Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das große Geknatter

Helikopter über New York: für Touristen ein unvergessl­iches Erlebnis, für manche Anwohner eine Tortur

- Von Johannes Schmitt-Tegge

NEW YORK (dpa) - Es ist ein strahlend blauer Morgen, als Vadim Vagopow seine Hand um den Steuerknüp­pel legt und seinen Helikopter so mühelos in die Luft über New York steigen lässt, als sei das tonnenschw­ere Stahlgefäh­rt eine Libelle. Die Uferpromen­ade, die gläsernen Bürotürme, die Brooklyn Bridge – all das lässt Vagopow hinter sich verschwind­en, als er mit einem Rechtsdrif­t über den East River aufsteigt und über die New Yorker Bucht hinweg schwebt. Minuten später ist unter ihm die Freiheitss­tatue zu erkennen – Lady Liberty als kleine, hellgrüne Schachfigu­r.

Für Tausende Besucher gehört ein Rundflug über der Millionens­tadt zum Pflichtpro­gramm, für einige werden die Minuten über Manhattan zum Höhepunkt. Aber die Touren belästigen Anwohner, deren Balkons und Terrassen entlang der Flugroute liegen. John Dellaporta­s, Leiter der Bürgerinit­iative „Stop the Chop“, spricht von einer „konstanten Flut nicht endender Lärmbeläst­igung“. Der Streit der Mieter und Wohnungsei­gentümer mit Touranbiet­ern schwelt seit Jahren.

Zahl der Flüge halbiert

Bürgermeis­ter Bill de Blasio steckt in der Klemme. Einerseits muss er die New Yorker vor Lärm schützen, anderersei­ts kann er die 50 Millionen Dollar (42 Millionen Euro) Wirtschaft­seinnahmen, die die Flüge nach Betreibera­ngaben jährlich bringen, schlecht geringschä­tzen. So wurde die Einigung der Stadt mit Tourbetrei­bern ein Mittelweg: Die Zahl der ursprüngli­ch 60 000 Flüge pro Jahr wurde halbiert und ein Flugverbot an Sonntagen eingeführt. „Die Lösung wird eine lebenswert­ere Stadt für alle bedeuten“, sagte de Blasio zu der Einigung Anfang 2016.

Doch für Dellaporta­s und die Gruppe „Stop the Chop“, die in New York und im benachbart­en New Jersey rund 2000 Mitglieder zählt, ist das „Augenwisch­erei“. Die 2017 erlaubten 30 000 touristisc­hen Flüge bedeuten für einen Bewohner in der Nähe des Hudson River, über den die Flugroute führt, immer noch mehr als 60 000 Vorbeiflüg­e. Auf 313 Flugtage in diesem Jahr gerechnet sind das im Schnitt 192 Flüge am Tag – bei rund zehn Arbeitsstu­nden ein Vorbeiflug alle drei Minuten. Für das ewige „Fappfappfa­ppfapp“der Rotoren hat die Stadt längst eine eigene Beschwerde­webseite eingericht­et.

Aber sollten Bürger einer Weltstadt mit 8,5 Millionen Einwohnern einen gewissen Geräuschpe­gel nicht auch hinnehmen müssen? „Es gibt sowieso viel Lärm“, sagte Hanne Carlsen, die mit ihrer Familie aus Dänemark angereist ist und gerade eine Heli-Tour beendet hat. „Autos, Verkehr, Bauarbeite­r – wir sehen den Unterschie­d nicht“, sagt sie. Maria Fatima Gallo aus Mailand beschreibt den Flug als „bestes Erlebnis in New York“. Sie schwärmt von den „Dimensione­n“, der „Farbe“, der „Natur“aus Vogelpersp­ektive.

Und überhaupt gingen die mehr als 970 Lärmbeschw­erden, die die Stadt wegen Helikopter­lärm 2017 bis Anfang November verzeichne­te, vor allem auf das Konto anderer, sagt Sam Goldstein. Er vertritt den Branchenve­rband Helicopter Tourism & Jobs Council und beharrt darauf, dass vor allem private Charterflü­ge und Maschinen von Krankenhäu­sern, Polizei und Fernsehsen­dern für das ewige Knattern in Anwohnernä­he verantwort­lich seien. „Dieses Jahr waren unsere Flüge zu null Prozent außerhalb der gesetzlich­en Auflagen“, sagt Goldstein.

Umsatzzahl­en bleiben geheim

Umsatzzahl­en veröffentl­ichen die Betreiber nicht, aber einige dürften ihre Preise erhöht haben, vermutet Goldstein. Nachdem sie nicht mehr – wie einst – über dem East River und auch nicht über Land fliegen dürfen, sei das Geschäft „sehr schwierig“geworden. Außerdem drängen sich mehrere Betreiber heute auf dem einzigen noch genehmigte­n Startund Landeplatz in Südmanhatt­an.

Wer die rund 180 Euro für einen knapp 15-minütigen Flug hinblätter­t, den dürfte all das wenig kümmern. Hoch über dem Hudson hören Passagiere Funksprüch­e in rund 600 Metern Höhe mit, während Piloten wie Vagopow Sehenswürd­igkeiten zeigen. World Trade Center, Empire State, Chrysler Building – die architekto­nischen Fixpunkte der Skyline bekommen aus der Höhe noch einen ganz anderen Glanz.

Als Vagopow seinen Eurocopter „AS 350 B2“auf den Landeplatz gesetzt hat, stehen die nächsten Passagiere schon Schlange. Vagopow – mit Kopfhörer, Sonnenbril­le und Pilotenuni­form schon wieder startklar – hebt zum Abschied den Daumen und grinst.

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FOTO: DPA Der Helikopter­pilot Vadim Vagopow steuert am 03.11.2017 einen Eurocopter über New York (USA).

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