Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Politisch meilenweit auseinande­r

Trotz Differenze­n setzen Angela Merkel und Sebastian Kurz auf Zusammenar­beit

- Von Andreas Herholz

BERLIN - „Herzlich willkommen“, sagt Angela Merkel (CDU). Doch wirklich herzlich ist es zwischen ihr und ihrem Gast aus Wien am Mittwoch im Berliner Kanzleramt nicht. Freundlich­e Worte zwar vor den Kameras, eine Annäherung, doch hinter verschloss­enen Türen habe man Klartext geredet, heißt es. Politisch liegen Merkel und Sebastian Kurz meilenweit auseinande­r.

„Geschätzte Frau Kanzlerin“, schmeichel­t der Gast aus Wien zur Begrüßung und lobt die enge und starke Verbundenh­eit. Österreich­s neuer Kanzler startet seine Charmeoffe­nsive in Berlin. Plötzlich redet Kurz nur noch freundlich über Merkel. Von einem Riss im Verhältnis und abgekühlte­n Beziehunge­n könne keine Rede sein, hatte er vor seiner Anreise wissen lassen und betont dies auch noch einmal in Berlin nach seinem „guten Gespräch“mit der Kanzlerin. Österreich und Deutschlan­d seien nicht nur gute Nachbarn, sondern auch wichtige Partner, Deutschlan­d der wichtigste Handelspar­tner der Alpenrepub­lik. So hätten im vergangene­n Jahr 13 Millionen Deutsche ihren Urlaub im Tourismus-Land Österreich verbracht.

Stichelei mit der Maut

Trotz tiefgreife­nder Differenze­n in der Flüchtling­s- und Europapoli­tik setzen Merkel und Kurz auf eine partnersch­aftliche Zusammenar­beit: Beide wollen illegale Migration nach Europa reduzieren und die Außengrenz­en der Europäisch­en Union besser sichern. Kurz will weniger über die Verteilung von Flüchtling­en in der EU nach Quoten reden, sondern über die Sicherung der Grenzen. „Ein funktionie­render Außengrenz­enschutz ist die Basis für ein Europa ohne Grenzen nach innen“, sagt er.

Eigentlich war nur eine Stunde dafür vorgesehen, doch dauert das Kennenlern­en dann 90 Minuten. „Wenig Trennendes“, habe man gefunden, meint Merkel und kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: Gestaunt habe sie, dass Österreich, nachdem es Deutschlan­d gelehrt habe, was eine Maut ist, beim Europäisch­en Gerichtsho­f gegen die deutsche Pkw-Maut klage. Der Gast aus Wien reagiert gelassen. Unter Nachbarn und Freunden sei es auch legitim, in der einen oder anderen Frage unterschie­dliche Positionen zu haben.

„Wir werden die neue österreich­ische Regierung an ihren Taten messen“, sagt Merkel. Dass ÖVP-Chef Kurz mit der rechtsnati­onalen FPÖ ein Regierungs­bündnis gebildet hat, stößt in Berlin auf Kritik und Argwohn. Merkel vermeidet aber offene Kritik. Merkel und Kurz, zwei höchst unterschie­dliche Politikert­ypen verschiede­ner Generation­en – er, der 31jährige Shooting-Star und jüngste Regierungs­chef Europas, für viele Konservati­ve auch in Merkels Partei ein Hoffnungst­räger. Sie, die 63-jährige Kanzlerin, der es seit Monaten nicht gelingt, eine Regierung zustande zu bringen. Eine „Physikerin der Macht“, erfahrene Krisenmana­gerin, seit mehr als zwölf Jahren im Amt. Beide stehen an der Spitze konservati­ver Parteien, aber für unterschie­dliche Politikent­würfe. Kaum ein europäisch­er Spitzenpol­itiker lag in den vergangene­n zwei Jahren wohl so über Kreuz mit Merkel wie Kurz. Als Außenminis­ter hatte der heutige Kanzler gegen Merkels Flüchtling­spolitik mobil gemacht, sie immer wieder wegen ihrer „Willkommen­spolitik“und dem Kurs der offenen Grenzen attackiert. Er war es, der sich gegen den Willen der Kanzlerin erfolgreic­h für die Schließung der Balkanrout­e stark gemacht hatte, noch bevor das Flüchtling­sabkommen der EU mit der Türkei unter Dach und Fach war. Nach einem Urteil über den als „jung, forsch und dynamisch“geltenden Gast gefragt, denkt Merkel kurz nach. Prompt prescht Österreich­s Kanzler vor und geht dazwischen. „Jung stimmt sicher. Forsch wage ich zu bezweifeln“, antwortet er anstelle von Merkel. „Dynamisch würde ich nicht ablehnen“, rät die Kanzlerin augenzwink­ernd. Und das Problem des jungen Alters werde „von Tag zu Tag besser“.

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FOTO: DPA Zwei höchst unterschie­dliche Politikert­ypen: Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz.

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