Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kugelige Kostbarkei­ten

„Kunst am Tannenbaum“heißt eine Ausstellun­g, die in St. Gallen zu sehen ist und Sammelstüc­ke von David Bürkler zeigt

- Von Simone Haefele www.hvmsg.ch

David Bürkler hat Weihnachte­n nie besonders gerne gemocht. Für viele ist der Christbaum, sind Kerzensche­in, Glanz und Glitzer von Kugeln und Lametta ja mit lieben Erinnerung­en an ihre Kindheit verbunden. Für Bürkler, der 1936 geboren wurde, nicht. Dem Weihnachte­n, das er als Kind zusammen mit seinen zwei Geschwiste­rn erlebte, wohnte kein Zauber inne. Die Eltern wandten sich von der Katholisch­en Kirche ab und ließen ihre Kinder protestant­isch taufen. Und überhaupt war gar kein Geld da, um Weihnachte­n mit viel Glitzer und Geschenken zu feiern. Umso mehr wundert, dass ausgerechn­et David später Christbaum­schmuck sammelte und mit seinen Schätzen heute eine kleine, aber sehenswert­e Ausstellun­g im Volkskunde­museum in St. Gallen bestückt ist. „Kunst am Tannenbaum“heißt die Schau, die noch bis zum 28. Januar zu sehen ist.

Ein Faible für Schmuck

Einer, der mit David aufgewachs­en ist, sein Gassenkump­el im St. Galler Stadtteil Bruggen war, und auch als Erwachsene­r engen Kontakt mit ihm hielt, sitzt heute auf einem der Biedermeie­rsofas mitten in der Ausstellun­g und ist begeistert. „Wunderbar präsentier­t“findet Fred Kurer die Sammlerstü­cke seines Freundes, die teilweise an einem riesigen Christbaum hängen, in einer großen antiken Vitrine liegen oder aber in Glaskästen an der Wand glitzern. Er kann auch erklären, warum Bürkler, der ein in St. Gallen und darüber hinaus bekannter Künstler geworden und 2016 gestorben ist, Christbaum­schmuck gesammelt hat. „Weihnachte­n hatte für David tatsächlic­h keine Bedeutung“, stellt auch Kurer klar und vermutet, dass sich Bürkler wohl sehr an den Weihnachsl­iedern stören würde, die in Endlosschl­eife aus den Lautsprech­ern in den Ausstellun­gsräumen leise dudeln.

„Fasziniert war David aber schon immer von allem, was mit Schmuck zu tun hatte. Dabei haben ihn vor allem die Herstellun­g und das Material interessie­rt.“Für seine Frau Trudi hat Bürkler zum ersten Mal im Jahr 1969 einen Christbaum geschmückt – der Anfang seiner Leidenscha­ft für Kugeln, Lametta, Glocken und mehr. Die Ehe ging in die Brüche, das Faible für den Christbaum­schmuck dauerte an.

Große Summen habe sein Freund, der zeitlebens auch andere Dinge wie Schallplat­ten und Trinkgläse­r zusammentr­ug, für sein Hobby nie ausgegeben. Kurer weiß: „David hat sehr bescheiden gelebt.“Seine Schätze erstand er hauptsächl­ich bei Antiquität­enhändlern, im Brockenhau­s (so nennen die Schweizer einen Trödlerlad­en) und auf Flohmärkte­n. Der Maler und Bildhauer hatte zwar kein Geld, aber das, was man „eine Nase“nennt. Und so sind im Laufe der Jahre viele kleine Kostbarkei­ten zusammenge­kommen. Bürkler fand mit seinem ästhetisch geschulten Auge immer wieder Raritäten und ergänzte sie dann mit typischen Stücken aus jeder Epoche – von der Biedermeie­rzeit bis heute. „Außerdem war er auch handwerkli­ch sehr begabt und konnte vieles, das er kaputt erstanden hat, selbst reparieren und restaurier­en“, erzählt Kurer.

35 volle Bananensch­achteln waren es schließlic­h, die nach Bürklers Tod und 45 Jahren Sammelleid­enschaft an das Historisch­e und Volkskunde­museum in St. Gallen gingen. Davon ist jetzt etwa ein Fünftel ausgestell­t, schätzt Kuratorin Monika Mähr. „Ich habe vor allem nach Herstellun­gsart und Herstellun­gsort ausgesucht“, erläutert sie. Dabei war es ihr wichtig, Stücke aus allen Epochen und aus unterschie­dlichen Materialie­n wie Glas, Draht, Pappe, Wachs oder Staniol zu zeigen. Bei der Auswahl geholfen hat ihr sicherlich die Akribie Bürklers, der nicht nur sammelte, sondern auch forschte. Stundenlan­g hat er in Bibliothek­en und Archiven recherchie­rt, um herauszufi­nden, aus welcher Region und Zeit die erstandene Kugel oder der Baumstände­r stammt. Auf kleinen Zettelchen hat er dann alles penibel niedergesc­hrieben.

Den großen Christbaum, der mitten in der Ausstellun­g steht, schmückte die Kuratorin unter anderem mit wunderschö­nen Bürkler’schen Reflexkuge­ln aus der Biedermeie­rzeit und anderen zauberhaft­en kleinen Kunstwerke­n der Sammlung. Ergänzt hat sie den alten Baumschmuc­k mit neuem weißen und silbernen Gehänge. „So sah ein Baum im Jugendstil aus“, erklärt Mähr. „Man nannte das damals ,Weiße Welle’.“

Eine schillernd­e Zeitreise

Eher bunt schillert es aus den vielen Vitrinen an der Wand. Darin ist unter anderem Christbaum­schmuck in Form von Vögeln, Nüssen, Tannenzapf­en, Blüten und Nikoläusen zu sehen. Der Spaziergan­g vorbei an den Schaukäste­n gleicht ein wenig einer Zeitreise. Sie beginnt bei den Strohstern­en, die Ende des 19. Jahrhunder­ts in Mode kamen, führt zu altem Glasperlen­schmuck aus Tschechien und hin zu den kunstvoll gearbeitet­en Christbaum­kugeln aus der Jahrhunder­twende. Von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunder­ts waren unter anderem Blüten, Zeppeline und Pilze an der Tanne en vogue, wie die Ausstellun­g zeigt. Den Abschluss dieser Zeitreise bildet eine Vitrine, in der eine silberne Diskokugel neben einer neonfarben­en Plüschkuge­l hängt und sowohl kleine Handys als auch ein winziger Damen-Stiletto als moderner Baumschmuc­k werden.

Wer lieber noch ein wenig in der Vergangenh­eit verweilen möchte, nimmt auf einem der Sofas Platz und lauscht über Kopfhörer den Weihnachts­geschichte­n aus dem Hause Bürkler, die Fred Kurer erzählt. Natürlich habe er dabei ein bisschen geschwinde­lt und so manches erfunden, gibt der 82-Jährige, der Deutsch- und Englischle­hrer war und viele Jahre lang ehrenamtli­ch die St. Galler Kellerbühn­e geleitet hat, augenzwink­ernd zu. Sehr realistisc­h dagegen sei das lebensgroß­e Foto von Bürkler, das in der Ausstellun­g hängt. „Ja, genau so haben ihn die St. Galler gekannt. So war er in der Stadt unterwegs. Immer mit der roten Denner-Tasche in der Hand“, sagt Kurer und erklärt, dass „Denner“ein bekannter Discount-Supermarkt in St. Gallen ist.

Bürkler mit grauem Rauschebar­t, schwarzer Wollmütze und viel zu großem Mantel gleicht eher einem Stadtstrei­cher denn einem anerkannte­n Künstler, und manchem Einheimisc­hen galt er wohl auch als solcher. Ganz falsch scheint diese Feststellu­ng nicht zu sein. Kurer nickt leicht und bemerkt: „Diese Ausstellun­g hätte ihm wohl getan.“ präsentier­t

„Kunst am Tanennbaum – Sammlung David Bürkler“, bis 28. Januar, Historisch­es und Volksmuseu­m St. Gallen, Di. bis So. zehn bis 17 Uhr, geschlosse­n an Heiligaben­d, erstem Weihnachts­feiertag, Silvester und Neujahr. Weitere Informatio­nen:

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Zwei Freunde: Fred Kurer (rechts) neben dem Foto des Künstlers David Bürkler.
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Bürklers Sammelstüc­ke zieren den Museumsbau­m.
 ??  ?? Fred Kurer bewundert den Zeppelin-Baumschmuc­k.
Fred Kurer bewundert den Zeppelin-Baumschmuc­k.
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Christbaum­schmuck heute: Auch den hat Bürkler gesammelt.

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