Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Bei der EBC jetzt drei Schritte zurück“
Landrat Lothar Wölfle spricht im SZ-Interview über ein schwieriges Jahr 2017.
FRIEDRICHSHAFEN - Flughafen, EBC, Haushaltsdefizit – die Verwaltung des Bodenseekreises war Ende 2017 noch mal an mehreren Fronten in Sachen Krisenmanagement gefragt. Schließlich wurden für alle Probleme zumindest Übergangslösungen gefunden. Auch im neuen Jahr stehen im Kreis wichtige Themen an. Landrat Lothar Wölfle hat im Gespräch mit Alexander Tutschner Bilanz gezogen und einen Ausblick gewagt.
Herr Wölfle, wie fällt Ihre Bilanz für 2018 im Bodenseekreis aus?
Durchwachsen, es gab Positives und Negatives. Bei den Themen Gästekarte oder Flughafen sind wir noch nicht so weit, wie wir das wollten. Schwierig sehe ich die Mediation in Kluftern, denn das Ergebnis „kein Straßenneubau“heißt auch keine Lösung des Verkehrsproblems. Auch bei der Ortsumfahrung Bermatingen und Neufrach sind wir nicht weitergekommen, obwohl der Bau der Straße in der Koalitionsvereinbarung der Landesregierung steht. Positiv ist, dass mittlerweile die Ortsumgehungen von Überlingen und Friedrichshafen gebaut werden. Sehr gut ist, dass es uns gelungen ist, zumindest ein Drittel der Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Auch unser Bürgerservicezentrum im Landratsamt läuft sehr gut.
Die Einführung der Echt-Bodensee-Card wurde 2017 zum Desaster, für 2018 gibt es jetzt eine Papierstatt einer Chipkarte. Wie gefällt Ihnen die Alternative?
Das kann nur eine Zwischenlösung sein. Ich bin überzeugt, dass die Chipkarte ein Erfolg geworden wäre, wenn sie jetzt in weiteren Gemeinden realisiert worden wäre. Aber dann gab es die beiden Nackenschläge mit dem VGH-Urteil zur Kurtaxensatzung in Langenargen und vor allem die Insolvenz des technischen Dienstleisters. Da wir ohnehin schon so viel Gegenwind hatten, wollten wir nicht auf eine Technik setzen, bei der wir nicht sicher waren, ob sie das Jahr durch trägt. Deshalb haben wir gesagt, wir gehen drei Schritte zurück und machen das, was andere auch machen, was aber nicht wirklich innovativ ist.
Was ist an der Papierkarte so schlecht?
Sie bietet nur einen Bruchteil von dem, was die Chipkartenlösung bietet. Diese hätte dem Gast ungeahnte Möglichkeiten gegeben, in der Routenplanung, in der Buchung von Ausflugszielen und und und ... Da muss man sich nur die entsprechende App anschauen. Auch im Verkehrsverbund bodo haben wir seit 1. Januar die Chipkarte für Jedermann, also das elektronische Fahrgeldmanagement, eingeführt. Es macht überhaupt keinen Sinn, dem Touristen eine andere Lösung anzubieten als dem Einheimischen.
Die Papierkarte ist ein Sieg für die Datenschützer ...
Von den Gegnern der Chipkarte wird das so gesehen. Der Vergleich der beiden Lösungen zeigt aber etwas anderes. Bei der Chipkarte wäre jeweils der erste und der letzte Buchstabe des Vor- und Nachnamens drauf gewesen und die Aufenthaltsdauer verschlüsselt auf dem Chip. Auf der Papierkarte steht der volle Name, die volle Aufenthaltsdauer und das Hotel.
Wurde die Einführung der Karte schlecht kommuniziert und wer trägt die politische Verantwortung für das vorläufige Scheitern der Chipkarte?
Die politische Verantwortung sehe ich bei mir, ich will mich da nicht hinter meinen Kollegen oder der DBT verstecken. Ja, uns wurde vorgeworfen, wir hätten die Leute zu wenig miteinbezogen. Ich nehme die Kritik so hin, obwohl wir über 100 Informationsveranstaltungen hatten.
Wölfle zum Scheitern der Echt Bodensee Card mit Chip
Aber: Die Chipkarte ist schon aufwendig für einen Vermieter, der vielleicht nur eine Ferienwohnung oder ein bis zwei Zimmer hat. Vielleicht haben wir das unterschätzt. Wir haben auch erst beim Rollout der Karte gemerkt, wie extrem kleinteilig unsere Vermietungslandschaft ist. Aber die Zielsetzung war dennoch richtig. Alle Experten bestätigen es, die Chipkarte wird die Lösung der Zukunft sein. Wir gehen jetzt einen Umweg, aber wir müssen schauen, dass wir eine Lösung für das 21. Jahrhundert hinbekommen.
Erstmals konnten Sie für 2018 keinen ausgeglichenen Haushalt einbringen ...
Das war ein Signal an den Kreistag, dass wir für das, was wir leisten, zu wenig Geld haben. Es gibt für die Zukunft nur zwei Möglichkeiten: entweder kürzen wir die Leistungen oder wir erhöhen die Einnahmen.
Nach weiteren Sparrunden stimmten die Zahlen dann doch ...
Wir haben nur verschoben und nicht gespart. Der Kreistag hat nicht ein großes Projekt gestrichen. In der mittelfristigen Finanzplanung stehen für 2019 jetzt schon 31 Millionen für Investitionen drin, von denen kein einziger Cent finanziert ist. Jetzt kommen da noch ein paar Millionen obendrauf, das ist nicht wirklich eine Lösung. Das kann man mal ein, zwei Jahre machen, aber irgendwann läuft man gegen eine Wand. Wir haben die Probleme nur nach 2019 verschoben.
Sie plädieren also weiter für die Erhöhung der Kreisumlage?
Wir leisten uns den Luxus, weniger als 90 Prozent unserer Sozialausgaben durch die Kreisumlage abzudecken. Nach einer Faustformel sollten es 100 Prozent sein. Wir liegen seit Jahren darunter, ohne diese Schieflage hätten wir einen ausgeglichenen Haushalt gehabt. Der andere Weg heißt eben Kürzung der Leistungen, dann haben wir halt irgendwann schlechtere Straßen, ich halte das nicht für den richtigen Weg. Wir erlauben uns auch im sozialen Bereich einiges an Luxus, zum Beispiel die Familientreffs, für die wir überall gelobt werden. Das kostet aber jedes Jahr einen siebenstelligen Betrag. Wenn ich das Niveau der Leistungen halten will, muss ich mehr Geld in das System pumpen.
Ihnen wurde vorgeworfen, der Haushaltsentwurf sei aufgebläht gewesen und hätte von den Fraktionen ausgebügelt werden müssen.
Die Aufgabe des Parlamentes ist es, sich intensiv mit dem Haushalt zu beschäftigen. Ein nicht ausgeglichener Entwurf ist nichts Ungewöhnliches. Dass es leichter ist, wenn die Verwaltung einen ausgeglichenen Haushalt vorlegt, ist klar. Aber ich habe da kein schlechtes Gewissen. Und: jeder vernünftige Kaufmann kalkuliert vorsichtig. Ich will nicht in Abrede stellen, dass auch wir das bei Baumaßnahmen gemacht haben. Wenn man es nicht macht, läuft man schnell gegen die Wand. Aber dass wir den Kreistag über den Tisch ziehen wollten, ist nicht richtig.
Wölfe zum Kreishaushalt 2018
Die Zustände auf der Bodenseegürtelbahn waren 2017 teilweise chaotisch, wann wird Abhilfe geschaffen?
Ich bekomme das hautnah mit, wenn meine Mitarbeiter etwa aus Markdorf nicht zur Arbeit kommen, weil kein Zug fährt. Mittlerweile ist ja klar, dass es nicht nur an kaputten Triebwagen liegt, sondern dass auch seitens des Landes Leistungen reduziert wurden. Bei einem Termin im Verkehrsministerium wurde versprochen, dass das Land bereit ist, zusätzliche Züge zu bestellen. Es gibt Ende Januar einen Folgetermin. Ich werde da am Ball bleiben.
Wann geht es mit der Elektrifizierung Südbahn los?
Im März soll der Spatenstich erfolgen, die Baumaßnahmen sind alle durchgeplant. Es steht jedoch noch ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Kempten aus über eine Klage gegen den Feststellungsbescheid im bayerischen Gebiet. Wir haben aber Baurecht, es geht jetzt richtig los. Ob aber alles Ende 2020/Anfang 2021 fertig wird oder ob es Frühjahr 2022 wird, kann ich heute nicht sagen. Wir haben jetzt zwei Jahrzehnte gekämpft, da spielt ein Vierteljahr mehr oder weniger keine Rolle.
Welche Projekte stehen im Straßenbau an?
Was die Kreisstraßen betrifft, ist derzeit die Ortsumfahrung Kehlen das größte Projekt mit rund 7,5 Millionen Euro. Die Ortsumfahrung Schnetzenhausen haben wir in der Planung, das nächste Thema wird dann die Nordumfahrung Neufrach sein. Was die Landesstraßen betrifft, hadere ich mit der Landesregierung bezüglich der L 205, den Ortsumfahrungen Bermatingen und Neufrach. Es heißt, es gebe keine Planer und kein Geld. In der Koalitionsvereinbarung wurde aber der Bau der Straße zugesagt, da werde ich weiter Druck machen. Bei den Bundesstraßen freuen wir uns, dass die Ortsumfahrungen Überlingen und Friedrichshafen gebaut werden. Zäh laufen die Planungen zur Ortsumfahrung B30/Meckenbeuren und zum Abschnitt B31/ImmenstaadMeersburg. Im Fall von Meckenbeuren gibt es von allen Seiten eine klare Priorisierung für die Westumfahrung, ich weiß nicht, warum sich das Regierungspräsidium da so schwer tut. Auch wenn es seitens des Naturschutzes nicht ganz einfach ist, wir sollten da im neuen Jahr ein Stück vorankommen. Schwieriger wird es sicher zwischen Immenstaad und Meersburg, wo noch mehrere Varianten diskutiert werden. Ich hoffe, dass wir hier alle Aufgaben von der Verkehrs- bis zur Umweltplanung sauber abarbeiten können. In beiden Fällen wird es keine Lösung geben, die alle zufriedenstellt.
Bei der Bezuschussung des Flughafens wurden Sie vom eigenen Kreistag überboten, obwohl im Haushalt gleichzeitig ein Loch klaffte ...
Auch der von uns geplante, geringere Zuschuss hätte den Flughafen weitergebracht. Aber vieles war da schon auf Kante genäht. Die größere Summe bietet die größere Sicherheit. Stadt und Landkreis haben damit ein klares Bekenntnis zum Flughafen abgegeben. Es müssen jetzt Gespräche mit dem Land folgen über eine Unterstützung für den Airport. Das Land hat sich bisher immer vornehm zurückgehalten, jetzt muss es Farbe bekennen. Ich bin der Finanzministerin Edith Sitzmann dankbar, dass es jetzt einen entsprechenden Termin mit dem Ministerium, dem Flughafen, der Stadt und dem Landkreis geben wird. Auch von den Landkreisen Lindau und Ravensburg erwarte ich, dass sie sich mit dem Thema befassen.
Ist der Airport ein Fass ohne Boden für den Bodenseekreis?
Mit dem jetzigen Zuschuss muss der Flughafen eine tragfähige Lösung finden. Es kann nicht sein, dass er immer wieder zur Defizitabdeckung zu uns kommt. Das Ziel muss sein, dass der Flughafen sich trägt, was das laufende Geschäft angeht. Das betrifft nicht die Investitionen, da wird weiter Geld von außen nötig sein. Der Flughafen hat viel getan zur Steigerung der Effizienz, wenn die Passagierzahlen noch einigermaßen stimmen, dann müsste es funktionieren. Wenn nicht, muss man irgendwann die Grundsatzfrage stellen.
Die Investitionen für den Breitbandausbau wurden für den laufenden Haushalt gestrichen, herrscht jetzt Stillstand in Sachen schnelles Internet?
Nein, der Kreistag hat hier eine politische Grundsatzentscheidung getroffen. Der Kreis baut das sogenannte Backbone-Netz, also die Verbindungsleitungen zwischen den Gemeinden, für die Verteilnetze vor Ort sind die Gemeinden zuständig. Wir haben die Planungen in Auftrag gegeben. Über zehn Jahre weg wird der Bodenseekreis hier zweistellige Millionenbeträge investieren. Sinn macht das Ganze nur, wenn man es miteinander macht. Dafür gibt es zwei Lösungen, eine private GmbH oder einen öffentlichrechtlichen Zweckverband.
Dieser hätte Vorteile, was die Zuschüsse betrifft. Die GmbH ist flexibler, was Entscheidungsfindungen betrifft. Die Mehrheit der Gemeinden tendiert wohl zum Zweckverband. Die Finanzierung könnte dann über eine Bürgschaft laufen, und man müsste kein eigenes Geld in die Hand nehmen.
Wie ist die Situation der Asylsuchenden im Bodenseekreis?
Wir bekommen derzeit etwa 25 bis 30 Flüchtlinge im Monat zugewiesen, also in etwa so viele wie vor dem Jahr 2015. Wir haben aber immer noch über 1000 Geflüchtete in den Gemeinschaftsunterkünften in der Obhut des Kreises, deren Anträge noch nicht vom BAMF bearbeitet sind. Auch deren Zahl nimmt ab, es werden am Ende des Jahres vielleicht noch 800 sein. Weiter haben wir immer 290 bis 340 Flüchtlinge bei uns, für die die Gemeinden zuständig wären, es aber dort keine Anschlussunterbringung gibt. Wir können diese Menschen nicht in den Bus setzen und in der Gemeinde X absetzen. Es bleibt also nur, Druck zu machen bei den Gemeinden, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Die Kosten bleiben so lange bei uns hängen, es geht um rund vier Millio- nen Euro im laufenden Haushalt.
Wie sieht es mit der Ausbildung der Geflüchteten aus?
Etwa 35 Prozent unserer Leistungsbezieher sind in Arbeit, aber das reicht für sie eben nicht komplett aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Wenn man bedenkt, dass die Menschen vor zwei Jahren kein Deutsch konnten, ist das aber ein großer Erfolg. Es zahlt sich aus, dass wir eine gemeinsame Anlaufstelle von Jobcenter und Arbeitsagentur haben. Die Weichen können so schnell gestellt werden. Es geht aber nicht nur um Arbeit, es geht auch um Integration, beide Seiten sind dabei gefragt, das ist keine Einbahnstraße.
Der Familiennachzug gilt momentan als Knackpunkt bei den Koalitionsverhandlungen im Bund, wie stehen Sie als CDU-Mann dazu?
Die Parteigrenze ist für mich da nicht entscheidend, es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Wenn ich mich in die Lage der Flüchtlinge versetze und wüsste nicht, wo meine Familie ist, – da spricht sicher aus menschlicher Sicht Vieles für den Familiennachzug. Aber wir dürfen auch unsere Gesellschaft nicht überfordern. Für uns als Landratsamt wäre es sicher einfacher, wenn der Familiennachzug nicht kommt.
Wann darf der Bodenseekreis wieder mit Einnahmen aus der OEWBeteiligung rechnen?
Auch da habe ich zwei Hüte auf. Als Landrat hoffe ich natürlich, dass bald wieder Geld reinkommt. Im besten Jahr hatten wir ja mal zehn Millionen im Haushalt, wo jetzt eine Null steht. Als OEW-Vorsitzender ist mir aber klar, dass die OEW, sollte es wieder eine Zuweisung von der ENBW geben, erst wieder ihre Rücklagen auffüllen muss. Wir wollen immer Geld für drei schlechte Jahre auf der hohen Kante haben. Ich rechne damit, dass es bald wieder eine Dividende von der ENBW gibt, da sich der Konzern mittlerweile wieder gut aufgestellt hat. Aber die Landkreise werden frühestens 2020/2021 davon profitieren.
„Die politische Verantwortung sehe ich bei mir, ich will mich da nicht hinter meinen Kollegen oder der DBT verstecken.“
„Wir haben die Probleme nur nach 2019 verschoben.“
Wie sieht es mit den Erweiterungsplänen des Landratsamtes an der Glärnischstraße aus, wo sie auf die Zusammenarbeit mit der Stadt angewiesen sind?
Ich hatte jetzt ein Gespräch mit OB Andreas Brand und dem Baubürgermeister Stefan Köhler, insbesondere die Höhenentwicklung des neuen Gebäudes ist der Knackpunkt für die Stadt. Das kann ich auch nachvollziehen. Unsere ursprüngliche Idee, mit einem zweiten Turm so eine Art Stadttor zu schaffen, stößt nicht auf Gegenliebe. Wenn wir eher in die Breite gehen sollen, ist das für uns in Ordnung. Aber wir haben heute viereinhalb Stockwerke im alten Gebäude und ein fünftes brauchen wir auf jeden Fall, vielleicht auch ein sechstes, unsere Fachleute prüfen das gerade. Voraussetzung ist, dass wir die Fläche optimal ausnützen dürfen, dazu brauchen wir aber ein Grundstück der Stadt.
„Für uns als Landratsamt wäre es sicher einfacher, wenn der Familiennachzug nicht kommt.“
Was wünschen Sie sich für 2018?
Wir wollen die begonnenen Projekte, wie Breitband, Flughafen, Erweiterung Landratsamt, Straßenbau und Bahn weiter voranbringen. Die Aufgaben ergeben sich da automatisch. Sicher werden auch wieder neue Dinge auf uns zukommen. Wir wollen das in einem guten Miteinander bewerkstelligen. Als Kreisverwaltung werden wir die Hausaufgaben, die uns der Kreistag in finanzieller Hinsicht gestellt hat, erledigen, und auch nochmal eigene Vorschläge machen.