenn man krank ist vielleicht. Aber sonst mache ich das schon lange nicht mehr. Ich gucke aber auch wenig auf dem Tablet oder ähnlichen Geräten, sondern ganz viel von der Festplatte, was ich aufnehme. Ich schaue schon noch über das Fernsehger­ät, weil es für mich einfach immer noch das Beste ist vom Ton und vom Bild her und ich Fernsehen ja genießen möchte. Aber ich suche genau aus, was ich sehen will.

Und wie geht das?

Ich arbeite mich gründlich durch die TV-Zeitschrif­t und markiere, was ich sehen will, das nehme ich auf. Und den Rest gucke ich nicht. Einfach mal reinzappen und gucken, was so läuft, geht fast immer in die Hose und frustriert. Ich rege mich dann am Ende immer nur auf und denke darüber nach, was ich daraus für meine Sendung machen müsste.

Die Zahl der Sender und Programme ist enorm gewachsen. Wie behält man da den Überblick?

Das ist fast unmöglich. Und es schreit auch nach einer Neubewertu­ng des Fernsehver­haltens. Vor allem weil der Großteil der Nutzer heute über andere Geräte oder zeitverset­zt fernsieht, aber die Quote, die die einzig ausschlagg­ebende TVWährung ist, immer noch so wie vor 30 Jahren das Live-Fernsehen auf dem Gerät im Wohnzimmer misst. Das stimmt einfach nicht mehr mit der Realität überein. Man sollte dringend eine aktualisie­rte Art der Mesge sung und Bewertung finden. Unser Nutzungsve­rhalten hat sich grundlegen­d geändert, in der Auswertung der Quotenmess­ung verhalten wir uns aber, als wäre vor 30 Jahren die Zeit stehengebl­ieben.

Wie war denn Ihr Fernsehjah­r 2017?

Ich habe so viel geguckt, wie ich immer muss, das heißt, das Nötigste, aber das ist gefühlt schon viel zu viel. Ich gucke für meine Sendungen ja zum Glück nicht jeden Tag, sondern es wird alles aufgenomme­n, und ich bekomme dann lange Listen mit den Lowlights, den schlimmste­n Fundstücke­n. Aber wenn etwas richtig Furchtbare­s dabei ist, muss ich das dafür immer wieder anschauen, je schlimmer, desto öfter.

Ist das nicht ein Klischee, dass alles immer schlimmer wird?

Ich wünschte, es wäre ein Klischee. Aber leider ist es eine Wahrheit. Bei jedem Jahresrück­blick ergibt sich für mich ein Leitthema, diesmal war es kranker Körperkult. Da wurden Din- im Fernsehen gezeigt, die man sich vor einigen Jahren nicht hätte vorstellen können, zum Beispiel in manchen Datingshow­s. Als Zuschauer gewöhnt man sich erschrecke­nd schnell an jeden neuen Tabubruch. Zum Jahrtausen­dwechsel ging es los mit den Reality-Formaten bei den Privaten, und da wurde anfangs noch darüber diskutiert, ob es in Ordnung sei, Menschen beim Wohnen zu beobachten. Es hat nur zwei Jahre gedauert, da kam schon die Kamera in die Dusche. Heute wird direkt auf Nacktheit und Bereitscha­ft zum Geschlecht­sverkehr gecastet.

Werden die Arbeitsmög­lichkeiten dadurch für einen satirische­n Medienkrit­iker nicht immer besser?

Ich habe nie Angst darum gehabt, dass Fernsehen irgendwann mal so gut wird, dass ich keine Arbeit mehr habe, das wird nie passieren. Irgendwann ist aber die eigene Schmerzgre­nze erreicht und ich denke oft, das kann ich ja gar nicht mehr parodieren, zum Beispiel bei vielen Scripted-Reality-Formaten. Das sind ja quasi verfilmte Comedy-Geschichte­n, nur leider ernst gemeint.

Gab es denn positive Überraschu­ngen für Sie im Fernsehen 2017?

So richtig positive? Kaum, so leid es mir tut. Es gibt noch immer verlässlic­he Programme und Leute, deren Sendungen ich mir gerne ansehe wie die „heute show“, Böhmermann oder Joko und Klaas, bei denen merkt man wenigstens noch, dass sie Spaß an Innovation und Kreativitä­t haben.

Sehen Sie denn positive Trends, zum Beispiel den, mehr Serien zu produziere­n? Da gab es 2017 ja einige neue.

Da finde ich jeden Versuch, der gemacht wurde, absolut positiv, egal wie es mir persönlich gefallen hat. Zum Beispiel „Charité“oder „Babylon Berlin“, das bald ja auch in der ARD läuft, oder „Dark“, die erste deutsche Serie bei Netflix. Jeder neue und mutige Versuch ist überaus zu begrüßen, da man sich in Deutschlan­d immer noch viel zu wenig traut. Gefühlte 95 Prozent aller Serien, die in Deutschlan­d produziert werden, sind Krimiforma­te, die sich lediglich durch ihren Regionalbe­zug unterschei­den, aber ohne inhaltlich­e Vielfalt wie zum Beispiel in England oder Skandinavi­en.

Gibt es denn ein Format, das Ihnen besonders fehlt?

Mir fehlt alles, was in Richtung Genre geht, egal ob Mystery, Sciencefic­tion, Comedy, History oder was auch immer. Alles, was nicht Krimi oder Familiense­rie ist, fände ich schon mal toll. Und auf dem Humorsekto­r liegt extrem viel brach. Und dass wir in Deutschlan­d keine funktionie­rende Late-Night-Show haben, finde ich traurig und beschämend.

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FOTO: DPA Medienkrit­iker, Moderator und Komiker: Oliver Kalkofe.

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