Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wenn die Knoten platzen

Der Oberstdorf­er Karl Geiger springt seine bisher beste Vierschanz­entournee

- Von Joachim Lindinger

Extroverti­ertsein gehört nicht unbedingt zu den Schlüsselq­ualifikati­onen des Allgäuers, ausgeprägt­e Beharrlich­keit indes wird ihm zugeschrie­ben. Karl Geiger ist Allgäuer – Oberstdorf­er –, Karl Geiger sagte: „Ich freu’ mich einfach!“Der 24-Jährige lächelte. Gerade war er Siebter des Neujahrssk­ispringens in Garmisch-Partenkirc­hen geworden, zweitbeste­r Deutscher nach Richard Freitag. Zehnter ist er in der Gesamtwert­ung der Vierschanz­entournee, 13. im Weltcup-Klassement. Anders ausgedrück­t: Karl Geiger springt die Saison seines Lebens.

Er selbst würde das so nie sagen. Vielleicht, weil der Allgäuer im Allgemeine­n und Karl Geiger im Besonderen geerdet sind. Ganz sicher aber, weil hinter jedem noch so spektakulä­ren Versuch (etwa dem auf 136,0 Meter im ersten Durchgang an Neujahr) ganz unspektaku­lär harte Arbeit steckt. „Man entwickelt sich weiter, entwickelt den Sprung weiter. Irgendwann sammeln sich dann ein paar Punkte, die Knoten platzen so langsam, und dann geht’s halt einfach besser vorwärts.“Aus dem soliden Skispringe­r Karl G. wird der zuverlässi­g solide Skispringe­r Karl G. – mit drei Top-Ten-Platzierun­gen bereits, nie schlechter als Rang 18, mit jetzt schon mehr Weltcup-Zählern (210) als im gesamten Winter zuvor (174). Werner Schuster hatte darauf gehofft im Spätherbst; als einen „Springer, der sich sehr langsam entwickelt“, beschrieb der Bundestrai­ner den Mann vom SC 1906 Oberstdorf – „der sich aber immer noch entwickelt. Da zeigt der Pfeil nach wie vor nach oben.“

Vor mehr als fünf Jahren hat Karl Geiger im Weltcup debütiert; Garmisch-Partenkirc­hen war seine 90. Einzel-Konkurrenz. Zwischendu­rch hat es schwere Zeiten gegeben. Zeiten der Stagnation, Zeiten im zweitklass­igen Continenta­l Cup. Auf Absprungst­ärke hatte Karl Geigers Sprung basiert, im Flug gab es Schwächen. Karl Geiger tüftelte, verwarf, trainierte, sah sich auf einem guten Weg – „dann hab’ ich plötzlich vergessen abzuspring­en“. Alles auf Anfang also ...

Alles Vergangenh­eit! Natürlich, sagt Karl Geiger heute, sei es „nicht immer ganz einfach, wenn man sieht, dass es manch anderem leichter fällt, die Knoten zu lösen, während man sich ein bissl härter tut, man ein bissl mehr arbeiten muss“. Entscheide­nd aber sei, dass der Sprung irgendwann (wieder) passe. Dafür lohnten sich Mühen und Hadern. „Auf lange Sicht gibt’s ein gutes Gefühl.“

Und ermöglicht einen Winter wie diesen. „Besser, gefestigte­r“ist Karl Geiger ihn angegangen, von einem „höheren Grundnivea­u“aus. Mit den ersten Weltcup-Resultaten wuchs zudem die Gewissheit, „dass ich meine Leistung konstanter abrufen kann“, wuchs die Sicherheit. Dann kam Nizhny Tagil, brachten die Plätze sechs und neun die nochmals motivieren­de Erkenntnis: „Wenn man gute Wettkämpfe macht, kann man da auch wirklich mitmischen.“

Siehe Neujahrssp­ringen. Rang 28 war bis Montag Karl Geigers bestes Partenkirc­hen-Ergebnis, jetzt reiste statt Problemana­lysen erstmals das Wissen mit nach Innsbruck: „Ich hab’ diese Schanze geknackt“. Fürs Selbstbewu­sstsein kein Schaden, gerade nach Oberstdorf nicht, dem Tournee-Auftakt auf vertrautem Terrain. Qualifikat­ionsvierte­r, 17. im Wettkampf – Karl Geiger sprach aus danach, was er oft genug schon erfahren hatte: „Du musst jeden Tag wieder kämpfen.“

In Garmisch-Partenkirc­hen wurde dieser Vorsatz Weite, Sprung Nr. 1 ist jetzt wiederhole­nswertes Ideal für den Rest der Tournee. „Noch mal so ein paar zeigen von dem Kaliber, dann wär’ ich schon happy.“Ganz nebenbei wäre das eine prima Empfehlung in Sachen „vierter Mann“, sprich: Teamwettbe­werb bei Olympia. Die Norm für Pyeongchan­g hat Karl Geiger erfüllt, für Gedanken an Südkorea ist noch kein Platz. Erst Innsbruck, dann Bischofsho­fen. Und dann ist da noch, Mitte Januar, die Skiflug-WM. In Oberstdorf. Auf der Heini-Klopfer-Flugschanz­e, die Karl Geiger 2017 eingeweiht hat. „Ein großes Ziel.

In der Saison seines Lebens.

 ?? FOTO: DPA ?? Karl Geiger hat Selbstbewu­sstsein gesammelt.
FOTO: DPA Karl Geiger hat Selbstbewu­sstsein gesammelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany