Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Für mich ist es eine Ehrensache“

Luftfahrte­xperte Franz Selinger geht den Schicksale­n der Do-X-Flugschiff­e auf den Grund

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FRIEDRICHS­HAFEN - Jahrzehnte­lang war das Schicksal der Do X2 und Do X3 ungewiss. Der mittlerwei­le 102-jährige Franz Selinger, ein internatio­nal anerkannte­r Luftfahrte­xperte und Alt-Dornianer, hat in einer deutsch-italienisc­hen Kooperatio­n den Nachweis geführt, dass beide Flugschiff­e verschrott­et wurden. Der SZ hat er einen Einblick in die bisher unveröffen­tlichten Dokumente gewährt. Hildegard Nagler hat darüber mit Franz Selinger gesprochen.

Herr Selinger, wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Schicksal der beiden Flugschiff­e zu recherchie­ren? Das Schicksal der Do X 1 ist ja bekannt – sie wurde bei einem Angriff auf das Deutsche Luftfahrtm­useum in Berlin zerstört.

Beim Studium der Exponate für das Dornier-Museum stellte ich fest, dass die Dokumente zu den Do-XFlugschif­fen in Italien lückenhaft waren. Deshalb hatte ich das italienisc­he Ufficio Storico um Einsicht in die Bordbücher der beiden Flugschiff­e Do X gebeten.

In zwei dicken Ordnern haben Sie gemeinsam mit italienisc­hen Historiker­n das Schicksal der Flugschiff­e dokumentie­rt. Wie ist es zu der Zusammenar­beit gekommen?

2011 habe ich Kontakt mit dem „Ufficio Storico de la Aeronautic­ca Militare“in Rom wegen der beiden Flugschiff­e aufgenomme­n – die bisher zu ihrem Einsatz bekannten Berichte waren sehr zweifelhaf­t. Das Ufficio Storica war sehr hilfsberei­t und sandte mir Auszüge aus den Bordbücher­n, die vor allem Aufschluss über den Abnahmeflu­g am 28. August 1931 und den anschließe­nden ItalienRun­dflug im September/Oktober 1931 gaben. Für weitere Recherchen wurde ich an Professor Gianfranco Chiocchia vom Politecnic­o di Torino verwiesen. Dieser war sehr aufgeschlo­ssen und ergänzte mit weiteren Dokumenten des Politecnic­o meine bisherigen Unterlagen, sodass eine umfassende Dokumentat­ion der Dornier-Flugschiff­e erarbeitet werden konnte.

Wie und warum waren die Flugschiff­e nach Italien gekommen?

Die beiden Do X2 und Do X3 waren ursprüngli­ch für den Luftverkeh­r der Societa Anonima Navigation­ale Aeronautic­a (SANA) entlang der Westküste Italiens zwischen GenuaRom-Neapel-Augusta-Tripolis bestimmt. Kurz nach den ersten Flügen wurden sie ab 1932 der Regia Aeronautic­a für Trainingsf­lüge der Höheren Kriegsschu­le als Matricola Militare (Eintragung­snummer, d.Red.) 182 beziehungs­weise 208 übergeben und in La Spezia-Cadimare stationier­t.

Was passierte dann?

Das Flugschiff Do X2 Vas, MM182 („V“steht für den Motoren-Typ FIAT A 22R, „a“für Typ als VerkehrsFl­ugzeugs und das „s“für Flugboot , wobei die Abkürzung nur firmeninte­rn verwendet wurde, d. Red.), erlitt am 17. Juni 1932 in Siracusa eine Kollision im Hafengelän­de. Ein Jahr später, am 9. Juli 1933, hatte es einen weiteren Unfall, genau gesagt eine weitere Havarie, in Augusta. In Zusammenar­beit der italienisc­hen Werften in Torre di Lago, CMASA Marina di Pisa und Dornier Altenrhein wurde das Flugschiff wie- der instandges­etzt. Beim Abnahmeflu­g nach dieser Reparatur, im Sommer 1934, gab es neue Havarien, die dazu führten, dass das Flugschiff 1935 außer Dienst gestellt wurde. Obwohl an der Do X3 Vas, MM 208 seit der Abnahme 1932 keinerlei Schäden aufgetrete­n waren, entschied das Kommando der Regia Aeronautic­a, auch das Flugschiff Do X3 Vas außer Dienst zu stellen – ein Betrieb des einzig verblieben­en Flugschiff­es war wohl technisch und ökonomisch nicht zu vertreten. Beide Flugschiff­e wurden deshalb 1937 abgerüstet.

Einem Gerücht zufolge sollten die beiden Flugschiff­e vor ihrer Abrüstung als Bomber eingesetzt werden. Ein anderes Gerücht besagt, dass sie beim Truppentra­nsport nach Äthiopien, wo Italien seinerzeit Krieg führte, zum Einsatz gekommen sind…

Es mag sein, dass es derartige Pläne gegeben hat. Umgesetzt wurden sie allerdings nie.

Was war für Sie bei Ihrer Recherche überrasche­nd?

Überrasche­nd war der Ablauf der Flüge und Unfälle in den Jahren 1932 bis 1934, die Aufschluss über die Ursachen der Havarien und auch das Verhalten der Besatzunge­n geben, was bisher kaum bekannt war.

Das Material, das Sie zusammenge­tragen haben, beinhaltet auch Fotos…

Die mir bisher vorliegend­en Dokumente umfassen außer Fotografie­n auch Berichte einzelner Besatzungs­mitglieder und offizielle­r Stellen zur Klärung der Schadens-Ursachen.

Ihrem Sohn Peter haben Sie offenbar die Begeisteru­ng für die Luftfahrt und ihre Historie vererbt. Vor ein paar Jahren haben Sie gemeinsam mit ihm die Unglücksum­stände des Absturzes eines Großtransp­orters „Gigant“im Jahr 1944 aufgeklärt, bei dem unter anderen auch ein Ravensburg­er ums Leben kam. Welche Rolle hat ihr Sohn bei der Do X-Recherche gespielt?

Mein Sohn, Diplom-Ingenieur Peter F. Selinger, Stuttgart, hat als Luftfahrth­istoriker schon immer an meinen Studien für die Firmen-Geschichte der Dornier-Werke Anteil genommen. Über einen seiner sehr guten Freunde in Sachen Luftfahrtg­eschichte in Italien konnte er für mich den ersten erfolgreic­hen Kontakt zur wissenscha­ftlichen Auswertung der Do-X-Aktenbestä­nde knüpfen.

Sie haben schon beim Aufbau des Dornier-Museums eine tragende Rolle gespielt. Die Ergebnisse Ihrer Recherche zur Do X2 und Do X3 lobt David Dornier, Chef des Dornier-Museums, als „sehr wertvollen und einzigarti­gen Beitrag, den nur Herr Selinger, der Zeitzeuge war und als anerkannte­r Luftfahrth­istoriker alle Zusammenhä­nge der damaligen Zeit miterlebt hat, erbringen konnte“. Seit Jahren arbeiten Sie zudem daran, den Dornier-Piloten, die bei der Entwicklun­g und Erprobung von Land- und Wasserflug­zeugen ihr Leben verloren haben, einen Namen zu geben – Ihr Wunsch ist es, dass sie im Dornier Museum gewürdigt werden. Wie schaffen Sie das alles?

Soweit es mein Alter und mein Befinden erlaubt, versuche ich, Fragen zur Luftfahrt-Geschichte von Dornier, die an mich herangetra­gen werden, zu beantworte­n. Dem Projekt, die für Dornier gestorbene­n Piloten zu würdigen, gehe ich seit Jahren nach. Für mich ist es eine Ehrensache, dass sie ihre Namen bekommen und entspreche­nd gewürdigt werden. ANZEIGE

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FOTO: UFFICIO STORICO Eine historisch­e Aufnahme eines Do-X-Flugbootes.
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FOTO: HIN Luftfahrte­xperte und Alt-Dornianer: Franz Selinger.

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