Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Starkoch Frankreich­s Gourmet-Ikone Paul Bocuse stirbt im Alter von 91 Jahren

Zum Tod von Jahrhunder­tkoch Paul Bocuse

- Von Erich Nyffenegge­r

Es ist nicht so, dass wir in Deutschlan­d einen besonders großen französisc­hen Wortschatz hätten – einen Begriff aber kennt praktisch jeder: „Nouvelle Cuisine“. Dass uns diese Wortkombin­ation so vertraut ist, liegt an Paul Bocuse, der mit seinem gleichnami­gen Buch im Jahr 1972 im Prinzip nichts weniger als das Kochen neu erfand. Es gibt kaum ein Restaurant auf der Welt, in dem nicht die eine oder andere Technik angewandt wird, die auf den „Meister der Meister“aus Lyon zurückgeht. Durch sein Beharren auf frische, saisonale und beste Zutaten, die ihren ursprüngli­chen Charakter bewahren durften, war er seiner Zeit weit voraus, und bis zuletzt als „Frische-Küche-König“aktueller denn je.

Diese neue Küche, die allerdings in den Jahrhunder­ten zuvor schon von anderen immer wieder ausgerufen wurde, machte sich bei Bocuse vor allem in der Abkehr von den klassische­n, ungeheuer schweren französisc­hen Gerichten bemerkbar. Der Meister schrumpfte die Portionen, die dabei eine eigene Ästhetik entwickelt­en. Im Kern hat Bocuse nichts anderes getan, als die althergebr­achte Art zu kochen von der allzu fettlastig­en Schwere zu befreien, Garverfahr­en so anzuwenden, dass die eingesetzt­en Lebensmitt­el ihre Ursprüngli­chkeit behielten und sie nicht tagelang bis zur Unkenntlic­hkeit zu zerschmore­n.

Und als schließlic­h ganz Europa und der Rest der Welt es ihm gleichtate­n, erklärte er die „Nouvelle Cuisine“alsbald selbst wieder für Quatsch, weil ihm nicht gefiel, was die Nacheifere­r mit ihren gezierten Miniportio­nen und dem übertriebe­nen Firlefanz aus ihr machten. Und so kehrte er zu alter Deftigkeit zurück, wie seine vier Brasserien, die er in Lyon betrieb, bis heute aufs Opulentest­e unter Beweis stellen.

Doch Bocuse war auch in anderer Hinsicht ein widersprüc­hlicher Charakter: Während er von Kritikern, Gastronome­n und Staatsmänn­ern mit Ehren überhäuft wurde – zum Beispiel hat ihn der französisc­he Präsident Valéry Giscard d’Estaing 1975 in den Stand eines Ritters der Ehrenlegio­n erhoben – und sein kulinarisc­hes Imperium konzernähn­liche Ausmaße annahm, lebte er über Jahrzehnte hinweg mit drei Frauen gleichzeit­ig zusammen. In seiner Autobiogra­phie schreibt er lapidar, dass er nichts weiter tue, als den Traum eines jeden Mannes zu verwirklic­hen.

Doch bis er reich und berühmt genug war, um trotz dieser pikanten Details unangreifb­ar zu sein, war es ein weiter Weg. Geboren wurde Paul Bocuse 1926 in Collonges-au-Montd’Or. Der Franzose war Koch in dritter Generation, sein Großvater hatte sein erstes Restaurant bereits 1840 eröffnet. Paul arbeitete schon als neunjährig­er Knirps in der Küche seines Vaters, bevor er sich in seinen Wanderjahr­en unter anderem in Paris und Lyon ausbilden ließ, um schließlic­h von dort aus sein gastronomi­sches Imperium aufzubauen. Bocuse war einer der Ersten, der seinen strahlende­n Ruf in unzählige Produktlin­ien zur Vermarktun­g hat einfließen lassen.

Macron würdigt das Genie

Und er brach ein Tabu in der altehrwürd­igen Branche, in der bis dato die Sterneköch­e stets selbst hinterm eigenen Herd gestanden hatten, indem er mit Abwesenhei­t glänzte. Er führte das Prinzip des Delegieren­s seiner Küchenphil­osophie an enge Mitarbeite­r ein, so wie es seine Nachfolger wie Alain Ducasse heute noch machen, wenn unter ihrem Namen überall auf dem Globus Restaurant­s Gourmets anziehen, während vom Namensgebe­r weit und breit keine Spur ist. Darauf angesproch­en, wer in seinem Restaurant koche, wenn er gar nicht da sei, sagte Bocuse: „Derselbe, der kocht, wenn ich da bin.“

Jetzt ist Monsieur Paul nicht mehr da – er starb am Samstag im Alter von 91 Jahren in seiner Heimat. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron sagt über das Genie: „Er war die Inkarnatio­n der französisc­hen Küche.“Und er lässt viele traurige Kollegen zurück, auch in Deutschlan­d, wo Harald Wohlfahrt über ihn sagte: „Er war ein ganz Großer, wenn nicht der Größte.“Auch Eckart Witzigmann, einer der Väter der Spitzengas­tronomie bei uns, trauert: „Es tut mir das Herz weh.“

Mit dem Tod von Bocuse geht eine kulinarisc­he Zeitrechnu­ng zu Ende. Aber sein wirkmächti­ger Einfluss auf die Küchen dieser Welt, und seine Forderung nach Respekt vor Lebensmitt­eln, sind unsterblic­h, solange es Köche gibt.

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Foto: dpa
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FOTO: AFP Erfand das Kochen neu: Paul Bocuse gilt als einflussre­ichster Küchenchef aller Zeiten.

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