Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Politik und organisier­te Kriminalit­ät sind in Bulgarien vernetzt

- Von Rudolf Gruber, Wien

In Bulgarien, das bis Mitte 2018 erstmals den sechsmonat­igen Vorsitz in der Europäisch­en Union innehat, wurde im Parlament ein von Staatschef Rumen Radew zurückgewi­esenes Antikorrup­tionsgeset­z unveränder­t erneut verabschie­det. Der Präsident hatte gegen das Ende 2017 gebilligte Gesetz sein Veto eingelegt, da es nicht effektiv gegen Korruption sei. Mit dem Gesetz soll eine Superbehör­de geschaffen werden, die mehrere Ämter im Kampf gegen die Korruption vereinigt.

Bulgarien gilt in vielen Bereichen als EU-Musterschü­ler – allerdings überschatt­en politisch motivierte Morde dieses Bild. Die Regierunge­n versagten bislang in der Korruption­sbekämpfun­g. Laut offizielle­n Angaben gab es im letzten Jahr vier Auftragsmo­rde in Bulgarien. Erst Mitte Dezember wurde Ivo Stamenov, ein hochrangig­er Steuerfahn­der, auf offener Straße in Sofia angeschoss­en. Stamenov, der seither in Lebensgefa­hr schwebt, leitete eine Abteilung, die Steuerbetr­üger im Schmuggler­milieu verfolgte. Diese Woche wurde der Geschäftsm­ann Petar Hristow, der der bürgerlich­en Regierungs­partei Gerb nahesteht, vor seinem Büro in Sofia erschossen – laut Medienberi­chten ein Rachemord, denn der 49Jährige, der an über 50 Firmen vorwiegend der Baubranche und des Tourismus beteiligt war, hatte durch seine Kooperatio­n mit der Polizei wesentlich zur Verhaftung von 25 Mitglieder­n einer mächtigen Unterweltb­ande beigetrage­n.

Die Bulgaren leben mit dem Wissen, dass die Politik eng mit der organisier­ten Kriminalit­ät vernetzt ist, seit der demokratis­chen Wende 1989. Seither gab es mindestens 150 Auftragsmo­rde, aufgeklärt wurden höchstens fünf. Kein einziger Politiker, der mit dem organisier­ten Verbrecher­tum gemeinsame Sache macht, ist je vor Gericht gestanden. Der Rechtsstaa­t in Bulgarien hat sich kaum weiterentw­ickelt. Auf eine Justizrefo­rm, Dutzende Male von der EU angemahnt, wartet das Land seit dem Beitritt 2007.

Demonstrat­ion gegen Korruption

Lilyana Pavlova, die zuständige Ministerin für den EU-Ratsvorsit­z, beklagte die „negative Kampagne ausländisc­her Medien“, sprach aber auch von einer „Chance, unser Image zu ändern“. Die Bulgaren scheinen nicht so recht daran zu glauben: Tausende Demonstran­ten gingen am Freitag wieder auf die Straße, um Ministerpr­äsident Boiko Borissow an sein Versagen im Kampf gegen die Korruption zu erinnern. „Bürger gegen die Mafia“, stand auf Transparen­ten zu lesen – gemeint war damit nicht nur die Unterwelt, auch das von ihr unterwande­rte politische System. Die Bulgaren wundert es nicht, dass sie nach zehn Jahren Mitgliedsc­haft noch immer im ärmsten Land der EU leben. Und dies trotz boomender Wirtschaft, die im letzten Jahr mit fast vier Prozent Wachstum eine der höchsten Raten der Gemeinscha­ft erzielte.

Bulgarien ist – anders als die Visegrad-Staaten Polen und Ungarn – ein loyales Mitgliedsl­and, die bürgerlich­e Regierung Borissow proeuropäi­sch. Zudem ist Bulgarien wegen seiner Außengrenz­e für Brüssel ein wichtiger Partner in der Migrations­politik mit der Türkei. In der Fürsprache für die Balkanregi­on verfolgt die Regierung in Sofia hauptsächl­ich wirtschaft­liche Interessen, ihr politische­r Einfluss dort ist eher gering.

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