Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein Vater, zwei Söhne, drei Bürgermeis­ter

Viele wollen es nicht, sie schon: Die Söhne des langjährig­en Sigmaringe­ndorfer Schultes haben denselben Weg eingeschla­gen

- Von Corinna Wolber

SIGMARINGE­NDORF - Wenn sich Familie Henne im Elternhaus in Sigmaringe­ndorf zum Sonntagses­sen trifft, sitzen dort ein langjährig­er und zwei amtierende Bürgermeis­ter zusammen am Tisch. Könnte also schon sein, dass es eine gewisse Erblast in der Familie gibt: Das sagt Alois Henne, 68 Jahre alt, bis zum vergangene­n Jahr 37 Jahre lang Bürgermeis­ter von Sigmaringe­ndorf. Sein älterer Sohn Matthias ist als Erster in die Fußstapfen des Vaters getreten; der 35-Jährige ist seit 2014 Bürgermeis­ter in Zwiefalten. Vor ein paar Tagen hat nun auch der 30-jährige Sohn Johannes auf dem Bürgermeis­terstuhl Platz genommen – in Immenstaad am Bodensee.

Hennes leben gegen den Trend. Das Amt des Bürgermeis­ters gehört sicherlich nicht auf die Hitliste der beliebtest­en Berufe – zu heftig das Pensum, zu überzogen die Erwartunge­n, die Verantwort­ung groß. „Und gerade unsere Absolvente­n haben in der Verwaltung nach ein paar Jahren oft schon so Karriere gemacht, dass sie fast das Gehalt erreichen, das ein Bürgermeis­ter verdient.“Das sagt Paul Witt, Rektor der Hochschule für öffentlich­e Verwaltung in Kehl. „Der Reiz, für etwas mehr Geld ungleich mehr zu arbeiten, nimmt da natürlich ab.“Und so haben immer mehr Kommunen ihre liebe Not, geeignete Kandidaten zu finden – das wurde nicht zuletzt im vergangene­n Jahr bei der Bürgermeis­terwahl in Sigmaringe­ndorf deutlich. Am Ende waren alle erleichter­t, mit dem damals erst 29-jährigen Philip Schwaiger wenigstens einen kompetente­n und wählbaren Aspiranten zu haben. Doch in die Erleichter­ung mischte sich Unbehagen, handelt es sich bei Sigmaringe­ndorf schließlic­h um eine attraktive und gut situierte Gemeinde.

„Das ist symptomati­sch“, sagt Klaus Abberger. Der „Bürgermeis­termacher“unterstütz­t Kandidaten im Wahlkampf, schärft ihr Profil, gestaltet ihre Kampagnen, berät und koordinier­t. Für potenziell­e Anwärter gebe es immer mehr Hinderungs­gründe: unattrakti­ve Arbeitszei­ten, kaum mal richtig Feierabend, immer im Fokus der Öffentlich­keit.

Gestiegene Anforderun­gen

Matthias und Johannes Henne haben sich trotzdem für diesen Weg entschiede­n – und das, obwohl sie wohl besser als viele ihrer Kollegen wussten, worauf sie sich einlassen. „Unsere Familie hat Bürgermeis­ter gelebt“, sagt Alois Henne. „Meine Frau und ich sowieso von Anfang an und die Kinder von klein auf. Sie haben das alles mitbekomme­n.“Er habe jeden Termin wahrgenomm­en, „und wenn es ein Geburtstag­sbesuch war“, sagt der 68-Jährige. „Wenn es Heiligaben­d war, dann ging ich eben Heiligaben­d am Vormittag zum Gratuliere­n dorthin.“Samstags, sonntags, feiertags: „Egal, ich hab diese Termine gemacht.“Seine Frau Karin hielt ihm daheim den Rücken frei, kümmerte sich um die Kinder und um alles, was zu Hause anfiel. Dass diese Form der Amtsführun­g heute mit den gestiegene­n Anforderun­gen, einer erheblich auf- geblähtere­n Bürokratie als früher und nicht zuletzt berufstäti­gen Lebenspart­nerinnen nicht mehr in dieser Form möglich ist, wissen Johannes und Matthias Henne. Der Zwiefalter Bürgermeis­ter lässt auch mal etwas aus, geht vielleicht erst montags zum Gratuliere­n oder überlässt die ein oder andere Vereinsver­sammlung den Stellvertr­etern. „Anders ginge es auch gar nicht, das hat natürlich auch mit der Gemeindegr­öße zu tun“, sagt Johannes Henne. „Man muss einen Mittelweg finden.“

Doch gebe es „diesen einen Ansatz, den wir vielleicht alle in uns tragen“, sagt Matthias Henne und fasst ihn mit einem Wort zusammen: mitgestalt­en. „Gott sei Dank sind wir nicht diejenigen, die nur poltern und immer nur das Negative sehen. Das Schöne an diesem Amt, nämlich vielseitig gestalten zu können, überwiegt.“Doch man müsse es schon wollen: „Das sind nicht alles nur angenehme Termine.“

Gemessen am Zeitaufwan­d sei der Stundenloh­n im Übrigen gering, sagt sein Vater – erst recht im Vergleich zu einer Position im Management. „Es gehört natürlich auch ein Stück Idealismus dazu zu sagen ,Ich hab’ Ideen, ich will vorankomme­n mit euch’“, sagt Johannes Henne. Dafür müsse ein Bürgermeis­ter die Menschen auch aktivieren, mehr als früher. „Bei Facebook oder am Stammtisch laut werden, das ist einfach.“ Besser sei es, konstrukti­v mit anzupacken und gemeinsam zu einer Lösung zu kommen. Angst davor, die Balance zwischen Arbeit und Privatem nicht wahren zu können, hat der 30-Jährige nicht. „Mir ist das auch bei uns früher nicht großartig negativ aufgefalle­n“, sagt er. „Wir waren auch beim Fahrradfah­ren, beim Wandern, im Urlaub, haben am Wochenende Ausflüge gemacht.“Wenn man seinen Job vernünftig mache, werde von der Bevölkerun­g auch anerkannt, dass man sich mal seinen privaten Freiraum nimmt – davon ist der junge Bürgermeis­ter überzeugt. „Es wird von außen oft dramatisch­er betrachtet, als es intern eigentlich ist.“

Keine Politik beim Sonntagses­sen

Wenn sich Familie Henne im Elternhaus in Sigmaringe­ndorf zum Sonntagses­sen trifft, geht es in den Gesprächen so gut wie nie um Politik. „Wenn man den ganzen Tag und am Abend vorher noch in der Gemeindera­tssitzung mit Themen der Kommunalpo­litik befasst ist, dann will man das nicht noch mal daheim wiederkäue­n“, sagt Alois Henne. Er schafft es offenbar auch, seinen Söhnen nicht reinzurede­n: „Am Anfang habe ich es vielleicht beim Matthias versucht, aber dann war da ganz schnell zu“, sagt er. „Wenn sie auf mich zukommen und mich brauchen, bin ich da.“Von allgemeine­n Ratschläge­n mal abgesehen, könne man die Details auch sowieso nur vor Ort klären, sagt Johannes Henne. „Und man braucht ja auch neue und eigene Ideen.“

Alois Henne ist froh, „dass die Jungs einen Weg eingeschla­gen haben, der sie erfüllt“, wie er sagt. „Aber ich habe es ihnen nicht eingeredet. Das haben sie von sich aus gemacht.“Geschadet hat der familiäre Hintergrun­d aber sicherlich nicht: „Ich habe das zu Hause das ganze Leben lang mitgekrieg­t“, sagt Johannes Henne. „Ich weiß, wie anspruchsv­oll der Job ist.“Durch seine Ausbildung im gehobenen Verwaltung­sdienst und seinen Job als Kommunalbe­rater, den er in den vergangene­n Jahren hatte, sei er aber eben auch fachlich drin. „Die Mischung macht’s. Man braucht Ideen und Visionen und ein Gespür für die Leute.“

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FOTO: CORINNA WOLBER Nun hat es auch Johannes Henne (links) zum Bürgermeis­ter geschafft wie zuvor Vater Alois und sein Bruder Matthias.
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FOTO: PRIVAT Glückliche Kindheit mit viel beschäftig­tem Vater: 1980 wird Alois Henne Bürgermeis­ter in Sigmaringe­ndorf. Kurz darauf kommen Matthias und Johannes zur Welt – deren Mutter Karin hält ihrem Mann zu Hause den Rücken frei.

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