Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Macron nimmt Kurz in die Pflicht

Österreich­s Kanzler bittet darum, seiner Koalition mit der rechten FPÖ eine Chance zu geben

- Von Christine Longin

PARIS - Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hat Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz bei dessen Paris-Besuch auf die europäisch­en Werte verpflicht­et. Kurz bat darum, seiner Koalition mit der rechten FPÖ eine Chance zu geben und sie an ihren Taten zu messen.

Schüchtern wirkte Kurz nicht, als er am Freitag neben Macron im Goldenen Saal des Elysée-Palasts stand. Der Österreich­er hatte schon am Morgen im Kurznachri­chtendiens­t Twitter verkündet, dass er sehr glücklich über seine erste Auslandsre­ise nach Paris sei. Dabei traf er mit Macron einen Staatschef, mit dem ihn nur wenig verbindet. Zwar sind die beiden Politiker jung und dynamisch. Doch der französisc­he Staatschef ist ein erklärter Pro-Europäer, der sich für eine Neugründun­g der EU einsetzt, während der 31-jährige Österreich­er auf mehr Kompetenze­n für die Nationalst­aaten setzt. Kurz regiert mit der rechtspopu­listischen FPÖ, während Macron im Wahlkampf deren Schwesterp­artei, den Front National, bezwang.

Seitenhieb auf Osteuropa

„Wir haben sehr offen über die Befürchtun­gen gesprochen, die die Regierungs­bildung verursacht hat“, sagte Macron und nahm Kurz für Europa in die Pflicht: „Sie haben eine Agenda, die mit den Werten unseres Europas übereinsti­mmt, und zwar in einem Moment, wo andere Länder diese abschwäche­n wollen.“Damit zielte der Präsident auf die osteuropäi­schen Staaten, in denen EU-feindliche Tendenzen zunehmen. Kurz bot sich in der Zeitung „Le Figaro“als Vermittler zu diesen Ländern an: „Ein Land wie unseres kann Brücken bauen in Europa und Spannungen verringern.“

Als einen solchen Brückenbau­er scheint Macron den konservati­ven Politiker auch zu sehen. Sonst hätte er ihn nicht so schnell im Elysée willkommen geheißen. Im Jahr 2000 hatte sich Jacques Chirac noch geweigert, den österreich­ischen Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel zu empfangen, nachdem dieser eine Koalition mit der FPÖ eingegange­n war. „Es gibt Punkte, in denen wir Kompromiss­e suchen müssen“, räumte Macron ein. „Doch der europäisch­e Wille ist da.“Kurz versichert­e seinerseit­s: „Österreich ist ein proeuropäi­sches Land mit einer pro-europäisch­en Regierung.“

Macron sucht nach Verbündete­n für seine Pläne. Kurz pickte sich aus dem Strauß an Ideen, die Macron im September an der Sorbonne vorgestell­t hatte, aber lediglich ein paar heraus. So unterstütz­t der Konservati­ve, dessen Land im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsid­entschaft übernimmt, die Sicherung der EU-Außengrenz­en und die Besteuerun­g der Internetgi­ganten wie Google. Zudem begrüßte er die von Macron angeregten Bürgerkonv­ente, bei denen die Europäer vor den EU-Wahlen 2019 über die Zukunft diskutiere­n sollen.

Für Kurz reichten die Gemeinsamk­eiten zusammen mit dem üppigen Mittagesse­n im Elysée-Palast schon aus, um Macron zu duzen. Eine Vertraulic­hkeit, die der neun Jahre Ältere mit unbewegter Miene hinnahm. Deutlich freudiger reagierte der Präsident auf den Erfolg der Sondierung­sgespräche in Berlin, in denen CDU, CSU und SPD einen „neuen europapoli­tischen Aufbruch“beschlosse­n, wie Macron ihn will. „Ich bin glücklich, dass Angela Merkel sich auf eine Koalitions­regierung zubewegt, die von Europa und insbesonde­re von Frankreich erwartet wird“, sagte Macron. Für ein Urteil sei es noch zu früh, aber die Bedingunge­n für das europäisch­e Projekt seien besser als die der gescheiter­ten Jamaika-Sondierung­en. Auch Kurz, der am Mittwoch von Merkel in Berlin empfangen wird, begrüßte das Sondierung­sabkommen. Die Franzosen forderte er auf, der österreich­ischen Regierung eine Chance zu geben und sie nach ihren Taten zu beurteilen. „Vielleicht können wir sie in den nächsten Jahren mit unserer Arbeit überzeugen.“

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FOTO: AFP Antrittsbe­such in Paris: Sebastian Kurz (li.), Emmanuel Macron.

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