Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Lateinamer­ika steht vor einem Rechtsruck

- Von Klaus Ehring feld, Mexiko-Stadt

018 wird ein Superwahlj­ahr in Lateinamer­ika. Und schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich die Wende zurück nach rechts fortsetzt. Argentinie­n 2015, Brasilien und Peru 2016 und Chile gerade erst Ende 2017 – die Bürger wichtiger Staaten Süd- und Lateinamer­ikas haben die linken Regierunge­n abgewählt und vertrauen wieder rechten oder konservati­ven Präsidente­n.

Die Gründe für den Richtungsw­echsel mögen sehr länderspez­ifisch sein, aber es zeigen sich auch Gemeinsamk­eiten: die Wut über Korruption und der Wunsch nach besseren staatliche­n Leistungen sowie effiziente­n Institutio­nen und funktionie­render Infrastruk­tur. Auch die fehlende Fähigkeit der linken und linksliber­alen Regierunge­n, ein neues nachhaltig­es Wirtschaft­smodell zu entwerfen, spielt eine Rolle. Und an dieser Stelle ist der Hinweis auf den „Faktor Maduro“unausweich­lich, der für den Rechtsruck bedeutend ist. Nicolás Maduro hat Venezuela in atemberaub­endem Tempo zugrunde gerichtet und schafft nebenbei die Demokratie ab – das ängstigt viele Menschen in Lateinamer­ika. Die venezolani­sche Regierung ist jedoch mehr autoritär als links. Schon jetzt ist Maduro Wahlkampft­hema, wie zum Beispiel in Mexiko, wo die rechten und pseudolink­en Parteien davor warnen, den Mitte-links-Kandidaten Andrés Manuel López Obrador zu wählen. Denn man könne ja in Venezuela sehen, wie so etwas ausgeht.

Dieses Jahr wird in kleinen Ländern wie El Salvador, Costa Rica und Paraguay gewählt. Aber auch Kolumbien, Mexiko und Brasilien, die politische­n und wirtschaft­lichen Schwergewi­chte des Halbkontin­ents, bestimmen neue Regierunge­n. Und in jedem der drei Länder geht es um die Neuausrich­tung der Politik. In Kolumbien steht mit der Wahl des Nachfolger­s von Friedensno­belpreistr­äger Juan Manuel Santos der Friedenspr­ozess mit den Linksrebel­len der FARC zur Dispositio­n. Mehrere der aussichtsr­eichen Kandidaten stehen dem Abkommen und seiner Umsetzung kritisch oder gar feindlich gegenüber.

Wie eine enttäuscht­e Liebe

In Mexiko stellt sich die Frage, ob erstmals in der Geschichte ein Linkspräsi­dent gewinnt, was die Regierungs­partei der Institutio­nalisierte­n Revolution (PRI) mit allen Mitteln zu verhindern versuchen wird. Brasilien steht entweder vor einem Comeback des Arbeiterpr­äsidenten Lula da Silva oder vor der Wende nach Rechtsauße­n. Im Moment hat Lula da Silva die Nase in den Umfragen zwar vorn. Falls er aufgrund des Korruption­sskandals, für den er sich derzeit verantwort­en muss, verurteilt wird, wird vielleicht doch der ultrarecht­e PolitAufst­eiger Jair Bolsonaro Staatschef im wichtigste­n Land Lateinamer­ikas.

In Lateinamer­ika hat die Beziehung zwischen Bevölkerun­g und Politikern etwas von einer enttäuscht­en Liebe. In vielen Ländern verzeihen die Menschen den Linksregie­rungen nicht, dass sie aus der großen Zustimmung und dem zeitweisen Reichtum nichts gemacht haben. Die neuen, hoffnungsv­ollen Machthaber haben teilweise genauso schamlos und egoistisch agiert wie die alten. Das kann man in Argentinie­n, Brasilien und vor allem Venezuela besichtige­n. Die linken Regierunge­n haben zwar auch den Armen geholfen, sich aber dennoch oft genauso bereichert wie diejenigen, die sie von der Macht verdrängt haben.

Möglicherw­eise stehen am Ende dieses Wahljahres nur noch drei kleine linke gallische Dörfer – Bolivien, Uruguay und Nicaragua.

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