Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Rapperin, die nicht berühmt sein will

Die Hamburgeri­n Haiyti zieht auf „Montenegro Zero“konsequent ihr Ding durch

- Von Antje Wessels

Eigentlich heißt sie Ronja Zschoche, sie wuchs in prekären Verhältnis­sen in den Hamburger Stadtteile­n St. Pauli und Langenhorn auf und studiert Kunst an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Nebenbei rappt sie – und das unter dem Pseudonym Haiyti mittlerwei­le sogar so erfolgreic­h, dass sowohl Kenner der Branche als auch Hater Notiz von ihr nehmen. Mit „Montenegro Zero“erscheint ihr zweiter Longplayer – doch berühmt werden will sie damit nicht.

Auf Facebook zählt sie auch „nur“rund 25 000 Fans. Und so kokettiert sie im Eröffnungs­song ihres neuen Albums, dem zweiten nach dem von ihr selbst produziert­en Flop „Havarie“, selbstbewu­sst mit ihrer Nichtberüh­mtheit: „Ich hab 100 000 Fans, die mich noch nicht kennen“, heißt es darin. Auf die Frage, wie wichtig eine möglichst große Hörerschaf­t ist, überrascht Haiyti mit einer Zurückhalt­ung, die fast deplatzier­t wirkt: „Ich will immer nicht, dass die Leute meine Musik hören. Ich will eigentlich nur die ganzen Ideen rausschmei­ßen und dann weitermach­en. Das ist eigentlich mega-egoistisch, und ich will auch nicht unbedingt den Leuten gefallen.“

Dass sie mit ihrem Mix aus HipHop, Rap, Pop und viel, viel Autotune vor allem polarisier­t, zeigt ein Blick in die sozialen Netzwerke. Unter ihrem Musikvideo zu „Mafioso“, dem vierten Track auf „Montenegro Zero“, findet man mehr Beleidigun­gen als Lob, die ihr und der Produktion­sfirma Universal Music „FameGeilhe­it“und noch wesentlich deftigere Dinge vorwerfen. Falsch liegen die Kritiker damit allerdings nicht nur deshalb, weil der Song in seiner augenzwink­ernden Art, auf die bemühte Prolligkei­t des Gangsterra­p zu blicken, zu den Highlights des Albums gehört. Sondern auch, weil „Fame“das Letzte ist, worum es der unkonventi­onellen Künstlerin geht. Haiyti träumt nach eigenen Angaben nicht von einer Goldenen Schallplat­te, nicht von ausverkauf­ten Stadien, sondern von Ferien: „Ich bräuchte mal Urlaub, dann will ich mal die Welt sehen. Ich war noch nie in Amerika – alle anderen Leute, die ich kenne, waren da schon mal, nur ich nicht. So richtig laufen tut es für mich auch erst, wenn man glücklich ist. Erst dann würde ich sagen, ich hab’s geschafft!“

Ohne Kalkül

Doch zwischen ihr und dem Gefühl, es „geschafft“zu haben, stehen neben „100 000 Fans“und „Mafioso“noch zehn weitere Tracks auf „Montenegro Zero“, deren Bandbreite von der smoothen Popnummer („Serienmode­l“) bis hin zur aggressive­n RapAbrechn­ung („Bitches“) reicht. Doch anders als ihre um Provokatio­n bemühten Kollegen erweckt Haiyti niemals den Eindruck, hinter ihren Nummern würde so etwas wie Kalkül stecken. Stattdesse­n bringt die ihr Alter konsequent verheimlic­hende Hamburgeri­n schlichtwe­g zu Papier, was ihr in den Sinn kommt: „Manchmal habe ich Angst, dass ich Leuten mit meiner Musik verbal wehtue.“

Dass sich Haiyti auf der anderen Seite aber auch sehr zurücknehm­en kann, beweist sie indes mit „Haubi“, Titel Nummer 10 auf ihrem neuen Album und eine Art komprimier­te Version von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Darin rappt sie davon, „vieles schon gesehen“zu haben, es „trotzdem keinem zu wünschen“, und schildert dann ihre Eindrücke vom Leben am Hamburger Hauptbahnh­of, aus dem man „nicht mehr herauskomm­t“.

Verstecken kann sich Haiyti schon lange nicht mehr, auch wenn sich die Musikerin in der Öffentlich­keit so unscheinba­r bewegt, dass man die zierliche, knapp 1,60 Meter große junge Frau glatt übersehen könnte – hätte sie nicht so viel zu sagen. Haiyti ist nicht kontrollie­rbar. Dazu passt auch, dass sie bislang so ziemlich alles in Eigenregie erledigte: vom Schreiben der Video-Drehbücher über die Auswahl der Kameramänn­er bis hin zur Produktion ihres ersten Albums „Havarie“.

Ein wenig verplant wirken dagegen die restlichen Songs auf „Montenegro Zero“. Da drängen sich romantisch­e Lyrics wie „Was soll ich mit allem Gold der Welt? Ich will nur ein bisschen Zeit mit dir!“(„Gold“) zwischen Drogen-Glorifizie­rungen in „Berghain“oder zusammenha­nglose Satzfetzen in „Kate Moss“, dem Schwachpun­kt des Albums, so ganz ohne hörbares Konzept, geschweige denn nachvollzi­ehbaren Text. Doch vielleicht ist „Kate Moss“dadurch auch genau der Song, der das Wesen Haiytis am besten einfängt.

Live: 4.2. Stuttgart, Im Wizemann; 9.2. München, Feierwerk.

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FOTO: DPA Nach „Havarie“gibt es jetzt mit dem zweiten Album Nachschub von Haiyti.

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