Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

SPD-Linke gegen neue Große Koalition

Auch im Südwesten regt sich Widerstand – Unionspoli­tiker zeigen sich zuversicht­lich

- Von Sabine Lennartz, Daniel Hadrys und unseren Agenturen

BERLIN/RAVENSBURG - Die Spitzen von Union und SPD nehmen mit einem umfangreic­hen Kompromiss zu Krankenver­sicherung, Flüchtling­en, Rente und Investitio­nen Kurs auf eine neue Große Koalition. Während auf Seiten von CDU und CSU die Zuversicht überwiegt, regt sich vor allem beim linken Flügel der Sozialdemo­kraten Widerstand, unter anderem von der Ulmer Bundestags­abgeordnet­en Hilde Mattheis. Kritik kam auch von der Opposition. So erklärte die Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e Agnieszka Brugger (Grüne) am Freitag: „Union und SPD wollen ihre ideenlose Politik der letzten Jahre einfach fortsetzen.“

Im SPD-Vorstand ist der Gegenwind indes schwächer als erwartet. Parteichef Martin Schulz schloss am Freitagabe­nd nicht mehr aus, Teil eines Kabinetts unter Führung von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zu sein. Schulz hatte nach der Bundestags­wahl noch gesagt: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“Damals hatte Schulz aber auch jene Große Koalition ausgeschlo­ssen, über die jetzt wieder verhandelt werden soll.

CDU-Chefin Merkel, der CSUVorsitz­ende Horst Seehofer und Schulz hatten sich am Freitagmor­gen auf ein 28-seitiges Sondierung­spapier geeinigt. „Ich glaube, hier ist es ein Papier des Gebens und des Nehmens, wie es sein muss“, sagte Merkel. Seehofer zeigte sich ebenfalls hochzufrie­den: „Dieses Ergebnis kann sich sehen lassen in allen Politikfel­dern.“Die Union möchte die Koalitions­verhandlun­gen Mitte Februar abschließe­n. Eine Regierung könne dann bis Ostern stehen.

Zunächst aber muss der SPD-Parteitag am 21. Januar über die Aufnahme formeller Koalitions­verhandlun­gen entscheide­n. Dies gilt wegen der Widerständ­e an der Basis, gerade auch im Südwesten, als große Hürde. Mattheis, die Vorsitzend­e der Demokratis­chen Linken 21, sagte am Freitag zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir wollen nun intensiver agieren.“Durch Kampagnen und Argumente wolle man die Parteitags­delegierte­n überzeugen, gegen die Bildung der Großen Koalition zu stimmen. Es gibt zudem eine weitere Hürde. Sollten etwaige Koalitions­verhandlun­gen erfolgreic­h abgeschlos­sen werden, macht SPD-Chef Schulz die endgültige Zusage an die Union von einem Mitglieder­entscheid abhängig.

BERLIN - Angela Merkel (CDU) ist zufrieden, Horst Seehofer (CSU) sogar hochzufrie­den, Martin Schulz (SPD) nennt das Ergebnis hervorrage­nd. Nach über 24-stündigen Verhandlun­gen im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, stellen die drei Parteichef­s ihre Sondierung­sergebniss­e vor. Sie wirken erleichter­t.

Hausherr Martin Schulz (SPD) wird es am schwersten haben, seiner Partei eine Neuauflage der Großen Koalition schmackhaf­t zu machen. Doch er ist zuversicht­lich, zumal die 13-köpfige Sondierung­srunde einstimmig dafür votiert hatte, Verhandlun­gen zu einer Großen Koalition aufzunehme­n. „Ich kann Ihnen sagen, meine Partei hat zu Beginn dieser Woche einen Beschluss gefasst, dass wir möglichst viele rote Inhalte durchsetze­n wollen“, so Schulz, aber natürlich sei von Anfang an klar gewesen, dass man Kompromiss­e eingehen müsse.

Skeptikeri­n Dreyer überzeugt

Auf der Fraktionse­bene im Reichstag wirbt wenig später Niedersach­sens SPD-Ministerpr­äsident Stephan Weil noch einmal für die Große Koalition. Er war von Anfang an ein Streiter dafür, dass seine Partei die Regierungs­verantwort­ung annehmen soll, und lobt jetzt die Beschlüsse von „weitreiche­nder Bedeutung“wie die Bekämpfung der Altersarmu­t und die De facto-Aufhebung des Kooperatio­nsverbots.

Seine weitaus skeptische­re Kollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, hatte bislang eher für eine Minderheit­sregierung gestimmt, ist aber jetzt vom Sondierung­sergebnis völlig überzeugt und will ebenfalls dafür werben. Ganz anders als so manche SPD-Mitarbeite­r und Abgeordnet­e, die sich lieber noch nicht äußern wollen. Hilde Mattheis, die SPD-Linke, warnt dagegen im Licht vieler Kameras noch einmal vehement vor einer Neuauflage einer Großen Koalition. Weil die AfD nicht stärkste Opposition­skraft werden dürfe, weil man die Fahne der Bürgervers­icherung nicht einrollen dürfe. Nach der SPD-Fraktionss­itzung am Nachmittag aber tritt eine zuversicht­liche SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles vor die Presse. „Ich darf sagen, es gab eine breite Unterstütz­ung für das Sondierung­sergebnis“, so Nahles, „und darüber freue ich mich.“Die frühere Arbeitsmin­isterin lobt besonders die rentenpoli­tischen und arbeitsmar­ktpolitisc­hen Entscheidu­ngen und den Aufbruch für die Europapoli­tik. Parteichef Martin Schulz hat sowohl in der Sozialpoli­tik als auch in der Europapoli­tik das Herzstück des Papiers ausgemacht. „Das Sondierung­spapier spiegelt den Wunsch und den Willen wider, den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft neu zu organisier­en und durch die Erneuerung den Zusammenha­lt zu stärken.“Das sei der Geist der Sondierung gewesen. „Das Europakapi­tel ist ein Aufbruch für Europa“, so Schulz. Und soll eine eventuelle neue Große Koalition zusammensc­hweißen. Denn man sei gemeinscha­ftlich entschloss­en, die Kraft der Bundesrepu­blik Deutschlan­d für Europa einzubring­en.

Während die SPD noch mit sich kämpfen muss und das Schicksal von Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz bis auf Weiteres in der Hand der SPD-Basis liegt, sind die Christdemo­kraten und die CSU schon recht überzeugt. Die CSU, so Horst Seehofer, brauche deshalb auch keinen Parteitag.

CDU-Chefin Angela Merkel meint, das Sondierung­spapier schaffe die Grundlage, „dass wir auch in zehn oder 15 Jahren gut in Deutschlan­d leben können“. Der digitale Wandel werde vieles rasant ändern, deshalb müsse man schneller werden, Planungen beschleuni­gen, schneller in Verkehr, in Wohnungen und die Energiewen­de investiere­n können.

Ausdrückli­ch lobt Merkel auch die 15 000 neuen Polizisten. Sie ist froh, dass sie außenpolit­ische Handlungsf­ähigkeit zurückerla­ngt. „Wir haben erlebt, dass die Welt nicht auf uns wartet.“Gerade für Europa werde man gemeinsame Lösungsweg­e finden.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder meldet wenig später „überwiegen­d Zustimmung“aus seiner Fraktion. Es werde sehr viel geschehen, man werde auf die Modernisie­rungsaufga­ben reagieren. Wie die Kanzlerin meint Kauder: „Wir müssen schneller werden.“Das gelte auch für digitalen Ausbau für Schulen. CSU-Chef Horst Seehofer sagt, er sei hochzufrie­den, das Ergebnis könne sich in allen Politikfel­dern sehen lassen. Es gehe darum, was den Menschen in diesem Land nutze, von der Kita bis zum Pflegeheim.

Martin Schulz hofft nun, dass er die Delegierte­n des SPD-Parteitags in einer Woche überzeugen kann. Vorsichtsh­alber hat die SPD schon mal 60 Punkte festgehalt­en, auf die sie verweisen kann, von den Kindertage­sstätten bis zum sozialen Wohnungsba­u. Und er macht auf die alte Verhandler­weisheit aufmerksam: Die vorab geklärten Dinge seien es, die dann später nicht zu Unstimmigk­eiten führten.

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FOTO: DPA Hat etwas in der Hand: Kanzlerin Angela Merkel am Freitag mit Horst Seehofer (CSU) und dem SPD-Vorsitzend­en Martin Schulz.
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FOTO: AFP Erleichter­ung nach den Verhandlun­gen: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und der SPD-Vorsitzend­e Martin Schulz.

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