Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Strafe muss sein
Das war jetzt schon der erste Schock im neuen Jahr. Dass sich meine Kollegen an Pralinen vergreifen, die in meinem Postfach auf mich warteten, hat mich hart getroffen. Hätte ich das jemals von ihnen gedacht? Bei näherem Überlegen – ja, absolut, besonders einem traue ich das jederzeit zu. Namen nenne ich nicht, ich will ja niemanden zu Unrecht verdächtigen, sind doch alles „Unschuldslämmer“. Ob ich ihnen jemals verzeihen kann, haben sie durch einen Mittelsmann fragen lassen – denn seine Schuld namentlich gestanden hat natürlich immer noch niemand. Habe ich Verständnis für so urmenschliche Eigenschaften wie nackte Gier? Selbstverständlich nicht, jedenfalls nicht bei anderen, dazu bin ich selbst viel zu gierig, und nur deshalb habe ich ja rumgeheult, wieso alle Kollegen Pralinen bekommen haben, nur ich nicht – bis mich ein unbeteiligter Zeuge aufklärte.
Aber gut, die Großpackung der allerleckersten Pralinen, die ich nun auf meinem Schreibtisch gefunden habe – wieder anonym – hat mich tatsächlich etwas versöhnt. Unterm Strich habe ich eindeutig das bessere Geschäft gemacht: Die ursprüngliche Pralinenpackung war viel kleiner. Nur abgeben werde ich dieses Mal nix, gar nix, nicht den kleinsten Schokostreusel. Strafe muss sein. Und nächstes Jahr, liebe Unschuldslämmer, könnt Ihr eigentlich gleich die kleine Packung haben und mir die extragroße hinstellen. Danke!