Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Ich glaube an den Gott des Gemetzels“
Schauspiel Leipzig zeigt bitterböse Erfolgskomödie von Yasmina Reza über Supermütter und Alphatiere
FRIEDRICHSHAFEN - Mit ihrer Komödie „Der Gott des Gemetzels“hat die französische Erfolgsautorin Yasmina Reza 2006 einen Coup gelandet, der sie zur meistgespielten Autorin der Gegenwart werden ließ. Seit der Uraufführung in Zürich hat die sich zuspitzende Schlacht um Supermütter und Alphatiere nichts von ihrem Biss verloren, so war auch Enrico Lübbes differenzierte Inszenierung für das Schauspiel Leipzig ein Hochgenuss für die Zuschauer wie für die Spieler, die alle Register ziehen dürfen.
Wie ein Versuchslabor wirkt anfangs der von Neonröhren eingerahmte Raum in bläulichem Licht, doch bald wird das offene Halbrund zur Arena, wird der stylische Salon zur Kampfstätte. Véronique Houillé (Bettina Schmidt), künstlerisch angehaucht mit Turban, ordnet die üppige Tulpenpracht und ihre Kunstbände, die übrigen Drei kommen hinzu: Annette Reille (Anne Cathrin Buhtz), topchic in engem Minikleid, ihr Mann Alain (Dirk Lange) in gepflegtem Business-Look, Hausherr Michel Houillé (Michael Pempelforth) leger in kariertem Hemd mit Weste. Noch kennen sich die Paare nicht, tasten sich mit Smalltalk ab, wirken verunsichert. In kindlicher Aggression hat der elfjährige Sohn der Reilles dem Sohn der Houillés zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Man versucht den Schaden zu begrenzen: „Nicht aufregen, moderat reagieren!“Schließlich gibt es gewisse Spielregeln: „Wir leben in Frankreich mit dem Codex der westlichen Welt.“Höflichkeiten werden ausgetauscht und ganz gelegentlich verrät eine Bemerkung, wie es unter der hauchdünnen Kulturschicht gärt und brodelt.
Vermögensberaterin kotzt
Regisseur Enrico Lübbe lässt sich Zeit. Sachte bringt er das knisternde Spiel der Kontraste zum Laufen, lässt die Gräben unter der edlen Oberfläche aufblitzen. Komplexe werden sichtbar beim Haushaltswarengroßhändler und seiner Frau, der kunstund naturbeflissenen Autorin, wie bei den Gästen, dem Anwalt und der Vermögensberaterin. Man spürt schnell, dass die Ehen keineswegs so harmonisch verlaufen, wie die Paare es nach außen vermitteln wollen, umso penetranter kommen wieder die ausgeschlagenen Zähne ins Spiel. Der fortschreitende Kampf erzeugt immer neue Bündnisse, die ebenso rasch wieder zerfallen. Während der gelangweilte Anwalt Reille die Sache schnell bereinigen will, managt er am ständig dazwischenfunkenden Handy einen laufenden Prozess und erweist sich hier als eiskalter Typ, für den Recht und Gerechtigkeit nur leere Schlagwörter sind. Als der Alkoholpegel steigt, schlägt der von ihm zitierte „Gott des Gemetzels“mit zarter Frauenhand zu: Genüsslich wirft Annette sein Handy ins Wasser und trifft ihn damit ins Mark. Ihr hat sein Gehabe schon längst auf den Magen geschlagen, hemmungslos kotzt sie über die wertvollen Kunstbücher der Houillés. Auch dort brechen mächtige Differenzen auf, doch als die Tochter anruft, werden offene Probleme gleich wieder unter den Teppich gekehrt. Wie es weitergehen soll, lässt die Autorin offen. Sicher ist dagegen, dass die vier Spieler sich mit großem Spaß ins Getümmel gestürzt und verständnisinnige Lacher geerntet haben.