Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Das eigentliche Problem ist und bleibt die Frage der Freiheit“
BERLIN - Omid Nouripour (Foto: dpa), außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, hält das Schweigen der EU zu den Protesten in Iran für einen Fehler. Das sagte er im Gespräch mit Benjamin Moscovici.
Richten sich die Proteste gegen die Politik von Präsident Ruhani?
Die Menschen protestieren vor allem gegen die wirtschaftliche Situation im Land. Dennoch richten sich die Proteste momentan in erster Linie gegen Ruhani. Dabei ist er für viele der Probleme nicht verantwortlich. Vieles liegt am Herrschaftssystem in dem Land.
Können die Proteste zu einer Gefahr für das Regime werden?
Im Moment tun sie das noch nicht, und es ist auch nicht absehbar, wie es weitergeht. Das Regime hat in der Vergangenheit ab und an Ventile geöffnet und leichte Verbesserungen für die Alltagssituation der Menschen zugelassen. Das passierte immer dann, wenn der Revolutionsführer das Gefühl hatte, auf die Frustration der Menschen nicht nur mit Härte reagieren zu können. So viel ist klar: Mehr Härte führt zu größeren Protesten.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Protesten und dem Atomdeal?
Die Menschen in Iran sind auch deswegen unzufrieden, weil der wirtschaftliche Aufschwung, den man sich vom Atomdeal versprochen hatte, nicht bei der Bevölkerung angekommen ist. Das hat aber viele Gründe. So gibt es ein massives Problem mit Korruption und ein beträchtlicher Teil des Staatshaushalts fließt in militärische Unternehmungen in der Region.
Hätte die internationale Gemeinschaft mehr für die wirtschaftliche Entwicklung von Iran tun müssen?
Das eigentliche Problem ist und bleibt die Frage der Freiheit. Und das ist ein Thema, das in Iran verhandelt werden muss.
Rohanis Position wird zunehmend geschwächt. Gefährdet das den Atomdeal?
Ich halte diese Verbindung von zwei getrennten Themen für falsch und gefährlich. Es gibt genügend Feinde des Abkommens, die nur auf Momente wie diesen warten, um das Ende des Atomdeals voranzutreiben. Das weiß man auch in der Europäischen Union und schweigt deshalb leider weitgehend zu den Protesten. Das ist ein Fehler.
Wie sollte eine künftige Bundesregierung mit dem Thema umgehen?
US-Präsident Donald Trump lobt die Demonstranten und will den Atomdeal mit Iran aufkündigen. Beides ist ein Fehler: Erstens muss die Welt an dem Deal festhalten, und zweitens darf es nicht darum gehen, die Proteste zu unterstützen, sondern darum, dass wir uns für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Das gilt auch für die Bundesregierung und die Europäische Union.