Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
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DAK meldet in ihrem Gesundheitsreport besorgniserregende Zahlen zu Schlafstörungen im Land – Schlaflabor in Fachkliniken Wangen
WANGEN - Wer kennt es nicht? Der Wecker klingelt früh morgens, und obwohl genug Zeit im Schlaf verbracht wurde, fühlt man sich wie gerädert. Fakt ist: Viel zu viele Arbeitnehmer in Baden-Württemberg kennen genau diese Situation oder wesentlich schlimmere, wie aus dem jüngsten Gesundheitsbericht der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) hervorgeht.
Im Schlaflabor in den Fachkliniken Wangen werden viele solcher Fälle behandelt. Leiterin Dr. Bettina Müller kennt sich dementsprechend mit dem Thema aus. Hauptsächlich werden Patienten mit Atemstörungen im Schlaf in Wangen behandelt. In der ersten Nacht werden die Patienten verkabelt und in der Kommandozentrale des Labors überwacht. Jeder Rechner steht für einen Patienten. Alles Mögliche kann man an den dortigen Messströmen ablesen. Augenbewegungen, Atembewegungen des Brustkorbs und des Bauchs, Gehirnströme, Atemverlauf, und und und.
Alle 45 Sekunden wach
Bettina Müller deutet auf eine ausschlagende Kurve, die danach sofort still liegt. „Sehen sie? Dieser Patient hat gerade geschnarcht und danach folgt der Atemaussetzer“, erklärt die Ärztin. Das Gefährliche sei nicht das Schnarchen, sondern die folgenden Aussetzer. Dann deutet sie auf eine weitere Linie. Sie springt während der Atempause schlagartig nach oben. „Das sind die Gehirnströme, da können wir sehen, dass der Patient gerade von seinem Gehirn geweckt worden ist.“Die Prozedur wiederholt sich immer wieder. Auf die Frage nach der Zeitspanne kommt die erstaunliche Antwort: „Im Prinzip ist dieser Patient alle 45 Sekunden wach.“
Davon bemerke er aber nicht wirklich etwas. Nur sei er eben am nächsten Morgen nicht erholt, denn wirklich geschlafen habe er nicht, so Müller. Allerdings gebe es nach ihrer Erfahrung einen Unterschied in der Wahrnehmung bei Männern und Frauen. „Während Männer häufig behaupten, die ganze Nacht durchgeschlafen zu haben, sagen Frauen, die ganze Nacht über wach gewesen zu sein.“
Die Betroffenheitsrate für Arbeitnehmer im Alter von 35 bis 65, die unter leichten bis schweren Schlafstörungen leiden, haben sich laut DAK seit 2009 fast verdoppelt. Vor acht Jahren wurden in deren Gesundheitsreport entsprechende Arbeitnehmer gefragt, ob sie in den vorangegangenen vier Wochen unter Ein- beziehungsweise Durchschlafproblemen gelitten hätten. 48 Prozent mussten die Frage bejahen. 2016 wurde die Frage erneut gestellt. Diesmal antworteten bereits 80 Prozent mit „Ja“.
Eine eindeutige Ursache für den rasanten Anstieg ist schwierig festzulegen, da verschiedenste psychologische wie körperliche Gründe vorliegen könnten. Eine Hauptursache können die Experten der DAK jedoch genau benennen: zu viel Licht. Und zwar das von Computern, Smartphones und Laptops, die mit ins Bett genommen werden.
Problematische Gewohnheiten
80 Prozent der Befragten gaben an, vor dem Einschlafen noch Filme oder Serien zu schauen. 60 Prozent benutzen vor dem Einschlafen Laptops oder Smartphones für private Angelegenheiten. Studien der Charité in Berlin und anderer Institute zeigen, dass gerade das blaue Licht der Displays die Ausschüttung des Hormons Melatonin teilweise drastisch hemmt. Melatonin regelt den Schlafrhythmus des Körpers und wird bei Dunkelheit ausgeschüttet.
Michael Lenz von der DAK findet einen passenden Vergleich: „Viele Menschen haben nachts das Smartphone an der Steckdose, können aber ihre eigenen Akkus nicht mehr aufladen.“Er war selbst im Schlaflabor in Wangen wegen nächtlicher Atemaussetzer in Behandlung, und das Schwerpunktthema seines Arbeitgebers liegt ihm dementsprechend am Herzen.
Gefährlicher Sekundenschlaf
Unter den Erwerbstätigen im Alter von 18 bis 65 Jahren in Baden-Württemberg leiden laut DAK immer noch 34 Prozent dreimal oder mehr in der Woche unter Ein- oder Durchschlafstörungen. Davon wiederum schlafen neun Prozent so schlecht, dass sie am Tage beeinträchtigt sind. Also unter dauerhafter Müdigkeit oder Erschöpfung leiden. Erst dann spricht man von Insomnien. Die Zahl der Betroffenen hat sich seit 2009 ebenfalls enorm gesteigert. Mittlerweile ist jeder elfte Arbeitnehmer in BadenWürttemberg betroffen.
Man könnte meinen, der menschliche Körper würde sich irgendwann seinen Schlaf holen, und dann ist „Schicht im Schacht“. Ganz so ist es aber nicht, erklärt Bettina Müller: „Solange man auf den Beinen ist und etwas zu tun hat, bleibt der Körper wach.“Irgendwann allerdings setze der Sekundenschlaf ein und das könne schlimme Folgen haben. Jährliche Studien zeigen, dass circa ein Viertel aller tödlichen Unfälle auf der Autobahn durch Sekundenschlaf verursacht wird.
„Es wird das Radio aufgedreht oder das Fenster runter gemacht, um fit zu bleiben und dann wachen viele plötzlich im Kofferraum des Vordermanns auf“, verweist Müller auf die Gefahr. Im letzten Jahr sei sogar ein Patient auf dem Weg ins Schlaflabor am Steuer weggenickt und im Graben gelandet. Glücklicherweise sei er unverletzt geblieben.
Kurioserweise gehen trotz der hohen Betroffenheitsrate nur die wenigsten mit ihren Schlafproblemen zum Arzt. Nur 3,6 Prozent der Versicherten mit Schlafproblemen waren laut DAK 2016 deswegen in Behandlung. Zehn Prozent der Befragten Insomniker geben demnach an, gar nicht gewusst zu haben, dass ihnen beim Arzt geholfen werden kann. Und rund ein Drittel sagt, dass sie ihre Schlafstörungen nie als dermaßen schwerwiegend erachtet hätten. „Müdigkeit tut eben nicht weh und außerdem wird sie schnell als Normalzustand empfunden“, erklärt Müller. Wer den ganzen Tag arbeitet, ist eben abends müde, sei die häufige Schlussfolgerung.
Dieses Empfinden hatte auch Dieter Friesewinkel. Einer der Männer, die bei Müller wegen nächtlichen Atembeschwerden in Behandlung sind. „Das merkt man nicht. Ich habe die Anstrengungen als normal empfunden und sobald ich mich hingesetzt habe, wurde ich schlagartig müde und habe kalte Füße bekommen“, erzählt er. Nach der ersten Nacht im Schlaflabor mit einer Atemmaske, habe er sofort eine Verbesserung gemerkt. „Fantastisch“nennt er den Fortschritt.
Im Gegensatz zu vielen der anderen Männer, die vor der Leiterin des Schlaflabors sitzen und ihrem Vortrag lauschen, wirkt er ausgeruht. Frauen sind nicht anwesend. Die Männer sind alle jenseits der vierzig, haben meist einen leichten Bauchansatz und wirken wenig überraschend schwer müde. Für sie sind viele der Informationen über die Folgen von Schlaflosigkeit, die ihnen erklärt werden, neu.
Sie sind so vielfältig wie schwerwiegend. Bettina Müller erläutert: „Im Schlaf wird, neben der Regeneration des Körpers, Gedächtnis gemacht. Das, was man tagsüber im Kurzzeitgedächtnis gelernt hat, wird im Schlaf im Langzeitgedächtnis gespeichert, falls das Gehirn es als wichtig erachtet.“Das Gedächtnis leidet also darunter, wenn der Schlaf schlecht oder nicht vorhanden ist.
Gravierende Folgen für Kinder
Das sei auch schon bei Kindern so. „Das sind dann häufig die, die unter ADHS leiden, weil sie im Gegensatz zu Erwachsenen nicht müde, sondern aufgedreht sind“, so Müller. Schlimm sei es für Kinder auch, wenn die Ausschüttung der Wachstumshormone gestört ist. Ein Vorgang, der ebenfalls im Schlaf passiere. „Wir hatten hier das Beispiel eines sechsjährigen Mädchens, das für ihr Alter zu klein war. Sie hatte Schlafprobleme aufgrund von Atemstörungen. Nach der hiesigen Atemtherapie ist sie im folgenden halben Jahr 17 Zentimeter gewachsen“, schildert die Ärztin den Fall.
Höhere Anfälligkeit für Demenz
Bei Erwachsenen nimmt die kognitive Leistung ab, weil die graue und weiße Hirnsubstanz reduziert wird. Dort sitzt das zentrale Nervensystem. Insomniker sind dadurch auch gefährdeter an Demenz zu erkranken als der Durchschnitt. Genauso wie bei ihnen Herzkrankheiten häufiger vorkommen, da sie auch im Schlaf mit höherem Blutdruck umgehen müssen, als entspannte Schläfer. „Das Herz wird auf lange Sicht dicker, denn es trainiert dann wie ein Bodybuilder“, verdeutlicht Müller. Wer unter Atemaussetzern während des Schlafs leide, laufe sogar Gefahr, an Diabetes zu erkranken. Denn das Gehirn signalisiere dem Körper, sich in einer Gefahrenzone zu befinden, sobald dieser nicht atme. Daraufhin werde alles für eine Fluchtreaktion vorbereitet. „Der Blutzucker steigt, weil die Muskulatur Energie braucht, um weglaufen zu können. Der Schlafende läuft aber gar nicht, also setzt der Körper Insulin frei, um den Blutzuckerspiegel auszugleichen,“doziert Müller.
Der Zucker wandere von der Blutlaufbahn in die Zellen. Passiert das aber jede Minute, können die Zellen irgendwann nichts mehr aufnehmen. Noch mehr Insulin werde ausgeschüttet. Das funktioniere auf lange Sicht aber auch nicht mehr. „Dann ist der Blutzuckerspiegel hoch. Es ist zwar genug Insulin da, aber es kann nirgendwo mehr andocken. Das ist Diabetes Typ 2“, so Müller weiter.
Wichtig: Tag bewusst abschließen
Dann ist der Vortrag beendet und die meisten Patienten schlurfen aus dem Raum. Manchmal würden ihre Patienten während des Vortrags einschlafen, aber das nehme sie natürlich nicht persönlich, erzählt die Leiterin des Schlaflabors. Klaus Conrad bleibt sitzen, er hat noch Redebedarf. „Ich bin überzeugt, dass ich mit meinem neuen Wissen Anzeichen bei meinem Sohn und meiner Frau für Schlafprobleme sehe“, sagt er.
Schlafprobleme durch Atemstörungen können im Wangener Schlaflabor mit Hilfe einer dauerhaften Schlaf/Atemmaske schnell behoben werden. Andere Ursachen sind schwieriger zu bekämpfen. „Entspannungsübungen können helfen“, sagt Müller. Die müsse man dann aber auch schon in den Tagesablauf integrieren und nicht erst vor dem Schlafengehen. „Vereinfacht gesagt, ist es wichtig, den Tag bewusst abzuschließen, um abschalten zu können.“
Die DAK hat seit kurzem eine Hotline für Betroffene und Interessierte eingerichtet. Sie ist telefonisch erreichbar unter:
040 /325 32 58 05