Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Politisch meilenweit auseinander
Trotz Differenzen setzen Angela Merkel und Sebastian Kurz auf Zusammenarbeit
BERLIN - „Herzlich willkommen“, sagt Angela Merkel (CDU). Doch wirklich herzlich ist es zwischen ihr und ihrem Gast aus Wien am Mittwoch im Berliner Kanzleramt nicht. Freundliche Worte zwar vor den Kameras, eine Annäherung, doch hinter verschlossenen Türen habe man Klartext geredet, heißt es. Politisch liegen Merkel und Sebastian Kurz meilenweit auseinander.
„Geschätzte Frau Kanzlerin“, schmeichelt der Gast aus Wien zur Begrüßung und lobt die enge und starke Verbundenheit. Österreichs neuer Kanzler startet seine Charmeoffensive in Berlin. Plötzlich redet Kurz nur noch freundlich über Merkel. Von einem Riss im Verhältnis und abgekühlten Beziehungen könne keine Rede sein, hatte er vor seiner Anreise wissen lassen und betont dies auch noch einmal in Berlin nach seinem „guten Gespräch“mit der Kanzlerin. Österreich und Deutschland seien nicht nur gute Nachbarn, sondern auch wichtige Partner, Deutschland der wichtigste Handelspartner der Alpenrepublik. So hätten im vergangenen Jahr 13 Millionen Deutsche ihren Urlaub im Tourismus-Land Österreich verbracht.
Stichelei mit der Maut
Trotz tiefgreifender Differenzen in der Flüchtlings- und Europapolitik setzen Merkel und Kurz auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit: Beide wollen illegale Migration nach Europa reduzieren und die Außengrenzen der Europäischen Union besser sichern. Kurz will weniger über die Verteilung von Flüchtlingen in der EU nach Quoten reden, sondern über die Sicherung der Grenzen. „Ein funktionierender Außengrenzenschutz ist die Basis für ein Europa ohne Grenzen nach innen“, sagt er.
Eigentlich war nur eine Stunde dafür vorgesehen, doch dauert das Kennenlernen dann 90 Minuten. „Wenig Trennendes“, habe man gefunden, meint Merkel und kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: Gestaunt habe sie, dass Österreich, nachdem es Deutschland gelehrt habe, was eine Maut ist, beim Europäischen Gerichtshof gegen die deutsche Pkw-Maut klage. Der Gast aus Wien reagiert gelassen. Unter Nachbarn und Freunden sei es auch legitim, in der einen oder anderen Frage unterschiedliche Positionen zu haben.
„Wir werden die neue österreichische Regierung an ihren Taten messen“, sagt Merkel. Dass ÖVP-Chef Kurz mit der rechtsnationalen FPÖ ein Regierungsbündnis gebildet hat, stößt in Berlin auf Kritik und Argwohn. Merkel vermeidet aber offene Kritik. Merkel und Kurz, zwei höchst unterschiedliche Politikertypen verschiedener Generationen – er, der 31jährige Shooting-Star und jüngste Regierungschef Europas, für viele Konservative auch in Merkels Partei ein Hoffnungsträger. Sie, die 63-jährige Kanzlerin, der es seit Monaten nicht gelingt, eine Regierung zustande zu bringen. Eine „Physikerin der Macht“, erfahrene Krisenmanagerin, seit mehr als zwölf Jahren im Amt. Beide stehen an der Spitze konservativer Parteien, aber für unterschiedliche Politikentwürfe. Kaum ein europäischer Spitzenpolitiker lag in den vergangenen zwei Jahren wohl so über Kreuz mit Merkel wie Kurz. Als Außenminister hatte der heutige Kanzler gegen Merkels Flüchtlingspolitik mobil gemacht, sie immer wieder wegen ihrer „Willkommenspolitik“und dem Kurs der offenen Grenzen attackiert. Er war es, der sich gegen den Willen der Kanzlerin erfolgreich für die Schließung der Balkanroute stark gemacht hatte, noch bevor das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei unter Dach und Fach war. Nach einem Urteil über den als „jung, forsch und dynamisch“geltenden Gast gefragt, denkt Merkel kurz nach. Prompt prescht Österreichs Kanzler vor und geht dazwischen. „Jung stimmt sicher. Forsch wage ich zu bezweifeln“, antwortet er anstelle von Merkel. „Dynamisch würde ich nicht ablehnen“, rät die Kanzlerin augenzwinkernd. Und das Problem des jungen Alters werde „von Tag zu Tag besser“.