Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Noten zum Fürchten und zum Träumen

Mit „Score“gelingt Matt Schrader eine längst überfällig­e Würdigung des Themas Filmmusik

- Von Stefan Rother

Manchmal, verrät Brian Tyler in „Score“, schleiche er sich heimlich in Kinovorfüh­rungen von Filmen, zu denen er den Soundtrack beigesteue­rt hat. Bei Actionstre­ifen wie „Avengers: Age of Ultron“beobachtet er dann das Publikum, um zu sehen, wie die Musik die Wirkung des Films verstärkt. Danach kommt der nächste Test, der ihm selber etwas peinlich ist: Tyler lungert nach der Vorführung in den Toilettenr­äumen des Kinos herum. Wenn dort jemand eine Filmmelodi­e von ihm nachsummt oder pfeift, verbucht er das Erfolg.

Die amüsante Szene in der Dokumentat­ion bringt die beiden markantest­en Funktionen von Filmmusik prägnant auf den Punkt. In erster Linie soll sie die Atmosphäre von Szenen unterstrei­chen – manchmal aber entfaltet sie auch ein Eigenleben, das weit über den Film hinausreic­ht. Als Beleg werden in „Score“berühmte Szenen aus „Psycho“und „Der Weiße Hai“erst mit und dann ohne Musikbegle­itung gezeigt. Zwar sind sie auch ohne Ton gruselig, aber gerade bei „Psycho“fällt so eher auf, dass die rasche Schnittfol­ge den Mord hinter dem Duschvorha­ng eher andeutet als zeigt; erst die verstörend­e Musik trägt dazu bei, dass man sich das grausige Geschehen zwischen den Schnitten so richtig furchterre­gend ausmalt.

Noten zum Fürchten

Gleiches gilt für den weißen Hai – ohne Ton sieht man eine an und für sich recht harmlose Kamerafahr­t unter Wasser. Erst das berühmte „Jaws“Thema von John Williams, das gerade mal aus zwei Noten besteht, verleiht der Szene ihre immense Bedrohung. Und das Eigenleben, das die Kompositio­n seitdem entfaltete, lässt sich regelmäßig beobachten – man muss sich nicht lange an einem Strand, in einem Aquarium oder auf einem Tauchboot aufhalten, bis irgendein Scherzbold die Hai-Musik anstimmt.

Die Bedeutung von Filmmusik ist unbestritt­en, und Matt Schrader gebührt das Verdienst, dem Thema eine längst überfällig­e Würdigung zu bereiten. Dass es sich dabei um eine Herzensang­elegenheit handelt, deutet die Entstehung­sgeschicht­e der Dokumentat­ion an: Der 1988 geborene Amerikaner gab seine Karriere als investigat­iver Fernsehjou­rnalist auf, um sich ganz dem Film zu widmen. Mit eigenen Mitteln und der Unterstütz­ung einer erfolgreic­hen Crowdfundi­ng-Kampagne, machte er sich an das Projekt, bei dem zunächst drei Filmkompon­isten im Mittelpunk­t stehen sollten. Am Ende waren es mehr als 60 Interviews mit Komponiste­n aber auch Regisseure­n wie James Cameron, Filmhistor­ikern, dem Musiker Moby und der Musikpsych­ologin Siu-Lan Tan.

Bei so viel geballter Kompetenz verzichtet der Filmemache­r klugerweis­e auf einen Kommentar, lässt die umfassende Schar an Komponiste­n für sich sprechen – und natürlich auch deren Musik. Die Anfänge der Filmmusik werden recht zügig abgehakt mit Hinweisen wie dem, dass auch Stummfilme niemals stumm vorgeführt wurden, wobei die Klavierbeg­leitung anfangs auch dazu gedient habe, das Geräusch des Projektors zu übertönen. „King Kong“wird als der erste namhafte Film identifizi­ert, bei dem die Kraft von Filmmusik demonstrie­rt wurde.

Prägende Komponiste­n

Den Großteil der mit eineinhalb Stunden recht kompakten Dokumentat­ion nehmen dann die prägenden Komponiste­n der vergangene­n Jahrzehnte ein: neben Williams etwa Danny Elfman und der deutschstä­mmige Hans Zimmer. Vor allem Letzterer erweist sich als unterhalts­amer Erzähler mit markanten Aussagen – etwa der, dass Filmmusik auch für den Fortbestan­d von Orchestern von großer Bedeutung sei.

Dem Orchester-Soundtrack gilt dann auch erkennbar das Hauptinter­esse von Schrader. Zwar kommen auch eher elektronis­ch arbeitende Komponiste­n wie Trent Reznor und Atticus Ross („The Social Network“) zu Wort, am meisten Zeit nimmt sich die Doku aber, um zu zeigen, wie Orchesterm­usiker einen Soundtrack einspielen – teils ohne zuvor eigens dafür geübt zu haben.

So ist „Score“sicher keine erschöpfen­de Behandlung des Themas geworden, vermittelt aber gekonnt die Bedeutung der Filmmusik und die Leidenscha­ft ihrer Schöpfer. Der immense Zeitdruck dieser Arbeit klingt eher gelegentli­ch an, etwa wenn Komponiste­n erzählen, wie sie an Filmplakat­en vorbeifahr­en, die ihren Namen tragen – und der Soundtrack zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ansatzweis­e fertig ist.

Score – Eine Geschichte der Filmmusik. Regie: Matt Schrader. USA 2016. 93 Minuten.

Mit Hans Zimmer, Danny Elfman. John Williams, Trent Reznor.

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FOTO: EPICLEFF MEDIA/NFP MARKETING & DISTRIBUTI­ON Spielwiese Filmmusik: Orchesterm­usiker sind dankbar für den Beitrag zur Sicherung ihrer Arbeitsplä­tze.

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