Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Gericht gibt Ohrbeißer die erhoffte Chance
Unterbringung in Entziehungsklinik ergänzt Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten
FRIEDRICHSHAFEN (li) - Zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten hat das Schöffengericht am Amtsgericht Tettnang am Mittwoch einen 30-Jährigen Mann verurteilt, weil er einem 68-jährigen Mann ein Stück von dessen rechtem Ohr abgebissen und mehrfach Polizeibeamten beleidigt hat. Mit der zusätzlich angeordneten Unterbringung in der Forensischen Psychiatrie im Zuge des Maßregelvollzugs ermöglicht das Gericht dem Mann, sein bislang von Alkoholexzessen geprägtes Leben doch noch in den Griff zu bekommen.
Im Mittelpunkt des zweiten Verhandlungstages stand die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuches (Maßregelvollzug) gegeben sind oder nicht. Bedingung dafür ist, dass eine „hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg“der Therapie besteht. Eine Frage, die aus der Sicht von Dr. Kerstin Schwarz, die als Sachverständige geladen war, schwer zu beantworten ist.
Auf der einen Seite hat der Angeklagte bereits mehrere Anläufe für Therapien unternommen, die erfolglos blieben. Auf der anderen Seite ist er seit einem halben Jahr, seit er in Untersuchungshaft sitzt, abstinent geblieben – hat weder Alkohol noch Drogen konsumiert, obwohl es auch in der Justizvollzugsanstalt kein großes Problem wäre, an die entsprechenden Stoffe zu kommen. Weil im Verlauf der Verhandlung klar geworden war, dass es seit seinem 14. Lebensjahr keinen auch nur annähernd so langen Zeitraum gegeben hat, in dem der Angeklagte weder Alkohol noch Cannabis oder andere Drogen zu sich genommen hat, zeigten sich nicht nur seine Verteidigerin, sondern letztlich auch Staatsanwältin und Richter vorsichtig optimistisch, dass die Zeit in Haft ein Stück weit zu einem Umdenken beim 30-Jährigen geführt hat. Staatsanwältin Christine Weiß stellte fest, dass im Leben des Angeklagten bislang nichts passiert sei außer „Mist, Mist und nochmal Mist“. In irgendeiner Form müsse man ihm die Möglichkeit eröffnen, endlich „von der gottverdammten Sauferei und den Drogen wegzukommen“. So sah es auch Richter Martin Hussels: „Wir müssen Sie auf den richtigen Weg bringen und haben die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben.“
Keine dauerhafte Entstellung
Die Haftstrafe zur Bewährung auszusetzen, kam aufgrund von sieben Vorstrafen – vor allem wegen Beleidigungen und Körperverletzungen – nicht infrage. Vom ursprünglich angeklagten Vorwurf der schweren Körperverletzung kamen Staatsanwaltschaft und Richter letztlich ab, weil das Ohr des Opfers rekonstruiert werden konnte und somit keine dauerhafte Entstellung gegeben ist. Da langwierige Beeinträchtigungen wie Taubheitsgefühle aber nicht ausgeschlossen werden können, blieb das Gericht beim Strafmaß von einem Jahr für die verbliebene vorsätzliche Körperverletzung aber auch nicht im unteren Bereich. Die vier zusätzlichen Monate resultieren aus mehreren Beleidigungsfällen.
Wie berichtet, war der Angeklagte Ende März 2017 in einem Wohnhaus an der Schwabstraße in Friedrichshafen, das damals als sozialer Brennpunkt galt, mit einem anderen Bewohner in Streit geraten. Im Verlauf einer Rangelei biss er ihm ein Stück des rechten Ohrs ab. Der Angeklagte gab zwar an, aus Notwehr gehandelt zu haben, die Richter folgten aber letztlich der Version des Opfers, wonach eine solche Notwehrsituation nicht gegeben war.
Die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung, die teilweise auf die verhängte Haftstrafe angerechnet wird, ist letztendlich das, worauf der Angeklagte selbst in seinem Schlusswort gehofft hatte. Ob es dazu kommen wird, steht allerdings noch nicht hundertprozentig fest, da er sich im Februar auch noch in Konstanz vor Gericht verantworten muss – wegen räuberischer Erpressung. Und die Frage wird sein, ob auch die dortigen Richter zur Auffassung gelangen, dass die Voraussetzungen für einen Maßregelvollzug vorliegen.