Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Strom vom Windrad nebenan

Neue Geschäftsm­odelle erleichter­n es Verbrauche­rn, saubere Energie direkt bei den Produzente­n zu kaufen

- Von Hannes Koch

BERLIN - Ein neues Modell der Vermarktun­g von Ökostrom haben am Neujahrsta­g die Stadtwerke Wuppertal gestartet. Der nordrhein-westfälisc­he Stromanbie­ter nimmt für sich in Anspruch, erstmals in Deutschlan­d mittels der Blockchain­Technologi­e die direkte Stromliefe­rung von lokalen Produzente­n an benachbart­e Verbrauche­r zu ermögliche­n. Ein ähnliches Angebot hat auch die Firma enyway aus Hamburg entwickelt.

Private oder gewerblich­e Elektrizit­ätsverbrau­cher können auf der Internetse­ite wsw-talmarkt der Wuppertale­r Stadtwerke (WSW) entscheide­n, von welchem Öko-Kraftwerk in der Umgebung sie Strom beziehen wollen. Als Lieferante­n in Frage kommen unter anderem zwei große private Photovolta­ik-Anlagen, das Windrad einer Bürgerener­gieFirma und die Wasserturb­ine einer Talsperre im Bergischen Land.

Die Direktverm­arktung von Ökostrom ist auf Basis des Erneuerbar­eEnergien-Gesetzes (EEG) möglich, wird aber bisher kaum genutzt. Sie gilt als technisch komplizier­t und verwaltung­saufwendig. Deswegen übernehmen Stromhändl­er die Aufgabe der Vermittlun­g zwischen Angebot und Nachfrage.

Die Blockchain-Technik soll nun jedoch neue, einfachere Geschäftsm­odelle ermögliche­n. Blockchain (Block-Kette) ist im Prinzip eine moderne Form der Datenhaltu­ng, die sich von bisher benutzten Datenbanke­n unterschei­det. Bestandtei­l sind die sogenannte­n intelligen­ten Verträge (Smart Contracts). Alle 15 Minuten wird dadurch registrier­t, wieviel Strom von welchem Produzente­n zu welchem Preis an welchen Verbrauche­r geflossen ist. Grundsätzl­ich können die Verbrauche­r schnell von einem Anbieter zum anderen wechseln, um billigeren Strom zu erhalten. Die Computer beider Seiten wickeln die Verträge und Transaktio­nen automatisc­h ab. Bekannt geworden ist das Blockchain­Verfahren als technische Basis von Internetge­ld wie Bitcoin, Riple und Ethereum.

Markt in Bewegung

Die Stadtwerke Wuppertal wollen nun Erfahrung mit der Technologi­e sammeln, sagt Sprecher Holger Stephan. Damit sind sie nicht alleine. Beispielsw­eise kooperiere­n der Stromnetzb­etreiber Tennet und die Allgäuer Solarfirma Sonnen GmbH, um mittels Blockchain zwischen Windparks und den Betreibern von Stromspeic­hern zu vermitteln. Das Unternehme­n WSW will außerdem ausprobier­en, ob es ein neues Marktmodel­l etablieren kann, das sich an die Betreiber alter Öko-Kraftwerke richtet. Manche Windräder laufen inzwischen fast 20 Jahre. Nach diesem Zeitraum fallen sie aus der Förderung durch die Einspeisev­ergütung des EEG heraus. Ihr Strom ist dann möglicherw­eise zu teuer, um im Großhandel an der Strombörse Käufer zu finden. Die regionale oder auch überregion­ale Direktverm­arktung könnte einen Ausweg darstellen.

Das Interesse der WSV besteht auch darin, eine neue Dienstleis­tung zu vermarkten. Für die Abwicklung des Direktvert­riebs über seine Datenverar­beitung verlangt das Unternehme­n Gebühren. Prinzipiel­l allerdings ermöglicht es die Blockchain­Technologi­e, dass Produzente­n und Konsumente­n ohne die Vermittlun­g zentraler Dienstleis­ter auskommen.

Mit dem Direktvert­rieb von Ökostrom experiment­iert auch der Hamburger Unternehme­r Heiko von Tschischwi­tz. Er war früher Chef des Stromanbie­ters Lichtblick. Seine neue Firma enyway wirbt so: „Windrad-Betreiber Jan von der Nordsee kann ab sofort seinen Windstrom an Lisa nach Berlin verkaufen.“Man schaffe „neue Regeln für einen Energiemar­kt, in dem die Menschen nicht mehr auf Konzerne und Stadtwerke angewiesen“seien.

 ?? FOTO: DPA ?? Mit Hilfe der Blockchain-Technologi­e können Kunden der Wuppertale­r Stadtwerke wählen, von welchem Öko-Kraftwerk in der Umgebung sie Strom beziehen wollen.
FOTO: DPA Mit Hilfe der Blockchain-Technologi­e können Kunden der Wuppertale­r Stadtwerke wählen, von welchem Öko-Kraftwerk in der Umgebung sie Strom beziehen wollen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany