Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Riebsamen plädiert für große Koalition
CDU-Bundestagsabgeordneter sieht viele Schnittmengen mit der SPD.
FRIEDRICHSHAFEN - „Wir haben vier Jahre passable Arbeit geleistet und darauf lässt sich aufbauen“, sagt CDU-Bundestagsabgeordneter Lothar Riebsamen zu einer möglichen Fortsetzung der großen Koalition. Im Interview mit SZ-Redakteur Jens Lindenmüller geht es außerdem um schrille AfD-Politik, Flüchtlinge, Wohnraummangel und Straßenbau.
Die Bildung einer neuen Bundesregierung gestaltet sich schwierig. Wenn Sie persönlich entscheiden dürften – würden Sie dann für eine Fortsetzung der großen Koalition plädieren oder für eine Minderheitsregierung?
Für eine Fortsetzung der großen Koalition – eine Minderheitsregierung geht gar nicht. Selbst wenn man eine Mehrheit hat und diese sehr knapp ist, muss die Disziplin der Abgeordneten sehr hoch sein. Wie ist das erst, wenn man keine Mehrheit hat? Es wird immer darüber schwadroniert, dass die Abgeordneten bei einer Minderheitsregierung alle Freiheiten hätten. Das Gegenteil ist der Fall – jedenfalls bei der Regierungsfraktion. Ohne Mehrheiten gibt’s keine Spielräume mehr für eigene Haltungen.
Wenn es in die Koalitionsverhandlungen geht: Welche Themen würden Sie persönlich da gerne platzieren?
Es gibt ja Schnittmengen mit der SPD. Wir haben vier Jahre passable Arbeit geleistet – und darauf lässt sich aufbauen. Ich sehe zum Beispiel Schnittmengen, was Europa anbelangt – und gerade für Europa wäre es wichtig, dass wir eine stabile Koalition haben. Sigmar Gabriel hat in einer Rede vor Weihnachten gesagt, dass die Franzosen in Haushalts- und Finanzdingen deutscher werden müssen und die Deutschen in außenund sicherheitspolitischen Dingen französischer. Das kann ich so unterschreiben. Auch in der Sozialpolitik gibt es Schnittmengen, beim Mangel an bezahlbarem Wohnraum oder auch beim Thema Lebensleistungsrente.
Soziale Gerechtigkeit war im Wahlkampf ein großes Thema. In Talkshows ging es fast immer auch um unterbezahlte Pflegekräfte und den auch dadurch bedingten Mangel an Pflegekräften. Wie lassen sich die Probleme langfristig lösen?
In der großen Koalition haben wir ja bereits 20 Prozent mehr Leistungen in die Pflege gegeben. Abgeschafft Lothar Riebsamen wurde seit Anfang 2017 außerdem das Schulgeld, das in manchen Bundesländern Auszubildende in der Pflege bezahlen mussten. Es gibt nun keine Zahlungen des Auszubildenden mehr an den Ausbilder – sondern umgekehrt. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Allerdings haben wir nach wie vor ein Riesengefälle in den Vergütungen. Wir brauchen gleich gute Vergütungen in der Pflege in ganz Deutschland. Da haben wir viel nachzuholen – aber da gibt es auch keinen Dissens mit der SPD. Nochmal nachlegen müssen wir auch, wenn es darum geht, jungen Menschen die Entscheidung für einen Pflegeberuf zu erleichtern. Ein weiterer Punkt ist die Erleichterung der Arbeit in der Pflege – unter anderem durch Abbau von Bürokratie. Wichtig ist auch, den Menschen, die in der Pflege arbeiten, die Verantwortung zu geben, die ihnen zusteht.
Die AfD ist als drittstärkste Fraktion in den Bundestag eingezogen. Wie nehmen Sie die Kollegen von rechts außen bislang wahr?
Schrill. Als vor Weihnachten über Glyphosat debattiert und der AfDRedner zu krebserregenden Stoffen gefragt wurde, sagte er: „Ihr wollt nur deswegen kein Glyphosat, damit ihr mehr Flüchtlinge reinlassen könnt.“Da wird eine Debatte dann sowas von flach und dümmlich, dass es schmerzt.
Großgeworden ist die AfD nicht zuletzt durch das Flüchtlingsthema. Ein Thema mit so vielen Facetten, dass wir allein darüber mehrere Interviews führen könnten. Deshalb heute nur ein kurzer Rundumschlag: Was lief und läuft gut, was läuft schlecht, wo muss nachgebessert werden?
Gut gelaufen ist, dass wir die Flüchtlingszahl aus dem Jahr 2015, die bei knapp 900 000 lag, mittlerweile auf deutlich unter 200 000 reduziert haben. Zurückzuführen ist dies auf Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich, auf das TürkeiAbkommen, Maßnahmen in Libyen und die Aussetzung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz. Wir können nicht jedes Jahr 800 000 oder noch mehr Flüchtlinge verkraften. Da sind unsere Kommunen überfordert – bei der Unterbringung wie auch bei der Integration. Was noch nicht ausreichend gelöst ist und auch noch dauern wird, ist der langfristige Migrationsdruck aus Afrika in Richtung Europa. Da geht es um die Bekämpfung von Fluchtursachen, und ich glaube, dass wir uns mit diesem Thema noch sehr, sehr lange auseinandersetzen müssen. Anfänge sind gemacht mit Beratungszentren in Ländern, aus denen die Menschen kommen. Dort werden sie aufgeklärt über das, was sie in Deutschland erwartet. Zum Beispiel, dass man Deutsch und einen Beruf können muss, in dem es bei uns einen Mangel an Fachkräften gibt – und dass es ansonsten keinen Zweck hat, zu uns zu kommen. Darüber hinaus brauchen wir einen Masterplan Afrika – eine deutlich bessere Koordination der deutschen und europäischen Wirtschaft mit den afrikanischen Staaten. Zunächst müssen allerdings Fragen der Bildung, Gesundheit und Infrastruktur vor Ort gelöst werden.
Ein in Deutschland weitverbreitetes und insbesondere am Bodensee sehr ausgeprägtes Problem, das die große Zahl an unterzubringenden Asylbewerbern noch verschärft hat, ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Was kann die Bundespolitik zur Lösung beitragen?
Ich bin ein großer Anhänger des Wohngeldes. Wir müssen nicht teuren, aber ordentlichen Wohnraum schaffen, wo jeder einziehen kann. Und wer es sich nicht leisten kann, bekommt Wohngeld, solange es notwendig ist. Dadurch bekommen wir eine Durchmengung von ärmeren und reicheren Menschen, Einheimischen und Migranten – und das tut dem sozialen Gefüge gut. Die Schaffung von sozialem Wohnraum mit Berechtigungsschein brauchen wir wahrscheinlich auch, aber das hat immer den Nachteil, dass dort ausschließlich Menschen wohnen, die arm sind.
Kein Interview ohne das Dauerthema Straßen. „Wir beginnen mit einem weißen Blatt Papier“hieß es Ende November seitens des Regierungspräsidiums zum B 31-Abschnitt Meersburg-Immenstaad. Wagen Sie doch mal eine Prognose: Wann wird das Papier gefüllt und wann die Straße gebaut sein?
„Wir können nicht jedes Jahr 800 000 oder noch mehr Flüchtlinge verkraften.“
Machen Sie es mir bitte leichter. Seit ich dieses schöne Mandat habe, höre ich immer wieder: Ihr habt vor 30 Jahren die Bodenseeautobahn verpennt. Was ich nicht möchte, ist, dass die Leute in 30 Jahren sagen, dass wir vor 60 Jahren die Bodenseeautobahn und 30 Jahre später auch noch die Alternative vergeigt haben.
Deswegen ist es richtig, jetzt wieder bei null anzufangen?
Ja, ich bin offen für alles. Ich will nur eines: Dass in 30 Jahren diese Straße fertig ist und funktioniert.
Für die B 30-Umfahrung Meckenbeuren gibt’s vor Ort einen klaren Trassenfavoriten, ein Zwischenstand der Planungen lässt aber seit geraumer Zeit auf sich warten. Wann geht’s hier mal vorwärts?
Nach meinen Informationen wird es Anfang 2018 eine Entscheidung zur Trasse geben.